Fangewalt:Die bösen Geister des Fußballs

Lesezeit: 4 min

Regenburgs Torwart Philipp Pentke entfernt eine Sitzschale aus seinem Strafraum. (Foto: imago/MIS)

Platzsturm in Braunschweig, Randale bei 1860 München: Die Relegationsspiele sind überschattet von Ausschreitungen und Drohgebärden. Gerät die Gewalt im Fußball außer Kontrolle?

Von Thomas Hummel

Es war fast drollig zu hören, als sich der ARD-Kommentator Tom Bartels darüber erregte, warum sich eigentlich in dieser Fankurve des TSV 1860 kein Mensch mit Zivilcourage finde, der die Randalierer stoppe. Man weiß nicht genau, wie sich Tom Bartels das vorstellte, aber angesichts der Szenen am Dienstagabend in der Münchner Fußball-Arena musste man bei dieser Aufforderung fast glucksen vor Galgenhumor. Bei der Vorstellung, ein friedsamer Zuschauer inmitten des wütenden, testosteronhaltigen, vielleicht unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehenden Fanblocks geht zum Randalierer und tippt ihn an die Schulter: 'Entschuldigen Sie, lieber Herr Hooligan, ich wäre Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie eventuell das Werfen von Sitzschalen und Stangen auf das Spielfeld unterlassen könnten. Das beschädigt das Image unseres schönen Vereins und gefährdet die Gesundheit der Menschen da unten. Danke für Ihr Verständnis.'

Das mit der Zivilcourage ist eine schöne Vorstellung, aber in diesem Fall absoluter Unsinn. Nicht einmal die Polizei hielt es am Ende der Partie gegen den SSV Jahn Regensburg für ratsam, sich in den aufgebrachten Mob der Sechzig-Fans zu mischen, obwohl die Beamten mit ihren Helmen, Schlagstöcken und Schutzuniformen das Problem sicher hätten lösen können. Die Polizei drohte stattdessen mit schlichter Anwesenheit, versuchte zusammen mit dem Schiedsrichter Daniel Siebert das Spiel über die Bühne zu bringen und damit die Situation zu entschärfen.

TSV 1860 München nach dem Abstieg
:"Reißt's Euch zam!"

Die Fans randalieren, die Verantwortlichen treten zurück, der Investor schweigt - und der DFB ermittelt: 1860 München gibt im Moment des Abstiegs ein jämmerliches Bild ab.

Aus dem Stadion von Martin Schneider

Lutz Michael Fröhlich, Schiedsrichter-Chef des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), sagte dem Sportinformationsdienst: "Wichtig bei einer solchen Entscheidung ist die enge Kooperation mit den Sicherheitsverantwortlichen und dem Veranstalter. Im Sinne einer deeskalierenden Strategie war eine Fortsetzung des Spiels nachvollziehbar. Ein Abbruch des Spiels hätte die Situation noch verschlimmern können." Die Strategie ging letztlich auf, auch wenn die Münchner Polizei meldete, dass sich zehn Beamte leicht verletzt haben. Hätte die Staatsmacht beschlossen, den Block zu stürmen, wäre es sicher nicht dabei geblieben.

Auch so bleiben von dieser Fußballwoche Bilder der Gewalt und der Bedrohungen zurück. Nach dem Relegationsrückspiel zur ersten Liga zwischen Eintracht Braunschweig und dem VfL Wolfsburg stürmten Braunschweiger Anhänger den Platz, um die Wolfsburger Zuschauer zu verhauen. Nur ein Großaufgebot der Polizei verhinderte das. Zuvor war ein Böller aus dem Eintracht-Block geflogen, ein Ordner erlitt ein Knalltrauma. Nun die Randale in München.

Sportlich führt das zu der Frage, ob diese Relegationsspiele nicht zu viel sind für alle Beteiligten. Eine ganze Saison kulminiert in zwei Partien, da führt zum Beispiel eine Fehlentscheidung der Schiedsrichter zu Wut und Verschwörungstheorien. Der Karlsruher SC stieg vor zwei Jahren nur deshalb nicht auf, weil der Hamburger SV in der Nachspielzeit einen unberechtigten Freistoß erhielt und versenkte.

Die Vereine selbst tragen selten zur Beruhigung bei, weil es für sie schlichtweg um viel zu viel geht. Der TSV 1860 befindet sich nach der Niederlage im Auflösungsprozess, viele Verantwortliche treten zurück, Spieler haben keine Verträge mehr, Angestellte fürchten um ihre Jobs. Der Unterschied an Einnahmen zwischen der zweiten und dritten Liga beträgt einige Millionen Euro. Die Angst vor dem Absturz führt fast immer zu fußballerisch miserablen Partien, die allein von Angst und Wille getrieben sind. Nach dem Abstieg von Hertha BSC in der Relegation 2012 verlor der zuvor niemals als unfair aufgefallene Berliner Spieler Lewan Kobiashwili die Kontrolle und schlug den Schiedsrichter. Er wurde ein halbes Jahr gesperrt.

Auf den Tribünen fördern diese Entscheidungsspiele die ganz großen Wallungen, die Atmosphäre im Stadion ist vor allem zu Beginn mitreißend. Der Platzsturm der Düsseldorfer 2012 war ja eben kein Gewaltausbruch, sondern einer des Übermuts und der Freude. Doch nur ein falsches Tor, und es kann auch anders ausgehen. Gerade, wenn Klubs wie Eintracht Braunschweig und der TSV 1860 München beteiligt sind.

Es sind Exemplare der sogenannten Traditionsvereine, Deutsche Meister aus den Jahren 1967 und 1966. In den Kurven sammelt sich dort ein ähnliches Milieu. Seit einigen Jahren dominieren die Ultra-Fangruppen, die vor allem Jugendliche anziehen in der Hoffnung, durch die gemeinschaftliche Unterstützung eines Fußballvereins Freunde zu treffen und Abenteuer zu erleben. Fan-Experten sprechen seit Jahren von der größten Jugendkultur des Landes. Zu ihrer Kultur gehört auch, sich gegen alle Autoritäten zu stellen. Vor allem gegen die Polizei, die durch Kollektivstrafen und hartes Eingreifen in der Vergangenheit oft jedes Vertrauen verspielt hat. Gegner der Ultras sind zudem die Verbände und bisweilen auch der eigene Klub, der im Sinne von Kommerz und Eventisierung des Fußballs gerne ein anderes Publikum hätte.

Da können solche Randale auch schnell zur Machtdemonstration der Fans werden, die sich nicht vertreiben lassen wollen. Dass die Relegationsspiele live und zur besten Sendezeit im Fernsehen übertragen werden, bringt ihnen eine einmalige Aufmerksamkeit.

Neonazis im Fanblock

Inzwischen ist die einst friedliche Ultra-Bewegung stark von gewaltbereiten Gruppen bedroht oder wird selbst unterwandert. Bei Eintracht Braunschweig gibt es eine fast offen agierende rechte Szene im Stadion, die linke Gruppierungen mit Gewalt aus der Kurve vertrieben hat. Bei 1860 stehen stadtbekannte Neonazis im Block, zudem offenbar einige, die gerne Rabbatz machen. Fußball ist für sie ein idealer Ort, hier können sie in der Masse verschwinden und ihre Netzwerke betreiben. Die Klubs selbst machen oft viel zu wenig gegen die Umtriebe, selbst ein reicher Verein wie Borussia Dortmund tut sich mit diesem Problem sehr schwer.

Bei Braunschweig und 1860 kommt das Frustpotenzial dazu, einen Verein zu unterstützen, der von aller Welt verlacht wird. Der benachteiligt ist im Vergleich zu den Geldklubs in der Nachbarschaft (Wolfsburg, FC Bayern), es ist auch immer ein Kampf Klein gegen Groß. Rund um Sechzig gehört Fangewalt fast zu einer gewachsenen Tradition, besonders kultiviert in den achtziger Jahren in der Bayernliga. Vielleicht wusste Jahn Regensburgs Torwart Philipp Pentke von dieser Vergangenheit, er hatte früher drei Jahre bei 1860 gespielt. Nachdem minutenlang Sitzschalen und Fahnenstangen in seinen Strafraum geflogen waren, sagte er: "Es gab eine Absprache mit dem Schiedsrichter. Solange ich nicht getroffen werde, geht es weiter. Ich war auch dafür." Ob das schon unter die geforderte Zivilcourage fällt?

Die Täter in München werden vermutlich schnell erkannt und bestraft, dazu hängen in den modernen Stadien genügend Überwachungskameras. Doch auch damit dürfte der Fußball seine bösen Geister nicht loswerden. Auf der einen Seite lebt er von den Emotionen, von den Anfeuerungen und Gesängen als Beiwerk der Show. Auf der anderen Seite zieht das aber Kräfte an, die man eigentlich nicht gerne live im Fernsehen überträgt.

© Sz.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

1860 München
:Bei 1860 fasst man sich ans Hirn

Eine Frage zum Löwen-Abstieg: Hat es auf dem Planeten je ein Investment mit weniger Ertrag gegeben als das Geld, das Investor Ismaik in den TSV 1860 München gesteckt hat?

Kommentar von Philipp Schneider

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: