Amateurfußball:Der kafkaeske Abstieg des SV Wilhelmshaven

Zwangsabstieg des SV Wilhelmshaven unwirksam

Bessere Zeiten: Im DFB-Pokal spielt Wilhelmshaven gegen den BVB. Marco Reus schießt die Ecke.

(Foto: dpa)

Der kleine Klub legte sich mit der Fifa an und landet nun in der Bezirksliga. Im Juli urteilt der Bundesgerichtshof und dann soll alles besser werden. Ein Besuch.

Reportage von Thomas Hahn

Frauke Lohmann-Herrnberger ist mit dem SV Wilhelmshaven verheiratet. Das heißt: In Wirklichkeit ist sie mit dem Zahnarzt Hans Herrnberger verheiratet, aber in 15 Jahren Ehe hat sie feststellen dürfen, dass das im Grunde auch bedeutet, an den SV Wilhelmshaven gebunden zu sein. Denn Herrnberger ist mit einer kurzen Unterbrechung seit 1983 der ehrenamtliche Vorsitzende dieses Fußballvereins. Rettungslos ist Herrnbergers Leben mit dem Fortkommen des Klubs verwachsen, was wiederum ein ganz besonderes Schicksal ist, wenn man die jüngste Geschichte des SV bedenkt und diesen monströsen Konflikt gegen die großen Verbände, der alles rund ums Jadestadion infrage gestellt hat.

Frauke Lohmann-Herrnberger ist also mit hineingeraten in diesen Sog, in dem es in den vergangenen Jahren auf fast kafkaeske Weise bergab ging. Aber ihre Intuition sagt ihr jetzt, dass bald wieder eine bessere Zeit anbricht. Am 5. Juli genau, wenn der Rechtsstreit des SV Wilhelmshaven gegen den Norddeutschen Fußballverband (NFV) vor den Bundesgerichtshof in Karlsruhe kommt. Sie will nichts beschreien. Aber gerecht wäre der Erfolg des SVW, da ist sie ganz sicher, da hat sie keinen Zweifel. Denn dieses ganze Geschehen der vergangenen Jahre: "Das kann man so nicht lassen."

Es ist ein herrlicher Sommerabend im Jadestadion von Wilhelmshaven im Norden Niedersachsens, der Saisonabschluss der Heimmannschaft. Der gepflegte Platz steht in saftigem Grün, die Sonne scheint über der hübschen 7500-Zuschauer-Arena, der Himmel ist blau. Trotzdem liegt Tristesse über der Szene, das Spiel auf dem Feld will irgendwie nicht hineinpassen in diese Kulisse. Die Tribünen sind leer. Man hört die Spieler rufen, man hört die dumpfen Schläge, die ihre Pässe begleiten, und ein Vogel schreit. Der SC Türkgücü Osnabrück ist zu Gast in der Landesliga Weser-Ems und gewinnt 2:1, was für den SVW auch schon egal ist. Das Team war schon vorher in die Bezirksliga abgestiegen, siebte Liga. Es ist der Tiefpunkt, und Hans Herrnberger sagt: "Wenn man das hier heute sieht, dann tut's einem weh."

Früher spielte der Klub in der dritten Liga

Nach dem Spiel sitzt er in der Business-Lounge, von der aus man auf Kinosesseln durch eine Scheibe ins Jadestadion schauen kann und die natürlich auch leicht überdimensioniert ist für einen Landesliga-Absteiger. "Wir haben mal dritte Liga gespielt", sagt Herrnberger wie zur Entschuldigung, damit keiner glaubt, sein Klub lebe hier in einem Fußballpalast, der aus Größenwahn gewachsen ist. Er weiß natürlich, warum sein SV Wilhelmshaven derart in Schieflage geraten ist, dass er jetzt im eigenen Stadion wirkt wie ein Westentaschencowboy im Königsschloss. Das Unglück kam von oben, von den Verbänden, vom Fußball-Weltverband Fifa und seinen deutschen Vertretern DFB und NFV. Der Zwangsabstieg aus der Regionalliga, der den SVW im November 2013 wegen einer verwirrenden Transfergeschichte ereilte, hat alles durcheinander gebracht. "Diese Entscheidung", sagt Herrnberger, "hat den Verein fast ruiniert."

Was ist das für eine seltsame Geschichte? Was ist passiert, dass sich ein kleiner Verein von den Institutionen, auf deren Gerichtsbarkeit er sich verlassen muss, heimgesucht fühlt wie von einer Naturgewalt, die sein ganzes Leben umkrempelt. Für die Auflösung des ganzen Falles muss man wirklich das Urteil des Bundesgerichtshofs am 5. Juli abwarten. Allerdings gibt es ein Urteil des Oberlandesgerichts in Bremen vom Dezember 2014, das der NFV anficht und das sagt, dass der Sport im Fall des SV Wilhelmshaven am deutschen und europäischen Rechtsstaat vorbei geurteilt hat. Die unselige Geschichte begann Anfang 2007, als der SVW Sergio Sagarzazu verpflichtete, einen 19-Jährigen mit italienischem Pass, der auf dem Platz keinen bleibenden Eindruck hinterließ, sehr wohl aber am grünen Tisch. Denn Sagarzazus frühere Vereine, Atlético River Plate und Atlético Excursionistas aus Argentinien, forderten in der Saison nach der Ankunft des Spielers zusammen 160 000 Euro Ausbildungsentschädigung für Sagarzazu. Das wirkte überzogen, wenn man bedachte, dass der Vertrag Sagarzazus nur für ein halbes Jahr lief, dass er ein eher bescheidenes Gehalt vorsah und der SVW in der Regionalligist spielte. Und schon gar nicht passte es zum Recht auf freie Arbeitsplatzwahl, das Sagarzazu als Inhaber eines italienischen Passes in Europa zustand.

Trotz allem: In Wilhelmshaven wollen sie positiv denken

Harald Naraschewski, Aufsichtsratschef des Vereins und Anwalt, focht die Forderung an. Der SV Wilhelmshaven zahlte nicht. Die Verbände stellten sich auf die Seite der Argentinier, weil deren Forderungen nach den Fifa-Statuten rechtens seien. Vor allen Instanzen der Sportgerichtsbarkeit verlor der SV Wilhelmshaven. Musste Geldstrafen hinnehmen, zwei Mal sechs Punkte Abzug in den Spielzeiten 2011/12 und 2012/13, was auch schon fast zum Abstieg geführt hätte. Und im November 2013 folgte schließlich die ultimative Abstiegsstrafe: die Zwangsversetzung aus der Regionalliga nach unten. Mitten in der Saison wurde das Urteil bekannt. "Da können Sie sich vorstellen, dass die Spieler jegliche Motivation verlieren und alle Sponsoren sagen, wozu sollen wir Euch noch unterstützen", sagt Hans Herrnberger.

Er sieht ein bisschen geschafft aus nach der lauen Landesliga-Partie seines SVW in der Hitze. Wenn er die Geschichte seines Vereins jetzt durchgeht, springt ihn noch einmal der ganze Irrsinn der vergangenen Jahren an. Um den Aufstieg in die zweite Liga haben sie hier schon gespielt. 2013 gab es ein tolles DFB-Pokalspiel gegen Borussia Dortmund. Dazwischen lag eine Insolvenz, weil der Anwalt die Lizenzunterlagen zu spät an den DFB gefaxt hatte. Hoch und Tief kannte Herrnberger beim SVW. Aber diese Geschichte, in der Niederlagen von oben kommen und sich wie eine Krankheit über den Betrieb legen? "Sie sehen doch", sagt Herrnberger, "das ist eine deprimierende Situation."

Positives Denken haben sie sich verschrieben. Nach dem Frust durch den Zwangsabstieg haben sie den Verein wieder etwas aufgeforstet. Die Jugendabteilung wirkt wieder vitaler. Und Hoffnung ist auch da, es gibt sogar ein Datum dazu. "Wir werden wieder bessere Zeiten haben, und diese besseren Zeiten werden wir nach dem 5. Juli haben, da bin ich mir ganz sicher", sagt Hans Herrnberger. Bei diesem Auswärtstermin vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Seine Frau ermahnt ihn jetzt ein bisschen. Bloß nicht zu früh freuen. Aber in Wirklichkeit glaubt sie natürlich selbst dran, dass diese seltsame Geschichte gut ausgeht für den SV Wilhelmshaven. Sie findet, das wäre der gerechte Lohn dafür, durchgehalten zu haben im Kampf gegen die Verbände.

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