Afrika-Cup:Plötzlich Nationalspieler

Afrika-Cup: Für Marokko beim Afrika Cup: Aziz Bouhaddouz (l.) gegen Finnlands Juha Pirinen.

Für Marokko beim Afrika Cup: Aziz Bouhaddouz (l.) gegen Finnlands Juha Pirinen.

(Foto: Karim Sahib/AFP)

Aziz Bouhaddouz vom FC St.Pauli kennen viele für seine Liegestütze nach Toren, nun stürmt er beim Afrika-Cup für Marokko. Die Geschichte eines Aufstiegs von der Regionalliga auf die große Bühne.

Von Sebastian Fischer

Das Foto wäre nicht der Rede wert, würde in der vorletzten Reihe nicht dieser Mann stehen und selig lächeln. Das Foto bei Facebook vom 12. Januar zeigt das marokkanische Fußballnationalteam im Flugzeug nach Gabun. Vorne grinst der frühere Verteidiger des FC Bayern, Medhi Benatia, unter einer Basecap in die Kamera, dahinter drängen sich seine Mitspieler, die Finger zu Peace-Zeichen geformt, ein Fußballer-Foto eben. Hinten, da steht der Stürmer Aziz Bouhaddouz vom FC St. Pauli und fliegt zum Afrika-Cup. Obwohl er eigentlich gar nicht dort sein sollte.

Am Samstag hat in Gabuns Hauptstadt Libreville die 31. Auflage des Afrika-Cups begonnen. Und natürlich geht es dort mal wieder nicht nur um Fußball. Wie schon 2015, als der Kontinentalwettbewerb in Äquatorialguinea stattfand, ist der Austragungsort umstritten. Gabuns Präsident Ali-Ben Bongo Ondimba will mit dem Turnier von innenpolitischen Unruhen ablenken, die Arbeitslosigkeit im Land ist hoch, Demonstrationen werden niedergeschlagen, für die Zeit der Spiele haben Aktivisten Proteste angekündigt.

Andererseits ist der Afrika-Cup auch 2017 eine Bühne für schöne Geschichten. Erstmals ist zum Beispiel Guinea-Bissau dabei, ein von zwei Militärputschen geschwächtes Land mit 1,7 Millionen Einwohnern. Nach Meinung des Guardian war nie zuvor die Mannschaft einer wirtschaftlich derart unterentwickelten Nation bei einem großen Fußballturnier dabei.

"Ich genieße momentan jeden Tag"

Und dann ist da die Geschichte von Aziz Bouhaddouz, Stürmer, 29 Jahre alt. Vor gut zweieinhalb Jahren war er ein Regionalligaspieler in Leverkusen - nun ist er Stürmer für sein Geburtsland beim wichtigsten Turnier in Afrika und sagt: "Ich genieße momentan jeden Tag."

Wer Bouhaddouz 2014 für die zweite Mannschaft von Leverkusen in der Regionalliga West spielen sah, der erkannte einen Fußballer, der zu Höherem berufen war. 24 Tore schoss Bouhaddouz dort in 27 Spielen, seine Gegenspieler verzweifelten daran, sich der Wucht des 1,88 Meter großen Angreifers in den Weg zu stellen. Bouhaddouz war unterfordert, aber glücklich; seine Karriere schien damals erstmals in geordneten Bahnen zu verlaufen. Er wäre auch gerne in Leverkusen geblieben, sagte er damals, doch Bayer 04 schaffte als erster Verein in Deutschland seine zweite Mannschaft ab. Und die Karriere von Aziz Bouhaddouz begann noch mal neu.

In Sandhausen spendete er durch Liegestütze für Kinder in Kenia

Geboren in Berkane in Marokko, hatten ihn seine Eltern als Einjährigen mit nach Deutschland genommen. Bouhaddouz wuchs in einer Kleinstadt in Hessen auf, wenig Geld, viele Jobs, Zeitungen austragen, Burger braten. Fußball spielte er lange nur nebenbei, erst als ihn ein Fan des FSV Frankfurt sah und empfahl, wechselte er in die Jugendabteilung des späteren Zweitligisten, doch er konnte sich nicht durchsetzen. Er wechselte nach Aue, Wehen, schließlich in die Regionalliga zu Viktoria Köln und weiter nach Leverkusen. Er spielte als 27-Jähriger vor knapp hundert Menschen, aber er konnte vom Sport leben. Eine farblose Fußballkarriere von Hunderten in Deutschland.

Doch dann fragten sie sich in Leverkusen auch in der Chefetage, wer eigentlich dieser Mann ist, der ständig Tore schießt. Einmal, gegen einen Klub namens SC Wiedenbrück, schoss er gleich drei innerhalb von 20 Minuten. Sie ließen Bouhaddouz in der Winterpause mit den Profis trainieren. Und als der Angreifer im Sommer 2014 vereinslos war, hatte er plötzlich zahlreiche Angebote. Während seiner Leverkusener Zeit war seine Mutter gestorben, seinen Vater hatte er bereits als Kind verloren. "Die Zeit in Leverkusen hat mich reifer gemacht", sagt er. Bouhaddouz, zuvor oft unbedarft, manchmal unprofessionell, wurde gewissenhafter. Er ging nach Sandhausen in die zweite Liga, traf weiter - und erstmals nahmen mehr als hundert Menschen von ihm Notiz, als er nach seinen Toren mit Liegestützen jubelte - und für jede Liegestütze Geld an ein Hilfsprojekt für Kinder in Kenia spendete.

Von seinen Kollegen kennt kaum einer seine Geschichte

Im vergangenen Sommer wechselte er dann zum FC St. Pauli, anschließend nahmen sie ihn zum ersten Mal in Marokko zur Kenntnis, und im August debütierte er für die Nationalmannschaft. Am 4. September 2016 wuchtete Bouhaddouz im Qualifikationsspiel gegen São Tomé und Príncipe seinen Kopf in eine Flanke und küsste nach seinem ersten Tor für sein Land den Rasen im Stadion von Marrakesch.

Für den Afrika-Cup wurde er nachnominiert, er wird wohl viel auf der Bank sitzen, doch er gehört dazu: In Oyem im Norden Gabuns, wo Marokko seine Vorrundenspiele bestreitet, das erste an diesem Montag gegen Kongo, trainiert er nun mit Profis aus den größten Ligen der Welt. Marokko ist zwar nicht der Favorit, das sind eher Algerien oder Senegal; der bisher letzte Erfolg Marokkos, Platz zwei beim Afrika-Cup 2004, liegt 13 Jahre zurück. Doch unter dem neuen Trainer Hervé Renard ist die Mannschaft wieder ambitioniert.

Von seinen Kollegen, sagt Bouhaddouz, kennen nur die wenigsten seine Geschichte. "Und ich bin ja nicht hier, um sie zu erzählen", sagt er lachend. Bouhaddouz ist in Gabun, um Tore zu schießen. Nur schauen ihm jetzt halt viele Menschen dabei zu.

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