Andrea Henkel bei der Biathlon-WM:Meisterin in allen Disziplinen

Andrea Henkels Popularität mag nie jene Werte der deutschen Ausnahmeathletin Magdalena Neuner erreichen - vergleichbare Erfolge sammelt sie dennoch. 15 WM-Medaillen hat die 34-jährige Sportsoldatin bisher in ihrer Karriere geholt. Darunter eine ganz besondere, die Magdalena Neuner noch fehlt.

Joachim Mölter, Ruhpolding

Andrea Henkel hat etwas, was Magdalena Neuner nicht hat, aber gerne hätte: einen WM-Titel im Einzelrennen über 15 Kilometer. "Das habe ich besonders im Hinterkopf", hat die Rekord-Weltmeisterin im Biathlon zu Beginn des Championats von Ruhpolding gesagt: "Da wäre die Goldmedaille schon schön, um meine Sammlung komplett zu machen."

IBU Biathlon World Championships - Preview

Ganz und gar nicht langweilig und spröde: Andrea Henkel.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Ihre elf globalen Titel hat sie in allen anderen Disziplinen geholt - nur in der traditionsreichsten fehlt ihr ein großer Sieg. Die letzte Gelegenheit, das Versäumte nachzuholen, ehe sie nach dieser Saison ihre Laufbahn beendet, hat sie an diesem Mittwoch (15:15 Uhr/ARD).

Was Neuner nicht geschafft hat, aber gern noch schaffen würde, ist Andrea Henkel längst gelungen: WM-Titel in allen Individual-Wettbewerben zu gewinnen. 2005 war sie im Einzelrennen vorne, 2007 beim Massenstart, 2008 im Sprint und in der Verfolgung. "Das ist schon was", findet Henkel.

Es ist sogar was Einzigartiges: Sie ist die einzige Biathletin, die das vorzuweisen hat. "Und selbst, wenn ich nicht mehr die Einzige bin", falls Neuner also am Mittwoch nachziehen sollte, "bin ich immer noch die Erste, die das geschafft hat", sagt sie. "Das macht mich schon stolz."

Für Henkel ist so eine Äußerung schon eine gewaltige Gefühlsregung. Weil sie selbst bei größten Erfolgen ihre Zähne kaum zu einem Lachen auseinanderbrachte, galt sie lange als langweilig und spröde, als verbissen gar. Im Lauf der Zeit wurde die 34-Jährige aber immer gelassener. "Es bringt nichts, hektisch zu werden", hat sie in diesen Tagen erklärt, "es wird ja nichts besser davon." Sie hat sogar so etwas wie einen lakonischen Witz entwickelt.

Als sie in Ruhpolding gefragt wurde, ob sie ihr Karriere-Ende nicht vielleicht doch über die Winterspiele 2014 in Sotschi hinausschieben mag, entgegnete sie trocken: "Ich kann das ja nicht bis zum Rentenalter weitermachen. Irgendwann ist's auch gut."

Andrea Henkel ist die dienstälteste Athletin in der Biathlon-Mannschaft des Deutschen Skiverbandes, sie hat eine Menge erlebt seit ihrer ersten WM-Nominierung 1999 in Kontiolahti, "wo keine Wettkämpfe stattgefunden haben, weil's so kalt war", wie sie sich erinnert: Ein Teil der Rennen musste am Ende der Saison in Oslo nachgeholt werden. Wenn sie nun zurückblicken soll, sagt sie: "Es gab nur zwei Jahre, die nicht so rund liefen."

Ein Jahr war dummerweise 2004, als die Weltmeisterschaften in Oberhof ausgetragen wurden, wo sie zur Schule gegangen ist und das Abitur machte. Damals wurde sie nur einmal eingesetzt, im Einzelrennen, in dem sie zwei Jahre zuvor in Salt Lake City Olympiasiegerin geworden war und dann bei der WM in ihrem Heimatort nur noch 26. wurde. Eingedenk dieser Enttäuschung sagt sie bei ihrer zweiten Heim-WM: "Ich bin in deutlich besserer Form und freue mich, hier alle Wettkämpfe mitmachen zu dürfen."

Andrea Henkel kann eine Menge Anekdoten erzählen aus ihrer Laufbahn. Einmal hatte sie Patronen im Gewehr, als sie keine dort hätte haben sollen: Während der Titelkämpfe 2009 in Pyeongchang/Südkorea löste sich beim Trockentraining in einem geschlossenen Raum versehentlich ein Schuss - weil sie vergessen hatte, dass in ihrer Waffe noch ein Magazin mit scharfer Munition steckte; glücklicherweise wurde niemand verletzt.

Munition vergessen

Ein anderes Mal hatte sie keine Munition dabei, als sie welche gebraucht hätte: In Östersund hatte sie ein Magazin vergessen - sie musste es sich am Schießstand nachreichen lassen. Dieses Missgeschick war ihr im Einzelrennen passiert.

BIATHLON-WORLD-RUHPOLDING

Andrea Henkel (links) übergibt während der Mixed-Staffel in Ruhpolding an Magdalena Neuner.

(Foto: AFP)

"Früher war das mein Wettkampf, stimmt schon", sagt sie angesichts des Umstands, dass sie dort ihre ersten Goldmedaillen geholt hat. "Aber das ist ja 'ne Weile her, das hat sich ein bisschen geändert. Aber ich weiß, dass es möglich ist, in dieser Disziplin zu gewinnen."

Sie geht am Mittwoch jedenfalls mit jeder Menge Zuversicht an den Start. Zum einen scheinen ihr die neuen WM-Strecken in der Chiemgau-Arena grundsätzlich zu liegen, trotz einiger Abfahrten, die ihr Respekt einflößen: Bei der WM-Generalprobe, dem Weltcup 2011, stand sie jedenfalls erstmals in ihrer Karriere in Ruhpolding auf dem Siegerpodest, unter anderem als Zweite im 15-Kilometer-Bewerb.

Zum anderen rehabilitierte sie sich am Sonntag im Verfolgungsrennen für den Sprint am Samstag, in dem sie als 34. ihr schwächstes Saisonergebnis abgeliefert hatte. Im Jagdrennen lief sie dann noch auf Rang elf vor, und im deutschen Team rechneten die Trainer flugs aus, dass sie Zweite geworden wäre, wenn sie den Rückstand aus dem Sprint nicht hätte mitnehmen müssen. Was am Sonntag vor allem beeindruckte, war ihr fehlerfreies Schießen.

"Damit hat sie den Nachweis erbracht, dass sie vorne dabei sein kann", sagte der deutsche Cheftrainer Uwe Müssiggang. Alle Scheiben zu treffen, ist im Einzelrennen besonders wichtig, weil dort nach Fehlschüssen keine Strafrunden gedreht werden - sondern jeweils eine Minute zur Gesamtzeit addiert wird.

Andrea Henkel sagt: "In diesem Jahr läuft's bei mir besser in den Rennen, in denen es vier Schießeinlagen gibt". Ihre Trefferquote ist sehr gut, nur mit der Zeit, die sie am Schießstand verbringt, hadert sie ein wenig: "Da habe ich oft rumgemuckelt", findet sie. Aber auf das Tempo beim Schießen kommt es im 15-Kilometer-Bewerb weniger an als auf sicheres Treffen. Insofern muss das kein Nachteil sein für die 1,58 Meter kleine Biathletin aus Thüringen.

Die eher introvertierte Andrea Henkel weiß, dass sie trotz der durchaus vergleichbaren Erfolge nie die Popularität von Magdalena Neuner erreichen wird. Aber sie hat ihrer Teamkollegin durch ihre WM-Siege in allen Disziplinen etwas voraus, ein Alleinstellungsmerkmal, wie es in der Werbebranche heißt. Und Andrea Henkel wird am Mittwoch alles dafür tun, dass das auch so bleibt.

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