Angelique Kerber in Istanbul:Der Makel muss weg

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Sie träumt weiter vom Halbfinale in istanbul: Angelique Kerber (Foto: dpa)

Kann Angelique Kerber endlich ein Spiel beim WTA-Finale gewinnen? Viermal ist die Tennisspielerin bereits gescheitert, gegen Agnieszka Radwanska soll ihr heute ein Erfolg gelingen. Trotz der Auftaktniederlage gegen Serena Williams spielte Kerber zuletzt angriffslustig wie nie.

Von Matthias Schmid

Viel gesehen von der Stadt hat Angelique Kerber auch an ihrem freien Tag nicht. Stattdessen trainierte sie zweimal im schmucklosen Sinan Erdem Dome von Istanbul mit ihrem Trainer Benjamin Ebrahimzadeh. Jeweils eine Dreiviertelstunde lang. Die Weltranglistenneunte will sich ja nicht vorwerfen lassen, bei ihrer zweiten Teilnahme am Turnier der Besten nicht alles probiert zu haben.

Ein Besuch des Taksim-Platzes muss ebenso warten wie ein Abstecher in die Blaue Moschee oder zur Bosporus-Brücke. Manche behaupten ja schon nach ihrer klaren Zweisatzniederlage zum Auftakt gegen Serena Williams, dass sie sich nur einen gut bezahlten Aktivurlaub gönnen würde in der Türkei. Wenn man die 25-Jährige aus Kiel so reden hört in diesen Tagen könnte sich dieser Eindruck tatsächlich verfestigen. "Ich bin einfach nur glücklich, wieder hier zu sein", sagt Kerber und klingt wie jemand, der an den Ort ihrer ersten großen Liebe zurückkehrt ist.

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Deutliche Niederlage für Angelique Kerber zum Auftakt der Tennis-WM in Istanbul: Gegen die Titelverteidigerin und Weltranglistenerste Serena Williams findet die deutsche Nummer eins kein Mittel und verliert 3:6, 1:6.

Im Fall von Angelique Kerber ist es aber anders. Ganz anders sogar als manche glauben. Sie will endlich diesen Makel beseitigen, der sie schon seit dem ersten Match hier in Istanbul im vergangenen Jahr begleitet. Vier Spiele hat sie bisher in ihrer Karriere beim WTA-Finale gespielt, viermal hat sie als Verliererin den Platz verlassen. An diesem Donnerstag folgt nun das Spiel fünf gegen die Polin Agnieszka Radwanska. Sie freut sich auf die Partie gegen ihre Freundin, mit der sie sogar ab und an den Urlaub verbringt.

"Es ist noch alles drin für mich", sagt Kerber. Sie hat tatsächlich mit zwei Siegen noch alle Chancen auf das Halbfinale. Allein in den vergangenen fünf Wochen standen sich Kerber und Radwanska zweimal gegenüber. Während die Kielerin im Viertelfinale von Tokio gewann, siegte die Polin in Peking. "Es ist ein völlig offenes Match", sagt Fedcup-Chefin Barbara Rittner. Müsste sie auf den Ausgang wetten, würde sie sich trotzdem auf Kerber festlegen. "Angie wird stark zurückkommen", sagt die Bundestrainerin, die Kerber in Istanbul unterstützt.

In der Tat war die Partie gegen die Weltranglistenerste Williams kein richtiger Maßstab. Spielt die 32-Jährige aus den USA so fehlerfrei und dominant wie gegen Kerber, gibt es zurzeit keine Spielerin auf dem Planeten, die sie in Schiwierigkeiten bringen könnte. "Sie hat unglaublich gespielt und ich hatte keine Zeit, auch nur ein bisschen durchzuatmen", sagt Kerber anerkennend. Es gibt eine schöne Statistik, die die Überlegenheit von Williams eindrücklich dokumentiert: 81 Prozent der Ballwechsel musste Kerber hinter der Grundlinie spielen. Die Wucht von Williams' Grund- und Aufschlägen hatte sie immer wieder in die Defensive gedrängt, sie konnte nur noch reagieren statt selbst zu agieren.

Dabei hatte Kerber gerade in den vergangenen Wochen erfolgreich an einem Stilwechsel gearbeitet. Bei den Turnieren in Tokio (Finale), Peking (Viertelfinale) und Linz (Sieg) spielte Kerber so angriffslustig wie nie zuvor. Sie ging auf die Bälle drauf, wie die Tennisspieler sagen. Sie versuchte, sie früh zu nehmen, sie zu beschleunigen und nicht länger auf die Fehler ihrer Kontrahentinnen zu warten. Dabei stand sie meist selbst tief im Feld. Sie hat so gespielt, wie es Williams gegen sie getan hat.

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Von Matthias Schmid

"Vielleicht ist das gar nicht so schlecht, dass ich einen Tag zum Pausieren habe", sagt Kerber. Sie wird ausgeruht sein. Locker ist sie sowieso. Fast in Urlaubsstimmung. "Ich genieße jeden Tag, den ich hier verbringen kann." Am Abend hatte sie noch auf Facebook via Livechat die Fragen ihrer Fans beantwortet. Natürlich hatten sie auch nach dem ersten Sieg bei der WTA-WM gefragt. Die Sehnsucht ist groß, nicht nur bei Kerber selbst. Eines Tages werde sie es schaffen, hat die Tennisspielerin entgegnet. Jahre sollen nun aber wirklich nicht vergehen. "Ich habe noch zwei Matches, in denen ich zeigen kann, dass ich gut spielen kann", sagt Angelique Kerber.

Sie will endlich das Gerede vom fehlenden Sieg beim WTA-Finale beenden. Nach dem Turnier wird dann auch tatsächlich die Zeit der Erholung, des Nichtstuns für sie beginnen. Wohin die Reise gehen wird, mag sie noch nicht verraten. Noch fühlt sie sich nicht im Urlaubsmodus. Am Sonntag wird hier das Finale ausgespielt. Angelique Kerber hätte nichts dagegen, wenn sie dann noch dabei wäre. Auf dem Platz, versteht sich.

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