American Football:Spott und Schmerzen

Corey Coleman

Gebeutelt und ohne Beute: Clevelands Corey Coleman verliert den Ball.

(Foto: Keith Srakocic/AP)

Cleveland gilt als die traurigste Sportstadt der USA. Kein Wunder, dass den erfolglosen Browns in dieser Saison gar kein Sieg mehr gelang.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt diesen einen Spielzug, der die Saison der Cleveland Browns treffender zusammenfasst, als es Ergebnisse jemals könnten: Quarterback DeShone Kizer entkam am Sonntag den Gegenspielern und warf den Ball präzise auf den ungedeckten Corey Coleman, es war die letzte, auf dem Silbertablett präsentierte Chance auf den Sieg. Coleman jedoch griff daneben, wie nur jemand danebengreifen kann, der absichtlich danebengreift - und wurde noch während der ersten Verblüffung über dieses groteske Missgeschick von einem Verteidiger der Pittsburgh Steelers gewaltsam vom Spielfeld entfernt. Nur selten verdichten sich Schaden, Spott und Schmerzen so wie in diesen drei Sekunden.

Man kann den bereits zuvor für die Playoff-Runden qualifizierten Steelers nicht vorwerfen, dass sie nicht viel dafür getan hätten, die letzte Partie der Hauptrunde gegen die Browns zu verlieren. Sie schonten Spielmacher Ben Roethlisberger, Laufspieler Le'Veon Bell, Passempfänger Antonio Brown sowie die Linemen Maurkice Pouncey und David DeCastro. Die Browns verloren dennoch 24:28 und beenden die Saison ohne Sieg. Eine Bilanz von 0:16, das ist in der Football-Profiliga NFL bislang nur den Detroit Lions 2008 passiert.

Die Sportfans in Cleveland müssen wieder eine Enttäuschung verarbeiten, es dürfte sich, bei allem Mitgefühl für die Leute in San Diego, Buffalo und Milwaukee, um die traurigste Sportstadt der USA handeln. In den vergangenen 53 Jahren haben nur die Cavaliers (im Basketball 2016) einen Titel gewonnen. Clevelands Teams sorgen in der Regel für spektakuläre Spielzüge, die mit zwei Worten in Erinnerung bleiben: Der Letzte-Sekunde-Wurf des Basketballers Michael Jordan aus Chicago im Jahr 1989 heißt "The Shot", das Comeback von Denvers Footballern 1987 "The Drive", deren Sieg ein Jahr später "The Fumble". Die Gemeinsamkeit all dieser Momente: Verlierer waren jeweils Teams aus Cleveland.

Die Regeln im US-Sport sind auf Chancengleichheit ausgelegt, das gilt für die Gehaltsobergrenze ebenso wie für das Recht der in der Vorsaison erfolglosen Mannschaften, zuerst talentierte Nachwuchskräfte auszuwählen. Die Folge ist, dass in der NFL seit zwölf Jahren (New England Patriots), in der Baseballliga MLB seit 17 Jahren (New York Yankees) und in der Eishockeyliga NHL gar seit 19 Jahren (Detroit Red Wings) kein Klub mehr den Titel verteidigt hat. Aber warum in aller Welt sind die Browns dann seit Jahren so schlecht?

Die vergangene Saison war mit einer Bilanz von 1:15 ja auch nicht viel besser als die aktuelle. In den vergangenen zehn Jahren hat der Klub insgesamt 38 Spiele gewonnen - und 122 verloren. Die Browns haben in diesem Zeitraum 18 Spielmacher ausprobiert, darunter den Partyhengst Johnny Manziel und den stets verletzten Robert Griffin. Die Browns dürfen nun wieder zuerst ein Talent wählen, doch Nachwuchs-Spielmacher Josh Rosen sagte bereits: "Ich würde lieber später gewählt werden als früher vom falschen Team." Heißt übersetzt: Ich will nicht zu den Browns!

Ein Grund für die Erfolglosigkeit ist das Unvermögen der Klubführung, einen ordentlichen Regisseur zu wählen. Natürlich hat kein Manager eine Kristallkugel, mit der er die Zukunft junger Spielmacher wie Carson Wentz (nun bei den Philadelphia Eagles), Dak Prescott (Dallas Cowboys) oder Deshaun Watson (Houston Texans) vorhersehen kann. Es erscheint jedoch, als würden die Browns so eine Kugel besitzen und dann zielsicher jene Spieler wählen, die sie nun wirklich nicht gebrauchen können. Sie schaffen es nicht einmal, einen unterdurchschnittlichen Quarterback zu verpflichten. Als sie während dieser Saison AJ McCarron von den Cincinnati Bengals haben wollten, reichten sie trotz Einigung die nötigen Papiere zu spät ein.

Es soll aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass diese Spielzeit eine Verkettung höchst unglücklicher Umstände gewesen ist: Der beste Nachwuchsspieler Myles Garrett war lange verletzt, die Schiedsrichter nahmen den Browns bei der wohl skurrilsten Fehlentscheidung der Saison gegen die Washington Redskins den Ball und damit den Sieg weg; gegen die Bengals verloren sie auch deshalb, weil A.J. Green der spektakulärste Fang der Spielzeit gelang. Nur: All das interessiert kaum jemanden, am Ende steht da eben eine Saison ohne Sieg.

Das lässt die wunderbar melancholischen Fans der Browns - mehr als 30 000 haben sich bereits für einen Trauermarsch am 6. Januar ums Stadion herum angemeldet - auf eine bessere Zukunft hoffen. Die Browns dürfen nicht nur an Platz eins wählen, sondern wegen günstiger Umstände am letzten Spieltag (und Fehlplanung zuvor) auch noch an vierter Stelle. Myles Garrett dürfte dann genesen sein, dazu kann der Klub aufgrund einer Erhöhung der Gehaltsobergrenze mehr als 111 Millionen Dollar an Salär in neue Spieler investieren.

Natürlich könnten die Browns wieder Strategien entwickeln, die Chance auf einen Neuanfang zu vermasseln, indem sie etwa Hue Jackson trotz einer 1:31-Bilanz als Cheftrainer behalten. Besitzer Jimmy Haslam hat am Sonntag bereits verkündet, dass er genau das tun will. Was soll man den Browns-Fans da noch zurufen? Außer: 2018 wird ganz bestimmt das Jahr der Browns. Schon allein deshalb, weil es nicht schlimmer kommen kann als in 2017.

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