Abwanderungswillige Brasilianer:Zurück zum Zuckerhut

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Aus 36 mach' 19: Der Wechselwunsch des Bremer Abwehrspielers Naldo bestätigt einen Trend - der Bundesliga gehen die Brasilianer aus. Während sich Werder Spieler wie Naldo nicht mehr leisten kann, werden die Vereine in Südamerika sportlich und wirtschaftlich immer attraktiver.

Boris Herrmann

Sein Kopf sei noch bei Werder Bremen, hat der brasilianische Abwehrspieler Naldo auf dem Weg zum Trainingslager im türkischen Belek wissen lassen. Das klingt im ersten Augenblick beruhigend. Und im zweiten Augenblick alarmierend. Einerseits stolpert man dann doch recht bald über das Wörtchen "noch". Und andererseits ließ Naldo an anderer Stelle ohnehin keinen Zweifel daran, dass sein Herz längst in Porto Alegre ist, in seinem Heimatland Brasilien.

Naldo will weg - und Werder Bremen kann es nicht verhindern. Immer mehr Brasilianer verlassen derzeit die Bundesliga. (Foto: dpa)

"Ich habe ein sehr gutes Angebot", mit dieser Nachricht ist Naldo gerade aus dem Winterurlaub zurückgekehrt. Wenn es nach ihm ginge, dann würde sich diese Rückkehr wohl darauf beschränken, seinem Chef Klaus Allofs mitzuteilen, dass er dieses sehr gute Angebot sofort annehmen möchte. Dem Vernehmen nach hat sich Naldo mit Fernandao, dem Manager des SC Internacional in Porto Alegre, bereits auf einen Wechsel geeinigt. Und zwar noch diesen Januar.

Für die Bremer bahnt sich da eine mittelschwere Katastrophe an. Es war der Innenverteidiger Naldo, 29, der nach seiner langwierigen Verletzungspause die bröselige Abwehr des SV Werder in der Hinrunde noch halbwegs zusammenhielt. Aus sportlicher Sicht kann der Klub diesen Mann keinesfalls aus seinem bis Juni 2013 gültigen Vertrag entlassen. Trotzdem deutete Klaus Allofs an, dass er gesprächsbereit sei - wenn die Ablösesumme stimme. Am Flugsteig in Richtung Türkei wurde er so zitiert: "Ich kann Naldo verstehen. Er kann in Brasilien deutlich mehr verdienen als bei uns."

Zeitenwende im Weltfußball

Hinter diesem Satz verbirgt sich aber nicht nur ein Lob auf den Aufschwung des brasilianischen Klubfußballs. Er lässt gleichzeitig auch nichts Gutes erahnen über die Finanzlage in Bremen. Im Sommer wurde bereits Naldos Abwehrkollege Per Mertesacker nach London veräußert, was sich weniger mit sportlichen als mit finanziellen Argumenten erklären ließ. Jetzt könnte der nächste Notverkauf anstehen.

Sollte es wirklich so weit kommen, dann hätte sich aufs Eindrücklichste ein seltsamer Trend bestätigt: Der Bundesliga gehen die Brasilianer aus. Vor drei Jahren waren es noch 36. Wenn Naldo geht, sind es bloß noch 19. Im Grunde genommen mischen sich hier sogar zwei Trends, die sich gegenseitig verstärken. Erstens: Die brasilianische Liga wird für Brasilianer immer interessanter.

Und zweitens: Die Brasilianer werden für die Bundesliga immer uninteressanter. Meisterhaft zusammengefasst hat diese Doppelerkenntnis praktischerweise ein gewisser Naldo, der den SC Internacional so beschrieb: "Ein Spitzenklub, der auch in der Copa Libertadores spielt, und nicht wie Werder nur in der Bundesliga."

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Jiracek, Medojevic, Hasani, Vierinha, Sissoko, Sio und Rodriguez sind da, weitere sollen folgen. Dafür verlassen einige Spieler den Klub, es herrscht ein munteres Kommen und Gehen: Der VfL Wolfsburg und sein Trainer-Manager Felix Magath tauschen einen Großteil des Kaders aus. Hier alle Personalien aus Wolfsburg.

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Die Bundesliga sollte das nicht persönlich nehmen, sie steht nämlich nicht alleine da. Die Zeiten, in denen brasilianische Talente um alles in der Welt nach Europa wollten, und sei es nur für ein Engagement im ewigen Flutlicht auf den Färöer-Inseln, ist jedenfalls vorbei. Das 19-jährige Wunderkind Neymar hat gerade vorzeitig beim FC Santos verlängert - und lukrative Angebote aus Madrid, Barcelona und London abgelehnt.

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Sein Stammklub verzichtete derweil auf kolportierte 56 Millionen Euro Ablöse und begründete das hinterher mit "einer neuen Einstellung", einer Zeitenwende im Weltfußball. Dazu passt auch, dass Spieler wie Ronaldinho oder Luis Fabiano jetzt schon im Herbst ihrer Karriere zurückkehren. Die Vorgängergeneration um Ronaldo, Adriano und Roberto Carlos kam erst im Winter ihrer Karriere.

Selbstverständlich hat das alles auch mit der Weltmeisterschaft zu tun. Die brasilianische Wirtschaft wächst ohnehin überdurchschnittlich, aber im Kielwasser der WM 2014 wird vor allem im Fußballgeschäft großes Geld umgesetzt. Neue Sponsorenverträge, neue Stadien und neue Fernseh-Deals befruchten sich gegenseitig. Studien belegen, dass die Einnahmen der zwölf größten Vereine Brasiliens in den vergangenen acht Jahren um 199 Prozent gestiegen sind.

Wenn also Leverkusens Vereinsboss Wolfgang Holzhäuser das Urteil fällt, "der brasilianische Markt ist tot", dann bezieht sich das lediglich auf die deutsche Außenhandelsstelle des brasilianischen Marktes. Es ist trotzdem bemerkenswert, weil dieser Handelsweg in Leverkusen praktisch erfunden wurde. Davon zeugen Namen wie Paolo Sergio, Jorginho, Emerson, Lucio, Zé Roberto. Neben Bayer haben nun aber auch Bayern und Bremen das Scouting in Südamerika für beendet erklärt. Zu viel Risiko und zu viel Ärger für zu viel Geld, lautet das Credo nach den Erfahrungen mit Spielern wie Carlos Alberto, Breno oder Athirson.

Holzhäuser sagt: "Man kann Brasilianer fast nicht mehr bezahlen." Erschwerend hinzu kommen die oftmals unübersichtlichen Besitzverhältnisse. Bevor man einen Spieler kauft, dessen linker Fuß dem FC Sao Paolo gehört, dessen rechter Fuß aber schon über eine Briefkastenfirma an einen zypriotischen Zweitligisten ausgeliehen ist, schaut man sich lieber auf den neu-brasilianischen Ersatzmärkten in Japan oder Skandinavien um. Im besten Fall aber freut man sich darüber, dass die deutsche Jugend auch immer brasilianischer wird.

© SZ vom 05.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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