Affäre um WM 2006:Große Bitte an Franz

Vergabe Fußball-Weltmeisterschaft 2006

Was geschah, bevor das geschah? Fifa-Chef Sepp Blatter im Jahr 2000 bei der Vergabe der Welmeisterschaft 2006 an Deutschland.

(Foto: Michele Limina/dpa)
  • Nach SZ-Informationen wurde bei den Ermittlungen der Kanzlei Freshfields ein brisantes Dokument gefunden.
  • Es bringt die bisherige Darstellung des Verbands, es habe keine fragwürdige oder gar unzulässige Einflussnahme auf die Vergabe der WM 2006 gegeben, massiv ins Wanken.
  • Es fällt der Name Jack Warner.

Von Johannes Aumüller, Hans Leyendecker und Klaus Ott, Frankfurt

Nach dem gerade zurückgetretenen Präsidenten Wolfgang Niersbach und Bundesliga-Chef Reinhard Rauball kam dann noch Rainer Koch an die Reihe. Der Jurist und Vizechef des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) begann sein Statement zwar mit der Einlassung, dass er dem, was sein Vorredner Rauball gesagt hatte, nicht mehr viel hinzuzufügen habe. Aber gegen Ende seines Kommentars stand ein erstaunlicher Satz. Koch lobte die Arbeit der externen Ermittler aus der Kanzlei Freshfields, die seit drei Wochen im Auftrag des Verbandes die Sommermärchen-Affäre beleuchten, wobei einiges zutage gefördert worden sei. Das Fazit zog Koch selbst: "Wir müssen uns mit der Frage, wie die WM 2006 vergeben wurde, näher befassen."

Das war die überraschendste Einlassung nach dem Rücktritt von Niersbach sowie der Übernahme der DFB-Geschäfte durch die Vizepräsidenten Rauball und Koch. Nach SZ-Informationen wurde bei den Freshfields-Ermittlungen ein Schriftstück gefunden, das die bisherige Darstellung des Verbands, es habe keine fragwürdige oder gar unzulässige Einflussnahme auf die Vergabe der WM 2006 gegeben, massiv ins Wanken bringt. Ein Mitglied des deutschen Bewerberkomitees um Franz Beckenbauer soll versucht haben, Mitte 2000, wenige Tage vor der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland, ausgerechnet Jack Warner zu gewinnen, eine der größten Skandalfiguren im Weltverband Fifa. Dem von Warner geleiteten Verband für die Karibik, Nord- und Zentralamerika (Concacaf) sollten offenbar umfangreiche Leistungen zugesagt werden. Aus dem damals angedachten und jetzt gefunden Vertrag ist angeblich nichts geworden. Das Dokument wirft aber die Frage auf: Was um Himmels Willen ist damals alles versucht worden, und was ist vielleicht doch geschehen?

Der DFB ist in größter (Erklärungs-)Not, und so wundert es nicht, dass Koch noch am Abend via ZDF einen dringenden Wunsch an Beckenbauer richtete, den einstigen Chef der WM-Bewerbung und des Organisationskomitees. Es sei "höchste Zeit" für umfassende Antworten: "Wir haben die Bitte, dass er sich intensiver einbringt in die Aufklärung der Vorgänge." Vor zwei Wochen hatte Beckenbauer, 70, vor den Freshfields-Ermittlern ausgesagt, in einer schriftlichen Erklärung zwar einen "Fehler" eingeräumt, viele Fragen aber unbeantwortet gelassen. Beckenbauer könne aufklären, was damals genau passiert sei, betonte Koch: "Das ist auch die große Bitte der gesamten Spitze des DFB, diese Fragen zu beantworten."

Besagtes Schriftstück, das die Faktenlage offenbar stark verändert, hätte schon längst in den DFB-Akten entdeckt werden können. Dann nämlich, wenn der Verband sich schon vor Monaten ernsthaft um Hinweise auf fragwürdige Vorgänge gekümmert hätte, die bereits im Sommer intern angekommen waren. Dass man schon lange gesucht und untersucht habe, genau das hatte Niersbach wochenlang Glauben machen wollen. Genau das ist aber nicht passiert, weshalb das Dokument aus dem Jahr 2000 nun auch Niersbach belastet und mit zu seinem Rücktritt führte. Obwohl Niersbach damals, im Jahr 2000, nichts mit diesem Vorgang zu tun gehabt habe, wie mehrere Insider versichern. Er hat aber, entgegen seinen Darstellungen, nicht dafür gesorgt, dass rechtzeitig und umfassend aufgeklärt wurde.

Nun ist der Jammer groß im DFB

Extraordinary DFB Meeting

Verkündet seinen Rücktritt: Wolfgang Niersbach

(Foto: Thomas Lohnes)

Nun ist der Jammer groß im DFB. So groß, dass der Verband darauf verzichtet, eine bei Gericht durchgesetzte Gegendarstellung im Spiegel dort auch abdrucken zu lassen. Die eine Gegendarstellung richtete sich gegen eine Vorabmeldung der Titelgeschichte "Das zerstörte Sommermärchen". Die zweite Gegendarstellung bezog sich auf die Mitteilung im Blatt, in der von "Gewissheit" die Rede war, dass die WM 2006 gekauft worden sei. Die 24. Kammer des Landgerichts Hamburg folgte der Argumentation des DFB. Beide Gegendarstellungen wurden durchgewunken.

Nun muss man wissen, dass Gegendarstellungen die schwächsten Waffen im Streit um die Wahrheit sind. Sie müssen nicht stimmen. Es kommt vor allem auf die Form an, aber es wäre schon bemerkenswert gewesen, wenn der DFB gegen den Spiegel, der mit seiner Enthüllung alles ausgelöst hatte, mit Hilfe der Justiz vorgegangen wäre. Doch beide Gegendarstellungen wurden dem Blatt bis Montag merkwürdigerweise nicht zugestellt und sie werden wohl nie mehr zugestellt werden. Dieser Umstand kann damit zu tun haben, dass die Wirtschaftskanzlei "Freshfields" an anderer Stelle fündig geworden war. Der DFB kann sich nicht mehr sicher sein, dass es bei der Vergabe keinen Stimmenkauf gegeben hat.

Mit dem Ursprungsverdacht, dass die WM 2006 vom deutschen Bewerbungskomitee für 6,7 Millionen Euro mit den Stimmen von vier Fifa-Funktionären aus Asien gekauft worden sei, hat das jetzt gefundene Dokument nichts zu tun. Dieser Millionenbetrag, den der frühere Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus vorgestreckt hatte, ist möglicherweise in einer schwarzen Fifa-Kasse gelandet. Jetzt geht es um Concacaf und Jack Warner. Um einen neuen Vorgang.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: