Amnesty-Chef Salil Shetty im Gespräch:"Die Spieler dürfen sich nicht rausreden"

Die Fußball-EM beginnt, die Debatten hören nicht auf: Im Gastgeberland Ukraine werden längst nicht alle geltenden Menschenrechte eingehalten. Im Interview spricht Salil Shetty, Chef von Amnesty International, über die politische Verantwortung der Fußballer, die Rolle der Uefa als Ausrichter - und die Chancen auf Veränderung.

Frederik Obermaier

Am Freitag beginnt die Fußball-Europameisterschaft. Es ist ein Turnier, das zumindest teilweise in einem autoritären Staat stattfindet: In der Ukraine werden Schwule verfolgt, Journalisten schikaniert und Oppositionelle inhaftiert. Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel hat seinen Besuch deshalb bereits abgesagt. Philipp Lahm, der Kapitän der deutschen Mannschaft, hat das herrschende Regime überraschend offen kritisiert. Aber reicht das? Ein Gepräch mit Salil Shetty (51), dem Chef von Amnesty International.

Salil Shetty

Klare Worte vor der Fußball-EM: Salil Shetty, der Chef von Amnesty International fordert vom Fußball mehr Einmischung.

(Foto: Amnesty International)

SZ: Herr Shetty, einige deutsche Politiker haben ihren Besuch bei der Fußball-EM in der Ukraine bereits abgesagt. Als Grund nennen sie die andauernden Menschenrechtsverletzungen. Sollte die gesamte Bundesregierung die Meisterschaft boykottieren?

Salil Shetty: Amnesty International ist nicht in der Position, deutschen Politikern vorzuschreiben, ob sie in einem ukrainischen Stadion Fußball schauen sollen oder nicht. Aber natürlich hoffe ich, dass jeder Politiker und jeder Prominente, der dort hinfährt, sich informiert und die Menschenrechtsverletzungen in dem Land öffentlich anprangert.

SZ: Die Behandlung der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko haben Deutschlands Politiker zuletzt ja bereits massiv kritisiert. Bundespräsident Joachim Gauck hat deswegen sogar eine Ukraine-Reise abgesagt.

Shetty: Viele Politiker sind sehr auf den Fall Timoschenko fixiert. Das ist ein prominenter Fall, aber es gibt in der Ukraine noch zahlreiche ähnliche Fälle. Die Polizei geht brutal gegen die Bevölkerung vor, Inhaftierte werden gefoltert, auf einen fairen Prozess kann kein Ukrainer hoffen. Und diese erschreckende Liste könnte ich lange fortsetzen.

SZ: War es ein Fehler, die EM in der Ukraine auszurichten?

Shetty: Es hätte sicherlich geeignetere Länder gegeben. Aber man muss auch die Vorteile sehen: Jetzt schaut die Welt auf die Ukraine - auch auf die Menschenrechtsverletzungen. Die Regierung von Viktor Janukowitsch kann das jetzt nicht mehr unter den Teppich kehren.

SZ: Aber wird sich für die Menschen vor Ort auch etwas verändern?

Shetty: Ein einziges Sportereignis wird sicherlich nicht alles ändern. Da müssen wir realistisch sein, aber es ist ein Anfang - und es ist die Möglichkeit, die Stimme zu erheben.

"Es werden Menschen unterdrückt"

SZ: Wer soll das machen? Die Fans?

Shetty: Sie sollten sich zumindest bewusst machen, dass all diese extravaganten Stadien nur Fassade sind. Die Menschen in den Austragungsorten werden weiterhin unterdrückt.

SZ: Und die Spieler? Was erwartet Sie von denen?

Shetty: Dass sie sich öffentlich zu Wort melden. Wir haben den Deutschen Fußballbund bereits umfassend über die Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine informiert. Das wurde gehört und ist auch bei den Spielern angekommen.

SZ: Sie meinen Philipp Lahm, der jüngst in einem Interview sagte: "Meine Ansichten zu demokratischen Grundrechten, zu Menschenrechten, zu Fragen wie persönlicher Freiheit oder Pressefreiheit finde ich in der derzeitigen politischen Situation in der Ukraine nicht wieder". Reicht das - und vor allem interessiert das in der Ukraine jemanden?

Shetty: Die Spieler und vor allem die Sportverbände dürfen sich nicht rausreden und einfach sagen "Fußball und Menschenrechte haben nichts miteinander zu tun." Was Phillip Lahm gesagt hat, ist da ein guter Anfang.

SZ: Von Uefa-Präsident Michel Platini wurde er dafür aber heftig kritisiert. Platini sagt über sich selbst, er mache keine Politik, sondern nur Fußball.

Shetty: Niemand kann sich jetzt so herausreden. Die Probleme in der Ukraine sind da und sie dürfen nicht ignoriert werden. Die ukrainische Polizei zum Beispiel ist für die Bewachung der Stadien zuständig und sie ist für die Misshandlung von Schwulen und Ausländern bekannt. Wenn jemand mit denen zu tun bekommt, kann er sich nicht sicher sein, auch fair behandelt zu werden. Das ist die Realität und das sollten sich alle Besucher der Europameisterschaft bewusst machen.

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