AC Mailand: Ronaldinho:Ende der Demütigungen

Dribbelkünstler Ronaldinho, Weltmeister 2002 und Weltfußballer 2004 und 2005, wird in Mailand ausgemustert wie ein Frühpensionär. Am Ende taumelte er nur noch durch das Mailänder Nachtleben.

Birgit Schönau

Er war der beste Spieler der Welt, nicht in einer längst vergangenen Ära, sondern Fifa-World-Player 2004 und 2005. Er tanzte in Paris, in Barcelona, dann in Mailand und galt als das größte Talent Brasiliens neben Ronaldo. Für Pelé gehörte er zu den hundert besten Spielern der Geschichte, und wenn er zu Hause in Porto Alegre war, konnte man ihn auch dort spielen sehen, tänzeln und dribbeln, wie es für ihn typisch ist. Es war, als sei Ronaldinho mit dem Ball verwachsen und der Ball mit ihm.

AC Mailand: Ronaldinho: Ronaldinho ist auf dem Weg nach Hause, nach Brasilien.

Ronaldinho ist auf dem Weg nach Hause, nach Brasilien.

(Foto: AFP)

Jetzt ist er gerade mal 30 und wird ausgemustert wie ein Frühpensionär, ausgerechnet von einem, der mit 74 noch längst nicht in Rente gehen will - von Silvio Berlusconi. "Es sieht so aus, als wenn Ronaldinho geht", sagte der Präsident, ein vager Spruch über einen Reservespieler, hingeworfen einem neugierigen Europaparlamentarier beim Weihnachtsessen mit dem Führer des "Volks der Freiheit" (Popolo della Libertà), wie die Partei des Ministerpräsidenten heißt.

Ronaldinho geht nach drei Jahren beim AC Mailand, ablösefrei. Wie man geht, wenn man nicht mehr gewollt ist, außer vielleicht als Reserve für einen gewissen Kevin-Prince Boateng. Drei brasilianische Klubs wollen ihn, darunter sein Heimatverein Porto Alegre, auch Manchester City hat Interesse, angeblich.

Berlusconi will mehr Italiener

Ronaldinho geht und Antonio Cassano kommt, ein ewiges Enfant terrible aus der süditalienischen Provinz löst einen Weltstar ab, das sagt viel über den Zustand des italienischen Fußballs und kostet Milan fünf Millionen Euro. Berlusconi wolle seinen Klub "italienischer" machen, wird erzählt, Cassano sei ja immerhin Nationalspieler jener Squadra Azzurra, die gerade den tiefsten Tiefpunkt ihres ersten Jahrhunderts hinter sich hat.

Der 28-Jährige aus Bari gilt seit elf Jahren als Talent ohne Kinderstube: bei Sampdoria Genua flog Cassano jetzt raus, weil er den Präsidenten zum Teufel gewünscht hatte. Halb Italien wunderte sich darüber, dass der Klubchef seinem ungezogenen Angestellten das partout nicht verzeihen wollte.

Bei Milan wird Antonio Cassano die 99 von Ronaldo, einer weiteren brasilianischen Größe von einst, tragen, der nach seinen Glanzjahren beim Lokalrivalen Inter auch bei Berlusconis Klub verblasste. Genau wie David Beckham: Milan hat sich in den vergangenen Jahren darauf spezialisiert, allerlei Stars anzuheuern, wenn die ihre beste Zeit eindeutig hinter sich haben.

Mit Ronaldinho war das ähnlich, die Saison 2007/2008 in Barcelona war beeinträchtigt durch zahlreiche Verletzungsausfälle - kombiniert mit einer allzu intensiv betriebenen Freizeitgestaltung. Seit Barcelona ihn 2003 von Paris St. Germain übernahm, hatte Ronaldinho 200 Einsätze absolviert, aber als er zum Wahlkampfgeschenk von Berlusconi avancierte, war von seinem alten Glanz schon nicht mehr viel übrig.

Trotzdem kündigte Berlusconi Ronaldinho bei einem seiner Wahlkampfauftritte als "Präsent" an - eindeutig vor der falschen Kulisse, nämlich vor dem Kolosseum in Rom. Der Populist wurde von seinem eigenen politischen Anhang ausgebuht, in seiner Begeisterung hatte er wohl vergessen, dass es in der Hauptstadt nicht gerade von Milan-Fans wimmelt. Ronaldinho kam für 25 Millionen Euro nach Mailand, unterschrieb einen Dreijahresvertrag über angeblich 6,5 Millionen Euro netto jährlich und wurde unter großem Gepränge im Meazza-Stadion vorgestellt.

Fortan hatte er auch deshalb einen zementierten Stammplatz, weil Berlusconi vor jedem Spieltag öffentlich den Trainer ermahnte: "Ronaldinho muss spielen!" Und Carlo Ancelotti, der heute den FC Chelsea betreut, machte kaum einen Hehl daraus, dass er Ronaldinho nicht gewollt hatte, ja, als genauso überflüssig betrachtete wie die dauernde Einmischung des Klubpatrons.

Der erklärte Lieblingsspieler des Präsidenten musste schon bald freundlich lächelnd die allergrößten Demütigungen über sich ergehen lassen, beispielsweise, als Berlusconi ihn vor seinen Mannschaftskollegen auf ein Podest stellte und Ronaldinho schwören ließ, für Milan mehr Einsatz zu zeigen. Die ersten Jahre verliefen nicht überragend, aber immerhin erfreulich, Ronaldinho wurde von World Soccer noch vor Lionel Messi und Cristiano Ronaldo zum Spieler des Jahrzehnts gekürt.

In der vergangenen Saison war er gemeinsam mit Marco Borriello immer noch Milans bester Torschütze, doch dann ging sein Landsmann Leonardo als Trainer, der Italiener Massimiliano Allegri wurde angeheuert, und für Ronaldinho war kein Platz mehr. In einer Saison, die bislang ohne große spielerische Höhepunkte blieb, brachte Allegri Milan an die Tabellenspitze und baute dabei nicht auf den fragilen Ronaldinho, sondern auf dessen Landsleute Robinho, Alexandre Pato sowie den schwedischen Kraftprotz Zlatan Ibrahimovic.

Während dieses Trio San Siro eroberte, taumelte Ronaldinho durch das allerdings überschaubare Mailänder Nachtleben, erschien zu spät und übernächtigt zum Training und tauchte bald vor allem wegen seiner spontanen Einsätze als Perkussionist in den Zeitungen auf. Allegri hatte dafür kein Verständnis und rüffelte den Brasilianer öffentlich. Und Ronaldinho zog sich maulend immer weiter zurück. Bis das Verhältnis so zerrüttet war, dass der Klub ihn jetzt aller Welt als Weihnachtsgeschenk anbietet. Hauptsache, sie werden ihn los. Seine Rückkehr nach Brasilien wird melancholisch sein. Der Weltmeister von 2002 war schon in Südafrika nicht mehr dabei und kann von der WM 2014 im eigenen Land nur träumen.

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