Alpine Kombination:Lieben und weinen

Die Amerikanerin Lindsey Vonn findet auch ohne Goldmedaille den Frieden mit ihren letzten Spielen - und ihren Teamkolleginnen.

Von Johannes Knuth

Die Geschäftsübergabe fiel eher knapp aus. Lindsey Vonn rutschte ins Ziel, sie zog die drei Glücklichen kurz zu sich, die gerade die Medaillen in der alpinen Kombination gewonnen hatten: Michelle Gisin, die Olympiasiegerin aus der Schweiz, die Amerikanerin Mikaela Shiffrin, Gisins Landsfrau Wendy Holdener. Dann verschwand Vonn aus dem Zieleinlauf. Die Amerikanerin hatte auf dieser Bühne viele Erfolge zelebriert, vor all den Fernsehkameras und Scheinwerfern, die manchmal nur für sie aufgebaut zu sein schienen. Jetzt gehörte die Bühne den anderen. Die alpine Kombination am Donnerstag in Jeongseoon war Vonns letztes olympisches Rennen gewesen.

Die Winterspiele in Südkorea hätten noch mal ein Ausrufezeichen hinter ihrer olympischen Vita sein sollen. Bei Olympia hatte die 33-Jährige bislang ja wenig zusammengetragen, für ihre Verhältnisse zumindest. Vonn hatte 2010 die Abfahrt in Vancouver gewonnen und eine Bronzemedaille dazu; der Olympiasieg gewährte ihr damals auch Einlass auf rote Teppiche, in Fernsehserien und Talkshows. Aber an Amerikas erfolgreichste Olympionikinnen im Alpinsport kam Vonn nie ganz heran, an Julia Mancusos vier Medaillen oder Shiffrins zwei Olympiasiege.

Alpine Kombination: Kann schon wieder Witze machen: Die geschlagene Amerikanerin Mikaela Shiffrin belustigt die Olympiasiegerin Michelle Gisin (rechts).

Kann schon wieder Witze machen: Die geschlagene Amerikanerin Mikaela Shiffrin belustigt die Olympiasiegerin Michelle Gisin (rechts).

(Foto: Martin Bernetti/AFP)

Vonn und Olympia, das blieb auch in Pyeongchang eine komplizierte Beziehung. Im Super-G trieb es sie kurz von der Ideallinie, Platz sechs. Die Abfahrt beendete sie auf Platz drei; ihr Belag unter einem Ski war früh auf dem trockenen Schnee angeschmort. In der Kombination führte sie nach der Abfahrt, aber im abschließenden Slalom brauchte sie "ein Wunder", wie sie sagte, sie hat diese Disziplin in den vergangen Jahren kaum noch trainiert. Vonn startete als Letzte, die Konkurrenz wartete unten im Ziel, nach zehn Toren fädelte Vonn an einer Stange ein. Aber das war gar nicht so sehr das Problem.

Wenn Vonn in Pyeongchang über ihre letzten Spiele sprach (und danach oft weinte), dann klang sie immer auch wie eine, die in ihrer Karriere viel hinter sich und nicht mehr viel vor sich hat. "Ich werde Olympia vermissen", sagte sie, "ich liebe es, am Start zu stehen und so viel Druck zu haben, dass ich beinahe daran ersticke. Aber irgendwie wirfst du dich doch ins Rennen und fährst um eine Medaille." Sie hat noch ein kleines Projekt im Weltcup, fünf Siege fehlen ihr bis zu Ingemar Stenmarks 86 Erfolgen. Einen Winter will Vonn mindestens weiterfahren. "Aber wenn mein Körper nicht so wehtun würde", sagte sie, würde sie viele weitere Jahre an die Karriere knüpfen. Auch, weil sie nicht so recht wisse, womit sie den Nervenkitzel im Starthaus und der Abfahrt ersetzen soll.

Alpine Skiing - Winter Olympics Day 13

Aus der Traum: Lindsey Vonn, die Führende nach dem Abfahrtslauf, fädelt beim Kombinationsslalom ein und scheidet aus.

(Foto: Tom Pennington/Getty Images)

Wenn etwas zu Ende geht, wird das Auge des Betrachters gnädiger. "Ich nehme viele Erinnerungen mit nach Hause", sagte Vonn am Donnerstag über ihr olympisches Abenteuer, "ich hatte eine tolle Zeit mit meinen Teamkameradinnen. Es war ein großartiger Ritt." Es gab freilich auch Zeiten, da war das mit den Teamkameradinnen so eine Sache. Vor den Spielen in Vancouver hatte sich Vonn mit ihrem damaligen Mann und Trainer Thomas abgenabelt, sammelte Wissen über Wetter, Piste und Trainingsorte, das sie für sich behielt. Sie nannten sich damals: die Vonntourage. Weggefährten begründeten das auch mit Vonns Drang, all das in Erfolgen zurückzuzahlen, was ihre Familie einst für sie geopfert hatte. In Pyeongchang sagte Vonn: "Wenn du älter wirst, bist du dankbarer für das Leben und deine Erfahrungen." Sie habe zuletzt sogar probiert, das Konzept der norwegischen Fahrer zu kopieren, die ihr Wissen teilen und viel Zeit miteinander verbringen. "Ich glaube, du kannst sehr viel mehr erreichen, wenn du dir hilfst", sagte Vonn. Ein Geschenk an die Jüngeren, wenn auch ein spätes.

Shiffrin, die durchaus befähigt ist, Vonns Rekorde im Weltcup irgendwann zu brechen, vertraut derzeit noch auf ein eigenes, kleines Privatteam. Sie verlor am Donnerstag in der Abfahrt viel Zeit auf Gisin, das kostete ihr zunächst ihren dritten Olympiasieg. Die Schweizer profitierten unterdessen noch mal davon, dass sie die Kombination in den vergangenen Jahren weiter gefördert hatten, im Gegensatz zu vielen anderen Nationen. Bis Peking 2022 wird der traditionsreiche Alpinzweikampf wohl verschwinden, und der Donnerstag in Jeongseon verdeutlichte noch einmal die Problematik: 32 Fahrerinnen hatten gemeldet, nur 18 erreichten das Ziel.

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