American Football:Gehirnwäsche macht Tom Brady noch stärker

NFL: Brady imposes media blackout on father

Steht schon zum siebten Mal in einem NFL-Finale: Quarterback Tom Brady.

(Foto: AFP)

Der Quarterback hat die New England Patriots zum siebten Mal ins NFL-Finale geführt. Sein Erfolgsgeheimnis ist erstaunlich simpel.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Tom Brady war deprimiert. Er fühlte sich missverstanden, ignoriert, gedemütigt. Er wollte hören, welch grandioser Athlet er doch sei. Was er hörte: "Wen zur Hölle würde es interessieren, wenn du abhaust? Du hast hier bislang einen Scheißdreck geleistet. Du willst aufhören? Dann hau ab!" 20 Jahre ist es her, dass Brady als Student der University of Michigan im Büro von Greg Harden saß - und wer verstehen will, warum der Quarterback der New England Patriots nun als einer der besten in der Geschichte seiner Zunft gilt, der sollte von dieser Begegnung wissen.

Harden ist der stellvertretende sportliche Leiter der Universität, er hat späteren Weltklassesportlern wie Michael Phelps (Schwimmen) und Jalen Rose (Basketball) geholfen. Wer Probleme hat mit dem Trainer oder mit Mitspielern, der hört Sätze von erstaunlicher Schlichtheit: "Sport ist nur das, was du machst - es ist nicht, wer du bist." Er komprimiert komplizierte Gedanken junger Sportler zu einfachen Botschaften fürs nächste Training oder Spiel, auf seinem Schreibtisch steht ein Spruch: "Kontrolliere das Kontrollierbare."

Das nächste Spiel der Patriots ist der Super Bowl, sie treffen am Sonntag in Houston auf die Atlanta Falcons (ab 22.55 Uhr, live auf Sat.1). Es ist ihre siebte Teilnahme am Finale der amerikanischen Profiliga NFL innerhalb von 16 Jahren, viermal haben sie den Titel gewonnen: 2002, 2004, 2005, 2015. Sie dominieren eine Liga, die auf Chancengleichheit ausgelegt ist und sich nach dem Dafürhalten der Einwohner von Boston, der Heimat der Patriots, zuletzt sehr angestrengt hatte, damit die Patriots nicht schon wieder erfolgreich sind.

Brady, 39, wurde vorgeworfen, beim Halbfinale vor zwei Jahren etwas kontrolliert zu haben, das er nicht hätte kontrollieren dürfen: Die Patriots sollen den Luftdruck der Bälle manipuliert haben, was erheblichen Einfluss auf das Flugverhalten haben kann. Nach juristischen Scharmützeln wurde Brady für die ersten vier Partien dieser zu Ende gehenden Saison suspendiert. Er begann sie also dort, wo er schon vor 20 Jahren oft zu finden war: als beteiligter Zuschauer neben dem Spielfeld.

In jungen Jahren stand sich Tom Brady noch selbst im Weg

"Als Tom damals zu mir kam, war er ziemlich nahe an einer Depression", sagt Harden. In vielen Sitzungen brachte ihm Harden bei, Sport nicht so verbissen zu sehen: "Er brauchte nur einen Ort, an dem er seine Sorgen lassen durfte, damit er sich ausschließlich auf Sport konzentrieren konnte." Aus dem deprimierten Teenager wurde ein selbstbewusster Anführer, der während Auszeiten in kniffligen Situationen seinen Trainer nicht panisch um Rat fragt, sondern sagt: "Krasses Spiel heute, oder?" Harden sagt dazu: "Er ist auf dem Spielfeld so Zen wie ein buddhistischer Mönch, er befindet sich im Hier und Jetzt."

Vier Mal New England - Alle Super Bowls seit 1999

1999 Denver Broncos - Atlanta Falcons 34:19

2000 St. Louis Rams - Tennessee Titans 23:16

2001 Baltimore Ravens - NY Giants 34:7

2002 New England - St. Louis Rams 20:17

2003 Tampa Bay - Oakland Raiders 48:21

2004 New England - Carolina Panthers 32:29

2005 New England - Philadelphia Eagles 24:21

2006 Pittsburgh - Seattle Seahawks 21:10

2007 Indianapolis Colts - Chicago Bears 29:17

2008 NY Giants - New England Patriots 17:14

2009 Pittsburgh - Arizona Cardinals 27:23

2010 New Orleans - Indianapolis Colts 31:17

2011 Green Bay Packers - Pittsburgh 31:25

2012 NY Giants - New England Patriots 21:17

2013 Baltimore Ravens - San Francisco 34:31

2014 Seattle Seahawks - Denver 43:8

2015 New England - Seattle 28:24

2016 Denver - Carolina Panthers 24:10

Zu Beginn seiner Profikarriere traf Brady auf Patriots-Trainer Bill Belichick, der einen ähnlich simplen Zugang zu Sportlern pflegt wie Harden. "Er unterzieht dich einer Gehirnwäsche", sagt Brady: "Es geht nie um einen Akteur, einen Spielzug, eine Situation. An der Wand in unserer Kabine hängt ein Plakat, auf dem steht: Du musst das Richtige fürs Team tun, auch wenn es nicht das Richtige für dich sein mag." Natürlich behaupten 100 Prozent aller Trainer, dass der Erfolg des Kollektivs wichtiger sei als die Interessen des Individuums, doch nur wenige setzen das konsequent um - und kaum jemand kontrolliert das Kontrollierbare so virtuos wie Belichick.

Brady reduziert die Komplextheit des Sports auf schlichte Gedanken

Der Coach kreierte aus Bradys Sperre eine Wir-gegen-die-Welt-Situation. Überall in Boston waren Schilder mit der Aufschrift "Free Brady" zu sehen - noch immer ist nicht geklärt, ob die Bewohner diese selbst produziert oder von einer dem Klub nahestehenden Firma bekommen hatten, damit die Spieler sie auf dem Weg zum Training passierten. Belichick stellte die komplette Strategie auf Ersatzmann Jimmy Garoppolo um und nach dessen Verletzung auf Neuling Jacoby Brissett. Er vermittelte seinen Akteuren, das Fehlen Bradys als Chance fürs Kollektiv zu begreifen.

Es funktionierte: Die Patriots gewannen drei der vier Partien ohne Brady, darunter gegen die späteren Playoff-Teilnehmer Miami Dolphins und Houston Texans. "Jeder im Kader ist jederzeit bereit. Es gibt in diesem Klub keine Verschnaufpause, immer nur Vollgas", sagt Passempfänger Matthew Slater: "Das ist anstrengend, macht uns jedoch unberechenbar und bereit für Unvorhergesehenes." Brady schob die Wut auf NFL-Chef Roger Goodell (der Brady suspendiert hatte) beiseite, er kontrollierte nach seiner Rückkehr das Kontrollierbare: Er führte die Patriots zu elf Siegen in zwölf Spielen und zu klaren Erfolgen in den Playoffs: 34:16 gegen die Texans, 36:17 gegen die Pittsburgh Steelers. Dabei fehlte der verletzte Rob Gronkowski, der beste Tight End der Liga. Ersatzmann Martellus Bennett fing gegen Pittsburgh alle fünf zu ihm geworfenen Bälle.

Wer Brady in dieser Spielzeit beobachtet hat, dürfte bemerkt haben, dass er die Reduktion komplizierter Gedanken auf schlichte Botschaften von Harden und Belichick übernommen hat und so zum Anführer wurde. Brady quält sich über Fitness und Ernährung (als einziges Laster gilt Avocado-Eiscreme) derart, dass sein Drill zur simplen Botschaft an die Mitspieler wird: Wenn selbst der Star das alles macht, um sich in Form zu bringen, dann muss doch jeder mitziehen.

Natürlich wirkt all das unglaublich banal und als Antwort schrecklich unbefriedigend auf die Frage, warum Brady und die Patriots dauerhaft so erfolgreich sind. Denn Football ist ein schrecklich komplexer Sport mit unzähligen komplizierten Spielzügen, und die Dramaturgie eines Spiels, eines Finales entwickelt einen enormen Druck auf die zentrale Figur, den Quarterback. Die Partie am Sonntag werden weltweit mehrere Hundert Millionen Menschen live verfolgen. Und Bradys Saison wird bereits als Rache interpretiert, mit dem möglichen Ende, dass der vermeintliche NFL-Bösewicht Roger Goodell, der ihn gesperrt hat, dem möglichen Helden die Trophäe überreichen muss.

Warum Tomy Brady während den Partien kaum schwitzt

Könnte es sein, dass all diese Banalitäten nötig sind, um vor so einem Spiel nicht verrückt zu werden? Dass Floskeln der Grund für Erfolg sind? Dass Brady seinen Lieblingssatz ("Ich denke nicht an die Sperre oder an die Geschichtsbücher, ich konzentriere mich nur auf das Spiel") nicht nur sagt, sondern tatsächlich meint? Dass er - wie Trainer Belichick und Patriots-Besitzer Robert Kraft ein Freund des US-Präsidenten Donald Trump - nun sagt: "Was gerade in der Welt los ist? Ich habe nicht wirklich aufgepasst." Dass diese Aussage kein berechnendes Ausweichen eines Medienprofis ist, sondern tatsächlich naiv sein könnte? Dass er sich und seine Welt so simplifiziert, dass er nur an diese eine Partie gegen die Atlanta Falcons denkt?

"Es gibt einen Grund dafür, warum er während Partien kaum schwitzt", sagt Harden. Brady betrachte den Super Bowl nicht als globales Spektakel. Er, obwohl mit einem Weltstar, dem brasilianischen Modell Gisele Bündchen verheiratet, schert sich nahezu nicht um Werbefilme oder Auftritte von Popstars. Er sagt Sätze von erstaunlicher Schlichtheit wie: "Ich habe nie Football gespielt, weil ich der Beste sein wollte, sondern weil ich diesen Sport liebe." Er reduziert dieses Finale auf das, was es letztlich ist: ein Spiel. In diesem Spiel ist Brady einer der besten Akteure der Geschichte - nicht trotz seiner schlichten Gedanken, sondern genau deswegen.

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