Andrea Petkovic im Interview:"Ich bin kein Roger Federer"

Sony Ericsson Open

Im Erfolgsfall gerne auch tanzend: Andrea Petkovic. 

(Foto: AFP)

Nach langer Verletzungspause startet Andrea Petkovic hoffnungsvoll ins Tennis-Turnier von Wimbledon. Im Interview spricht sie über deutsche Grand-Slam-Erfolge, ihre neu erworbene Geduld - und erklärt, weshalb der Begriff "Fräuleinwunder" nur noch nervt.

Von Matthias Huber

SZ.de: Frau Petkovic, Sie starten mit einer Wildcard direkt im Hauptfeld von Wimbledon. Haben Sie damit gerechnet?

Andrea Petkovic: Überhaupt nicht. Ich habe eher damit gerechnet, bei den French Open eine zu bekommen, weil ich da schon mal im Viertelfinale stand. Jeder weiß, dass Rasen nicht mein allerliebster Lieblingsbelag ist. Deswegen war ich total überrascht und habe mich noch mehr gefreut. Die Chance, dass ich eine Wildcard bekomme, lag für mich bei 0,99 Prozent. Ich habe mich schon auf der Wiese in Roehampton (dort finden die Qualifikationsrunden statt, Anmerkung der Red.) gesehen.

Aber Sie haben auf Rasen schon einige gute Ergebnisse geschafft. 2010 in s'Hertogenbosch waren Sie im Finale.

Ich habe immer gemeckert, dass ich auf Rasen nicht spielen kann. Davon war ich überzeugt. Und vorletztes Jahr habe ich wirklich auch grottenschlecht gespielt. Das hatte aber nichts mit dem Rasen zu tun, sondern damit, dass ich mir viel zu viele Erwartungen aufgebürdet hatte.

Was war das Problem?

Im Training habe ich richtig gut gespielt, und mit den Top-Ten und Top-20-Mädels mitgehalten. Ich habe mich super gefühlt auf Rasen. Ich kann sogar einen ganz guten Volley spielen, das wissen viele Leute gar nicht. Grundsätzlich, von meiner Technik her, kann ich auch auf Rasen gut spielen. Ich muss mich nur damit abfinden, dass der Ball eben ab und zu verspringt.

Nach Ihrer langen Verletzungspause spielen sie seit ein paar Wochen doch wieder sehr gut. In Nürnberg erreichten Sie unerwartet sogar das Finale. Haben Sie sich für Wimbledon ein Ziel gesetzt?

Nach meiner Verletzung ist jedes gewonnene Spiel ein Erfolg für mich. Das ist das Schöne, dass man wieder ein bisschen Demut lernt und zu sich kommt. Als ich damals in den Top Ten war, wusste ich das überhaupt nicht zu schätzen. Ich bin nur von Turnier zu Turnier, und jedes Ergebnis, das schlechter war als Halbfinale, war für mich schlecht. Ich dachte nur: "Joah, okay, what's next?" Diese Einstellung ist aber eigentlich unglaublich schade.

Lange war nicht viel los im deutschen Frauentennis. Plötzlich gibt es Sie, Angelique Kerber, Sabine Lisicki, Julia Görges, Mona Barthel, Annika Beck. Selbst Dinah Pfizenmaier ist kurz davor, in die Top 100 einzuziehen. Wo waren Sie die ganze Zeit?

Die erste von uns war Sabine Lisicki, sie hat das erste Viertelfinale in Wimbledon gespielt. Das hat uns anderen Mädels einen Schub gegeben. Wir haben gespürt: Da geht was gegen die Großen, da geht was bei den großen Turnieren. Ich war die nächste, die das mitnehmen konnte, und stand im Viertelfinale von Australien. Dann kamen auf einmal Jule, Angie, Mona, Annika Beck. Am Tennis lag es nicht. Das hatte mit dem Glauben an uns selbst zu tun.

"Den Erfolg haben wir uns hart erarbeitet"

Warum klappt das bei den Männern nicht?

Bei uns Frauen ist ganz klar: Wir halten zusammen und wollen zusammen den Fed Cup gewinnen. Dieses Gemeinschaftsgefühl haben wir auch an die Fans übertragen. Die wissen: Eine von uns Frauen soll etwas reißen, egal welche. Von diesem Gefühl sind die Männer noch ein Stück entfernt. Deswegen hängen sich alle an einem Charakter wie Tommy Haas auf, der eine große Inspiration ist und Unmögliches wieder möglich macht.

Mit dem Erfolg steigen auch die Erwartungen. Manch einer wartet auf den ersten Grand-Slam-Titel einer deutschen Tennisspielerin. Ist das eine Belastung?

Am Anfang war jedes Viertelfinale für uns ein riesiger Erfolg. Das ist es immer noch. Aber wer ein paar Mal im Viertelfinale stand, will irgendwann mehr. Und auch die Leute erwarten mehr. Das ist für uns eine Umstellung. Vorher haben alle angerufen oder SMS geschickt und gratuliert. Jetzt heißt es eher: "Okay. Wie geht's weiter?" Wir stellen an uns denselben Anspruch. Ich glaube, dass wir bei den Grand Slams teilweise hektisch werden - weil wir spüren, dass das Finale drin ist. Vor allem Sabine auf Rasen, oder Angie auf allen Belägen bis auf Sand. Der Druck ist da, aber wir machen ihn uns auch selbst.

Was halten Sie eigentlich von dem Begriff "Fräuleinwunder"?

Wunder hört sich so an, als hätten wir aus Mist Gold gemacht. Das heißt doch: Es war nichts da, und wir haben es irgendwie geschafft. Aber das stimmt nicht. Für uns war es ein langer Prozess, der sich über viele Jahre hingezogen hat. Den Erfolg haben wir uns hart erarbeitet.

Klingt, als fühlten Sie sich manchmal missverstanden.

Mega genervt hat mich, dass ich anfangs als Intellektuelle dargestellt wurde. Nur weil ich studiere und Abi habe? Immer wieder kam die Frage: Welches Buch liest du denn gerade? Was kannst du uns denn empfehlen? Die Leute haben teilweise von mir erwartet, dass ich Sartre- oder Nietzsche-Zitate von mir gebe. Einmal war ich in einer Quizsendung, da dachte ich: Wenn ich jetzt eine Frage falsch beantworte, muss ich für immer aus Deutschland verschwinden. Weil die mich für eine Intellektuelle halten.

Eine Frage der Geduld

Und was ist mit dem Petko-Dance?

Damit habe ich vor längerer Zeit aufgehört, trotzdem kommt er in vielen Berichten immer noch vor. Das ist abgehakt, und ich bin jetzt älter, erwachsener und reifer geworden. Bei den anderen Mädels weiß ich es nicht genau. Ich glaube, Jule nervt es, dass alle sagen, sie sehe so gut aus. Von wegen Fashion und so. Da würde sie wahrscheinlich sagen: Hey, Fashion geht mir total am Arsch vorbei!

Sie haben auch gesagt, dass Sie geduldiger geworden sind.

Auf dem Platz und im Training werde ich nie locker sein. Ich bin kein Roger Federer, der vor dem Match zehn Minuten im Kleinfeld spielt, dann auf den Platz geht und sich super fühlt. Ich trainiere vorher 55 Minuten, um zu schwitzen und zu rennen. Aber Geduld heißt auch, dass ich mal eine Pause mache, wenn es irgendwo zieht. In Charleston habe ich zum ersten Mal in meinem Leben bei einem Turnier zurückgezogen. Mein Vater ist danach in die Kirche gegangen und hat eine Kerze angezündet. "Endlich hat sie's gerafft!", hat er gesagt.

Trotzdem wirken Sie immer noch ungemein ehrgeizig.

Das Gute bei mir ist, dass meine Geduld für alle anderen wahrscheinlich wie totale Ungeduld aussieht. Ich habe mit Sven Grönefeld gesprochen, der Ana Ivanovic als Trainer zum Grand-Slam-Titel geführt hat. Nachdem ich in der Quali bei den French Open verloren hatte, kam er zu mir, und hat gesagt: "Diese Person, die hervorkommt, wenn du nicht gut spielst, frustriert bist und dich aufregst, und die dir dann im Weg steht: Du musst lernen, auch diese Person in dir zu akzeptieren, weil sie hat dich in die Top Ten gebracht."

Klingt ein bisschen kompliziert.

Ich habe zuerst nicht gerafft, was er von mir wollte. Dann hat er gesagt: "Du hast dich nie zufrieden gegeben. Du hast immer versucht, die besseren zu schlagen. Du hast immer versucht, noch mehr an dir zu arbeiten. Du hast immer versucht, neue Sachen in dein Spiel einzubringen. Das ist es, was dich zur Top-Ten-Spielerin gemacht hat." Da habe ich zum ersten Mal verstanden, dass diese Ungeduld, die mir jeder vorgeworfen hat, weil sie vielleicht zu meinen Verletzungen geführt hat, gleichzeitig eine unheimliche Stärke ist.

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