Affäre um WM 2006:Wie Dreyfus die DFB-Vertreter abfertigte

FRANCE-DREYFUS-MARSEILLE-DEATH

Robert Louis-Dreyfus war lange Zeit Vorstandschef von Adidas. 2009 verstarb der Unternehmer.

(Foto: Boris Horvat/AFP)
  • Anfang 2005 besuchten die DFB-Funktionäre Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger den früheren Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus, um einen Erlass des Darlehens zu erwirken.
  • Der mächtige Geldgeber lehnte ab. Er wolle das Geld plus Zinsen zurück haben.

Von Klaus Ott

Der Empfang im Tessin war freundlich. Der Schweizer Hausherr führte die beiden Besucher durch seine stattliche Villa in herrlicher Lage am Luganer See. Die Gäste, zwei hochrangige Funktionäre vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) aus Frankfurt, waren beeindruckt. Solch ein Anwesen bekamen sie in ihren Jobs nicht alle Tage zu sehen.

Doch nach dem Rundgang durch die Villa änderte sich die Atmosphäre schlagartig. Der Gastgeber fertigte die Besucher, die als Bittsteller gekommen waren, kurzerhand ab. Nein, er denke gar nicht daran, auf sein Geld zu verzichten. Er wolle die zehn Millionen Schweizer Franken, die er den Deutschen geliehen habe, unbedingt zurückhaben. Plus Zinsen. Ganze fünf Minuten soll dieser Teil der Unterredung gedauert haben, weit kürzer als die Besichtigung des weitläufigen Anwesens. Die beiden Bittsteller sollen dagestanden haben wie begossene Pudel.

Netzer spielte nur den Chauffeur

Diese Episode findet sich in den Untersuchungsakten des DFB zur Affäre um die Weltmeisterschaft 2006. Der Hausherr, das war der frühere Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus. Bei den Besuchern aus Deutschland handelte es sich um Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger. Sie waren damals, Anfang 2005, Vizechefs des von Franz Beckenbauer geleiteten Organisationskomitees (OK) für die WM 2006 gewesen.

Ihr Anliegen: Dreyfus möge dem OK das zwei Jahre zuvor gewährte Darlehen erlassen. Ein weiterer OK-Mann, der Aufsichtsrat und frühere Nationalspieler Günter Netzer, hatte Schmidt und Zwanziger vom Flughafen in Lugano abgeholt, zu Dreyfus gebracht und wieder zurück zu dem kleinen Airport gefahren.

Netzer lebt seit Langem in der Schweiz, er ist Direktor der Sportrechtefirma Infront. Dreyfus war damals einer der Hauptinhaber von Infront, die mit den TV-Rechten für die WM 2006 handelte. Netzer hatte auf dessen Bitte hin dem OK das Rückzahlungsbegehren überbracht und dann offenbar den Termin in der Villa am See vermittelt. Als Schmidt und Zwanziger sich von Dreyfus drinnen erst dessen Gemächer zeigen und anschließend abfertigen ließen, wartete draußen der Chauffeur Netzer. Der Hausherr und seine Gäste sollen sich anschließend bei dem ehemaligen Nationalspieler entschuldigt haben, dass er sich so lange habe gedulden müssen.

Dreyfus diktierte die Regeln

Eine Villa am See und ein Fußballheld als Fahrer: Dreyfus, ein Lebemann, der gerne dicke Zigarren rauchte, scheint solche Auftritte genossen zu haben. Der 1946 in Paris geborene Sohn einer Händler- und Reederfamilie war reich, hart und durchsetzungsfähig. Wer sich mit ihm einließ, musste nach seinen Regeln spielen. Das lernten auch die beiden Emissäre des deutschen WM-OK; binnen fünf Minuten.

Die Anwaltskanzlei Freshfields, die im Auftrag des DFB die WM-Affäre aufklären soll, hat Schmidt, Zwanziger und Netzer inzwischen befragt und so das Treffen mit dem 2009 verstorbenen Dreyfus rekonstruiert. Und sie hat auch sonst vieles ermittelt, bis hin zu dem von OK-Chef Beckenbauer unterschriebenem Vertrag mit dem früheren Fifa-Vizepräsidenten Jack Warner, der einer der wohl korruptesten Funktionäre im Fußball-Weltverband war. Die Legende des DFB, man habe die WM 2006 auf sauberem Wege nach Deutschland geholt, löst sich mehr und mehr in Luft auf.

Ob sich die Affäre jemals vollständig aufklären lässt, ist derzeit noch nicht absehbar. Besonders wichtig wäre es zu erfahren, wem aus dem Weltverband Fifa Dreyfus im Jahr 2002 die zehn Millionen Franken, die er dem deutschen OK vorstreckte, gegeben hat. Und warum. War das wirklich eine Art Gebühr dafür, dass die Fifa den Deutschen 250 Millionen Franken Zuschuss für die WM gab? Dann wäre die entscheidende Frage, in welche Kasse bei der Fifa das Geld floss - und warum so diskret. Oder war es vielleicht doch eine nachträgliche Schmiergeldzahlung an irgendwelche Fifa-Funktionäre, damit diese im Juli 2000 bei der Vergabe der WM 2006 für Deutschland stimmten?

Wenn es auf die Knochen geht, hält Netzer lieber Abstand

Diese Fragen stellt auch Freshfields - aber Dreyfus ist tot, und Netzer war nach eigenem Bekunden nur der Chauffeur. Der frühere Profi von Borussia Mönchengladbach und Real Madrid agiert im Geschäftsleben genauso elegant wie früher auf dem Spielfeld: überall dabei, aber wenn es auf die Knochen geht, hält er lieber Abstand. Netzer hat der ARD für viel Geld Fußballspiele verkauft, die er dort dann für viel Geld selbst kommentierte; er war Botschafter für die WM 2006 und später Aufsichtsrat im OK. Und um ein paar lukrative Freundschaftsspiele des FC Bayern München in Ländern wichtiger Fifa-Funktionäre, die bei der WM mit abstimmten, hat er sich als Sportrechtehändler auch gekümmert.

Netzer, der von sich selbst gerne sagt, er sei ja nur ein Angestellter von Dreyfus gewesen, konnte Freshfields außer von dem Treffen in der Villa am Luganer See offenbar nicht viel erzählen. Was es mit den zehn Millionen Schweizer Franken auf sich hatte und wo die geblieben sind: keine Ahnung. Von angeblichen Schmierereien hat er nach eigenem Bekunden nichts gewusst. Manchmal ist es ganz gut, nur der Fahrer zu sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: