Algeriens WM-Elf von 1982:Saschas gelbe Pillen

Nationalmannschaft Algerien 1982

Nationalmannschaft Algerien 1982 Fußball, Algerien, Deutschland, WM 1982

Viele Spieler aus Algeriens "Goldener Generation" zeugten Jahre später behinderte Kinder. Der mögliche Grund: Ein Arzt soll die Fußball-Nationalspieler in den Achtzigern und Neunzigern ohne deren Wissen mit gefährlichen Dopingmitteln versorgt haben.

Von Claudio Catuogno, Rio de Janeiro

Am Anfang dachte Mohamed Kaci-Saïd, 56, dass es womöglich Allahs Wille war. Schicksal, Vorsehung. Wie man es eben nennt, wenn einem das Unerklärliche widerfährt. Ein gesundes Kind zu bekommen, ist ein großes Glück. Mohamed Kaci-Saïd war es nicht vergönnt.

"Meine Tochter Madina war die erste, die behindert auf die Welt gekommen ist", sagt er, "da denkt man erst mal an Pech." Da denkt man noch nicht an einen größeren Zusammenhang. An Fußball. "Aber dann findet man jeden Tag etwas Neues heraus, und man stößt auf diese Mauer des Schweigens." Inzwischen denkt Kaci-Saïd: "Wenn ich die Wahl hätte: den WM-Pokal oder die Gesundheit meiner Tochter, ich würde die Gesundheit meiner Tochter nehmen."

Aber Mohamed Kaci-Saïd hatte keine Wahl. Er hatte einen sowjetischen Trainer, der sowjetische Trainer brachte einen sowjetischen Arzt mit, und der sowjetische Arzt brachte gelbe Pillen mit und Beutelchen mit Pulver drin. So geht die Geschichte in Mohamed Kaci-Saïds Erinnerung. Er war Fußballer. Er schluckte das Zeug. Damals hat er sich noch nicht so viele Fragen gestellt.

Muskelschwund und Deformation

Die Tochter von Djamel Menad, 53, hat ebenfalls eine Behinderung, Muskelschwund, Deformationen, "und in ihrem Gehirn fehlt etwas", sagt Menad. Er muss seine Tochter stützen bei jedem Schritt. 21 ist sie inzwischen. Und seit 21 Jahren sucht Djamel Menad "nach Gründen, man fragt sich: Warum haben so viele von uns behinderte Kinder bekommen?" Ist das Unerklärliche womöglich gar nicht so unerklärlich?

Mohamed Chaïb, 57, wurde 1987 das erste Mal Vater einer Tochter. Sie litt an einer Muskelkrankheit und starb 2005. Chaïb und seine Frau ließen sich von einem DNA-Experten untersuchen, aber da war nichts zu finden. Die nächsten Kinder, sagte der Experte, würden gesund sein. 1999 kamen dann seine Zwillinge zur Welt. Beide wieder mit derselben Behinderung. Und in Mohamed Chaïb reifte die Erkenntnis: "Unsere sportliche Karriere ist der Grund für unsere behinderten Kinder."

Im Herbst 2011 haben Chaïb, Menad und Kaci-Saïd diese Geschichten der Öffentlichkeit erzählt, in Zeitungen und in einer Reportage des französischen Senders France 2. Alle drei waren algerische Nationalspieler, 1986 bei der WM in Mexiko dabei, sie zählten zu der "Goldenen Generation", die in den Achtzigerjahren für Aufsehen sorgte und 1990 den Afrika-Cup gewann. Drei ähnliche Karrieren, drei ähnliche Schicksale, dachten sie. Dann haben sie herausgefunden, dass sie nicht die Einzigen sind.

Sieben Nationalspieler mit behinderten Kindern

"Mindestens sieben" ehemalige Nationalspieler dieser Zeit haben laut algerischen Quellen später behinderte Kinder bekommen. Die Vermutung, dass ihnen - ohne ihr Wissen - Dopingmittel mit Nebenwirkungen verabreicht wurden, liegt auf der Hand.

Auch Rachid Hanifi, der seinerzeit als Arzt für die Nationalelf arbeitete, hält das für "möglich". Hanifi erinnerte sich, als die Affäre 2011 publik wurde, an den Russen Gennadi Rogow, der vor der WM 1982 und erneut ab 1986 algerischer Nationaltrainer war. Rogow habe einen sowjetischen Arzt mitgebracht, sagte Hanifi, der seine medizinischen Dossiers unter Verschluss gehalten habe. Hanifi will sich gar beim Sportminister beschwert haben - folgenlos.

Mohamed Chaïb hat versucht, seine medizinischen Unterlagen von damals einzusehen. Der Verband teilte ihm mit, die gebe es leider nicht mehr. Jetzt fragt Chaïb sich: "Kann das Zufall sein? Oder haben die etwas zu verbergen?" Dafür gibt es eine Reihe von Dementis. Mahieddine Khalef, Algeriens Trainer bei der WM 1982, behauptet: "Doping gab es damals in Algerien nicht." Und Ali Fergani, der Kapitän der 1982er Elf, beteuert, die Nationalelf habe nie mit ausländischen Betreuern gearbeitet. Zumindest das ist nachweislich falsch.

"Vitamine aus französischer und Schweizer Produktion"

Chaïb, Menad und Kaci-Saïd erinnern sich gut an den Arzt namens "Sascha" und seine Pillen und Pulver. France 2 hat diesen "Sascha" in einem Krankenhaus in Tscheljabinsk aufgetrieben, 1500 Kilometer östlich von Moskau: einen Professor namens Aleksander Tabartschuk, der einräumt, Algeriens Nationalelf seinerzeit behandelt zu haben. Aber nur mit "Vitaminen aus französischer und Schweizer Produktion". Bezahlt habe alles der algerische Verband.

Vor drei Jahren, als er das erste Mal öffentlich über seine behinderte Tochter sprach, sagte Mohamed Chaïb: "Wir wollen die Wahrheit." Er hatte sich einen Anwalt genommen, er forderte eine öffentliche Untersuchung. "Ich möchte meiner Tochter den Grund sagen können für ihre Krankheit." Es sieht nicht so aus, als sollte er in dieser Sache irgendwann Klarheit bekommen.

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