American Football:Naturgewalt, die immer grinst

NFL: Tampa Bay Buccaneers at Carolina Panthers

Schwer zu fassen: Die Ein-Mann-Naturgewalt Cam Newton.

(Foto: Jeremy Brevard/USA Today Sports)
  • Cam Newton, Quarterback der Carolina Panthers, ist die polarisierende Figur in der NFL.
  • Manche sehen in ihm einen Helden, andere finden ihn arrogant. In jedem Fall ist er eine Ein-Mann-Naturgewalt.
  • Mit seinem Team trifft er nun im NFL-Viertelfinale auf die Seattle Seahawks.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt ein wunderbares Gedicht der amerikanischen Autorin Karen Beaumont, es heißt I Like Myself und enthält folgende Textzeile: "Sie nennen mich einen närrischen Hund. Ein verrücktes Huhn, na und? Du musst eines erkennen: Ich habe zu viel Spaß, als dass mich irgendwas aus der Fassung bringen könnte." Der Footballspieler Cam Newton besucht einmal pro Woche einen Kindergarten in Charlotte, höchstwahrscheinlich hat er den Schülern dieses Gedicht schon vorgelesen und sich gefragt, ob da wirklich ein kleines Kind gemeint ist - oder vielleicht doch er, der verrückte Hund der nordamerikanischen Profiliga NFL.

Newton ist der Spielmacher der Carolina Panthers. Die haben in der regulären Saison nur eine Partie verloren, am Sonntagabend spielen sie im Viertelfinale gegen die Seattle Seahawks (19 Uhr, live auf Pro 7 Maxx).

Zu behaupten, dass Newton eine polarisierende Person ist, wäre eine Untertreibung - so, als würde man sagen, dass man sich beim Football schon wehtun kann. Wie bei einem Rorschachtest (dem psychologischen Verfahren, bei dem der Patient Tintenkleckse vorgelegt bekommt) sehen die Menschen in Cam Newton, was sie sehen möchten. Es gibt jedoch nur zwei Möglichkeiten: Sie sehen einen strahlenden Helden - oder sie sehen einen arroganten Trottel.

Ist er kreativ oder arrogant? Fröhlich oder herablassend?

Es beginnt mit diesem Grinsen. In einer Sportart, in der sich die Akteure Kriegsbemalung ins Gesicht schmieren, mit martialischen Gesten anfeuern und den Gegenspieler möglichst krachend zu Boden reißen, da grinst Newton. Andauernd. Manchmal sogar noch in den Momenten vor einem Spielzug oder auch dann, wenn er gerade von einem Gegner wild umgerissen worden ist. Ist das fröhlich oder herablassend?

Es geht weiter mit den Jubelarien nach Touchdowns, bei denen er zuerst den gerade in die Endzone gebrachten Football einem Kind auf der Tribüne überlässt, dann einen Superhelden oder ein Flugzeug oder einen Roboter imitiert und schließlich mit dem Kollegen Joe Webb einen Drei-Punkte-Wurf beim Basketball imitiert. Ist das kreativ oder arrogant? Vor allem, wenn er nach einer besonders exzessiven Feierei und einer anschließenden Rangelei mit Gegenspielern sagt: "Wenn Euch das nicht passt, dann sorgt dafür, dass ich nicht in die Endzone gelange."

Das Gedicht von Karen Beaumont geht weiter, gleich danach heißt es: "Egal, ob sie alle anhalten und mich anstarren: Niemand, niemals, nirgends kann mir das Gefühl geben, dass das, was die Menschen da sehen, schon alles ist, was mich ausmacht."

Zu sehen gab es in dieser Saison eine ganze Menge. Er brachte 35 Touchdown-Pässe an, zehn Mal lief er selbst in die gegnerische Endzone. Newton war schon immer eine Ein-Mann-Naturgewalt - 110 Kilogramm verteilen sich auf eine Körpergröße von 1,95 Meter, für einen 40-Yard-Sprint braucht er dennoch weniger als 4,6 Sekunden -, aber in seinen mittlerweile fünf Profijahren hat er sich obendrein zu einem umsichtigen Passgeber entwickelt. Er ist nicht mehr nur einer, der selbst gut aussieht. Er ist nun auch einer, der die anderen gut aussehen lässt. Er gilt deshalb als Favorit, als wertvollster Spieler der Liga ausgezeichnet zu werden.

Nur: Was die Zuschauer in dieser Saison von Cam Newton zu sehen bekommen, ist längst nicht alles, was diesen jungen Mann ausmacht.

"Hat Probleme mit Autorität"

Vor ein paar Jahren im College, an der University of Florida, wurde er suspendiert, weil er einen Laptop gestohlen haben soll - dabei hatte er nur den Computer vom wirklichen Dieb gekauft. Später, an der Auburn University, wurde ihm vorgeworfen, dass er bei den Prüfungen betrogen habe, dass er gerne durch die Clubs ziehen würde und dass sein Vater Cecil Geld bekommen habe. Es gab eine intensive Untersuchung des Verbandes NCAA, das Ergebnis: Newton trinkt keinen Alkohol, er hat nicht betrogen und kein Geld genommen. Sein größtes Vergehen war, dass er hin und wieder keinen Fahrradhelm auf dem Weg zum Training getragen hatte.

Dennoch blieb von den Anschuldigungen etwas hängen, als es darum ging, welches Profiteam ihn im Jahr 2011 auswählen würde - und einiges hatte mit seiner Hautfarbe zu tun. Cam Newton ist ein schwarzer Profi, und prompt hieß es, er werde als Quarterback in der NFL scheitern wie zahlreiche schwarze Spielmacher vor ihm. Cam Newton, der Dieb. Cam Newton, der Betrüger. Cam Newton, der arrogante Sack.

Es gibt einen mittlerweile berühmten, womöglich gar berüchtigten Report des Talentspähers Nolan Nawrocki aus dem Jahr 2011, darin heißt es: "Hat ein falsches Lachen, kommt berechnend und egoistisch rüber. Glaubt, er stünde über dem Gesetz. Hat Probleme mit Autorität. Wird immer Schwierigkeiten haben, Kameraden für sich zu gewinnen. Sucht andauernd nach Abkürzungen. Ihm fehlen Verantwortungsbewusstsein, Zielstrebigkeit - man kann sich nicht auf ihn verlassen."

Im Gedicht von Beaumont heißt es dazu: "Es ist mir so richtig egal, was jemand von mir denkt oder über mich zu sagen hat."

Die bisher einzige Saison-Niederlage fuchst ihn noch immer

Newton schert sich nicht besonders darum, was die Menschen über ihn sagen. Er gibt keine Interviews außer denen, die von der NFL vorgeschrieben sind. Er grinst. Er tanzt. Er sorgt für Punkte - mit exakt 500 die meisten in der regulären Saison. Er hat seinen Verein zum dritten Mal nacheinander in die Playoffs geführt, in der vergangenen Saison haben die Panthers in dieser Runde gegen die Seahawks verloren.

Für die Beurteilung seiner sportlichen Leistung in dieser Saison ist die Partie gegen Seattle nahezu irrelevant, weil es dazu keine zwei Meinungen geben kann. Für Newton selbst jedoch ist die Revanche von großer Bedeutung. Die einzige Niederlage in dieser Spielzeit (13:20 am vorletzten Spieltag bei den Atlanta Falcons) ärgere ihn noch immer, sagt er. Sie sei nur zu verschmerzen, wenn die Panthers am Ende die Super Bowl gewännen. Was ihm von dieser Saison in Erinnerung bleibe, wurde er kürzlich gefragt. "Diese Niederlage", sagte er: "Wir hätten nicht verlieren dürfen." Als er das sagte, grinste er nicht - womöglich zum ersten Mal in dieser Spielzeit.

Zwei Sekunden später jedoch ging es schon wieder um die Playoffs, um diese Partie gegen Seattle und seinen möglichen Beitrag dazu - und schon grinste Cam Newton wieder. Das Gedicht von Karen Beaumont übrigens endet mit dem Satz: "Ich mag mich selbst, weil ich ich bin."

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