AC Mailand:Zwei Teenies mischen die Serie A auf

Football Soccer - AC Milan v Juventus Serie A

Gerade 18 Jahre alt: Manuel Locatelli.

(Foto: REUTERS)
  • Beim Sieg des AC Mailand über Juventus Turin mischen zwei Teenager die Serie A auf.
  • Torschütze Locatelli, 18, und Torwart Donnarumma, 17, besiegeln den 1:0-Erfolg.
  • Für die ganze Liga ist es die überfällige Energiespritze.

Von Birgit Schönau, Rom

Zu schön, dass die alte Dame Juventus in der Mailänder Fußballoper San Siro von zwei gerade der Pubertät entwachsenen Jungen vorgeführt worden ist: Ein falkenhafter Treffer von Manuel Locatelli, 18, bescherte der Associazione Calcio Milan in der 65. Minute das 1:0 - und damit nach vier langen Jahren den ersten Sieg über den Erzrivalen aus Turin. Locatelli, wilde Locken und Flaum am Kinn, trickste die in Würde erstarrte Juve-Abwehr aus wie weiland der große Milan-Ex Filippo Inzaghi, um anschließend in bester Superpippo-Manier sein Werk zu bejubeln, entfesselt, spontan, unverhohlen feixend.

Danach war es seinem Teamgefährten Gianluigi Donnarumma, 17, zu verdanken, dass Milan den Sieg über die Zeit rettete - in allerletzter Minute lenkte der Torwart den von Sami Khedira listig gezirkelten Ball mit den Fingerspitzen über die Latte.

Donnarumma hat bereits sein Debüt bei den großen Azzurri absolviert, Locatelli hingegen lernt noch im Mittelfeld der U19- "Azzurrini." Gemeinsam schafften sie nun eine Sensation, wie sie dem italienischen Fußball lange gefehlt hat: Zwei Mal wurde Juve in dieser Saison in San Siro geschlagen, erst von Inter, dann von Milan. Zuletzt ereignete sich das vor sieben Jahren.

Zwei endlose Minuten vergehen

Jugend besiegt Routine, Sturm und Drang bezwingt kühle Vernunft: zu schön, um ganz wahr zu sein. Denn ohne die tatkräftige Unterstützung eines verwirrten Spielleiter-Teams hätte der Furor der Milan-Jugendlichen nicht gereicht, um die drei Punkte und den überraschenden zweiten Platz hinter Juventus zu sichern. Als Juves Miralem Pjanic einen Freistoß an Donnarumma vorbei ins Tor platzierte, erkannte Schiedsrichter Nicola Rizzoli zunächst den Führungstreffer der Turiner an (38.). Linienrichter Cariolato aber hatte Juve-Abwehrspieler Leonardo Bonucci im Abseits gesehen.

Es vergingen endlose zwei Minuten, in denen das Publikum im endlich mal ausverkauften Meazza-Stadion die Luft anhielt, während die Referees angeregt auf dem Platz debattierten. Schließlich annullierte Rizzoli den Treffer. Der Mann ist immerhin zweifacher Weltschiedsrichter (2014 und 2015) und war Leiter des WM-Finales von Brasilien. Auch Routiniers laufen aber mal aus dem Ruder, das blieb dann irgendwie das Motto der Partie.

"Ich habe den Jungs morgen freigegeben, weil trainieren mit so viel Wut im Bauch sowieso sinnlos wäre", erklärte später ein mühsam beherrschter Massimiliano Allegri. Viel mehr wollte der Juve-Coach nicht sagen, schon gar nicht die Schiedsrichter-Entscheidung kommentieren. Die Wut im Bauch der Juventini dürfte ohnehin vor allem von der Erkenntnis genährt worden sein, in Mailand die schlechteste Vorstellung der Saison abgeliefert zu haben. Schwerer als das annullierte Tor wog der Verletzungsausfall des Argentiniers Paulo Dybala (34.), der als einziger dem Spiel des Tabellenführers ein wenig Frische und Energie verliehen hatte. Ansonsten wirkten die Turiner lustlos, müde und fahrig wie lange nicht mehr. Nur die Abwehr hielt, vom Gegentreffer einmal abgesehen. Das Mittelfeld entwickelte weder Ideen noch Aktionen, der Angriff um die Luxustrophäe Gonzalo Higuain (aus Neapel geholt) blieb berechenbar und harmlos.

Milan-Trainer Montella lebt seinen eigenen Traum

"Ich dachte, wir würden von diesen Mailändern immerhin kein Tor kassieren", berichtete Turin-Coach Allegri später in schöner Ehrlichkeit, "aber dann hat Milan die erste Gelegenheit genutzt." Nach dem Pjanic-(Nicht-)Treffer hatte Juve übrigens bis zum Khedira-Versuch in der Nachspielzeit auch keine Torchance mehr.

Ob Milan sich im Laufe der Saison zu einem ernsthaften Rivalen entpuppen wird, muss sich zeigen. "Auf jeden Fall beginnt jetzt etwas Neues für uns", strahlte Trainer Vincenzo Montella, "man hat uns wahrgenommen, man wird uns jagen." Montella, 42, ist neu beim Mailänder Traditionsklub und doch erkennt man schon nach wenigen Wochen seine Handschrift. Montella, der selbst eine erfolgreiche Karriere als Torjäger überwiegend beim AS Rom absolviert hat und lange Nationalspieler war, motiviert sein Team durch Empathie, Enthusiasmus und offensive Strategie.

Berlusconi dankt nach drei Jahrzehnten ab

Während die Klubleitung um Präsident Silvio Berlusconi nach drei Jahrzehnten abdankt - der Verein soll noch im Herbst an chinesische Investoren verkauft werden -, verleiht der Neapolitaner Montella dem Team eine starke Identität, wie zum Beweis dafür, dass der Fußball nicht von seinen Bossen gelenkt wird: "Ich war so gerührt, als die Jungs nach dem Schlusspfiff unter die Kurve gerannt sind", gestand er, "da musste ich an meine Jugend denken, in der ich Fan des Vereins war und davon träumte, einmal für Milan anzutreten."

In Zeiten der Totalglobalisierung italienischer Traditionsklubs gibt es also noch echte Männergefühle. Montellas persönliches, kleines Fußballmärchen würde mit der lang entbehrten Champions-League-Qualifikation ein Happy End finden. Sicher, der Weg für sein italienisch dominiertes Team ist noch weit. Aber einstweilen haben die jungen Männer von Milan der Liga eine dringend benötigte Energiespritze verpasst. Und wie tröstlich, dass es das auch noch gibt: Nach dem Schlusspfiff lief Turins Torwart-Monument Gianluigi Buffon, Vater dreier Söhne, zum Kollegen Donnarumma, stupste und umarmte ihn. Man sah den großen, schon leicht ergrauenden Gigi und den kleinen (in Wirklichkeit ein paar Zentimeter längeren) Gigio scherzen und lachen. Eine Wachablösung war das natürlich nicht. Nur ein Moment reiner Herzlichkeit und Sympathie.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: