André Schürrle im Gespräch:"Junge Spieler rennen überall hin"

Der Mainzer Stürmer André Schürrle über seine Rolle als Überraschungsgast in der Nationalelf, die Handynummer von Bundestrainer Joachim Löw - und sein großes Vorbild aus München.

Christof Kneer

SZ: Herr Schürrle, geht's Ihnen gut, weil Sie in die Nationalelf berufen wurden, oder geht's Ihnen schlecht, weil Ihr Verein Mainz 05 gerade kriselt?

Andre Schürrle und Lewis Holtby

"Die Nummer hatte ich noch nie gesehen": Andre Schürrle ist plötzlich Nationalspieler bei Joachim Löw.

(Foto: dpa)

André Schürrle: Mir geht's sehr gut. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, all die großen Spieler hier kennen zu lernen und das ganze Trainerteam.

SZ: Sie kannten niemanden?

Schürrle: Natürlich kennt man sich von den direkten Duellen, aber im Spiel gibt's ja wenig Möglichkeiten, miteinander zu reden. Persönlich kannte ich die meisten nicht. Bastian Schweinsteiger habe ich hier zum ersten Mal die Hand geschüttelt.

SZ: Was hat er gesagt?

Schürrle: Wie geht's, wie war Euer Spiel am Wochenende, solche Sachen halt. Ein bisschen Smalltalk.

SZ: Den Bundestrainer kannten Sie.

Schürrle: Persönlich auch nicht. Mein erster echter Kontakt war der Anruf letzte Woche, als er mich über die Nominierung informiert hat.

SZ: Es hieß, er habe Sie im Kino erreicht. Darf man denn da telefonieren?

Schürrle: Es war nach dem Kino. Da habe ich auf mein Handy geschaut und eine Mailbox-Nachricht gesehen. Es war so etwa halb zehn Uhr abends, ich hab zurückgerufen, und ja, dann war er dran.

SZ: Kannten Sie die Nummer?

Schürrle: Nein, die hatte ich noch nie gesehen. Meine Freundin hatte geahnt, dass die Nummer dem Herrn Löw gehört, ich wollte das gar nicht so recht glauben.

"Eine Menge Geld"

SZ: Im deutschen Fußball hieß es vor nicht allzu langer Zeit noch, man müsse erstmal hundert Bundesligaspiele haben, bevor man zur Nationalelf sollte. Und in Fällen wie Ihrem hieß es dann: Das kommt zu früh. Was finden Sie: Kommt Ihre Nominierung zu früh?

Schürrle: Ich glaube nicht, dass so etwas zu früh kommen kann. Wir kommen alle aus den Jugendinternaten und haben uns dort sportlich, aber auch mental professionell entwickeln können. Ich denke, dass wir gereift und realistisch sind.

SZ: Vor vier Wochen wären Sie auf der Mainzer Erfolgswelle ins Nationalteam geschwommen, nun aber, nach der jüngsten Niederlagen im Verein, könnten Kritiker sich bestätigt fühlen.

Schürrle: Aber damit würde man es sich viel zu einfach machen. Lewis und ich sind jetzt keine anderen Spieler als vor vier Wochen. Wir haben in der Liga gezeigt, was wir können, der Bundestrainer schenkt uns nichts. Ich kann mit so einer Debatte nichts anfangen.

SZ: Sie gelten als die kurioseste Personalie im Testkader von Joachim Löw. Sie haben bisher nur vier Ligaspiele von Anfang an bestritten. Das ist außerhalb von Mainz nur schwer zu verstehen. Verstehen Sie es?

Schürrle: Das ist die Entscheidung unseres Trainers Thomas Tuchel. Ich bin zu Anfang der Saisonvorbereitung verletzt ausgefallen und war noch nicht so weit. Der Trainer hat mir erklärt, dass er mich dann lieber zum Schluss auf dem Platz hat, wenn die Entscheidungen fallen. Aber jetzt denke ich schon, dass ich langsam wieder fit bin. Mit der Joker-Rolle gebe ich mich auf Dauer nicht zufrieden.

SZ: Kurios an Ihrer Geschichte ist auch, dass Bayer Leverkusen, wohin Sie nächsten Sommer wechseln, über acht Millionen Euro bezahlt.

Schürrle: Das ist eine Menge Geld.

SZ: Fühlen Sie sich skeptischer beobachtet als vor Wochen, als Sie der Shootingstar aus dem netten Mainz waren?

Schürrle: Mir war klar, dass das so kommen wird. Ich muss lernen, damit umzugehen. Dass die Leute es jetzt vielleicht ganz anders beurteilen, wenn mir mal ein Ball vom Fuß springt.

SZ: Warum Leverkusen? Andere Klubs waren auch sehr interessiert.

Schürrle: Die Verantwortlichen haben mir sehr klar die Perspektiven des Klubs aufgezeigt, da entsteht eine Menge, mit überragenden, jungen Spielern. Da habe ich die Chance, einen Titel zu gewinnen.

SZ: Sind die jungen Spieler vielleicht nur ein flüchtiger Modetrend? Oder wird im modernen, athletischen Fußball jugendliche Fitness immer wichtiger?

Schürrle: Zunächst mal braucht man eine gute Mischung, ohne ältere Spieler geht es nicht. Aber klar ist, dass junge Spieler nicht nur fit, sondern auch wahnsinnig willig und motiviert sind. Die rennen überall hin. Dortmund ist ein gutes Beispiel: Die können diesen hohen Rhythmus auch deshalb gehen, weil sie extrem jung sind. Es ist schön, dass junge Spieler gerade so gefragt sind. Es sind gute Zeiten für uns.

"Ich sehe Müller schon gerne spielen"

SZ: Welche Rolle würden Sie in diesem modernen Spiel als Ihre ideale betrachten? Manche vergleichen Ihren Spielstil mit dem von Thomas Müller.

Schürrle: Anders als er spiele ich am liebsten auf der linken Außenbahn. Aber wir können beide mit ähnlichen Bewegungen nach innen ziehen, und auch körperlich sind wir uns ähnlich.

SZ: Müller sagt immer: Er kann trainieren, wie er will, an seine Oberschenkel wachsen einfach keine Muskeln hin.

Schürrle: Das ist bei mir auch so. Aber ich arbeite dran.

SZ: Ist Müller eine Art Leitspieler für Sie?

Schürrle: Ich sehe ihn schon gerne spielen. Wie er das bei der WM gemacht hat, das war überragend.

SZ: Wo haben Sie die WM verfolgt?

Schürrle: In Mainz, gemeinsam mit Lewis Holtby beim Public Viewing.

SZ: Wie ein normaler Fan?

Schürrle: Wie ein normaler Fan, mit einem kleinen Unterschied: Wir haben guten Kontakt zu dem Veranstalter des Public Viewing im Mainzer Schloss, deshalb hatten wir besonders gute Plätze.

SZ: Welche Spiele haben Sie sich dort angesehen?

Schürrle: Alle deutschen. Die WM 2006 hab' ich auch auf den Fanmeilen geguckt, da war ich noch Jugendspieler. Für unsere Generation waren das wichtige Erlebnisse: Da haben wir gemerkt, was für ein Fest Fußball sein kann. Wo unser Weg hinführen kann.

SZ: Dabei ist Ihre Generation doch eher mit den schlechten Jahren Anfang des Jahrtausends aufgewachsen. Mit der EM 2000...

Schürrle: ... da war ich neun, da weiß ich nichts mehr. Aber an 2002 kann ich mich gut erinnern, an die erfolgreiche WM, und auch an Bayer Leverkusen. Ich glaube, jeder in Deutschland hat die damals gerne spielen sehen. Auch das hat zu meiner Entscheidung beigetragen: Ich mochte Leverkusen schon immer.

SZ: Und die EM 2004 hat nicht dazu beigetragen, den Fußball aufzugeben?

Schürrle: An diese EM hab ich komischerweise keine große Erinnerung. Wahrscheinlich verdrängt.

SZ: Vielleicht können Sie die großen Turniere künftig selbst mitgestalten. Haben Sie die Nummer des Bundestrainers inzwischen gespeichert?

Schürrle: Hab ich, ja. Unter "L" steht: Löw, Joachim.

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