Absturz der TSG Hoffenheim:Wir war'n Hoffe!

Daniel Haase, Luca Toni, Miroslav Klose

Luca Toni trifft gegen Hoffenheim.

(Foto: AP)

Im Dezember 2008 war die TSG Hoffenheim das Überraschungsteam der Bundesliga und größter Herausforderer des FC Bayern. Nun begegnen sie den Münchnern auf einem Abstiegsplatz. Die Chronologie eines Absturzes.

Von Moritz Kielbassa und Christof Kneer

Es war am 3. Dezember 2008, als sich Uli Hoeneß wieder mal ganz arg aufregen musste. "Wer flotte Sprüche hören will, muss nach München gehen. Wer flotten Fußball sehen will, ist hier genau richtig", sagte der Trainer Ralf Rangnick kess. Mit "hier" meinte er seine TSG Hoffenheim, die in der Tabelle einen Platz (Erster) und drei Punkte (34) vor Bayern rangierte (2./31).

Deutschland fieberte dem Spiel Bayern gegen Hoffenheim entgegen, wie es seither nur noch Duellen zwischen Bayern und Dortmund entgegen fiebert - verbale Vorspiele inklusive. Noch mal Rangnick: "Wir wollen nicht ihre Trikots haben, sondern - um es flapsig zu formulieren - ihren Skalp." Zwei Minuten vor Schluss scheiterte Hoffenheims Salihovic beim Versuch, Bayerns Torwart Rensing zu tunneln, es wäre das 1:2 gewesen. Stattdessen traf Luca Toni zum 2:1 für die Bayern.

Aus heutiger Sicht wirkt Salihovic' Fehlschuss wie eine Wegscheide: Aus dem Herbstmeister wurde kein Meister, sondern ein Team, das einen schleichenden Abstieg hinlegte - bis zu diesem März-Wochenende 2013, an dem der FC Bayern wieder vorbeischaut: als Tabellenerster. Hoffenheim ist Siebzehnter, und Mäzen Dietmar Hopp hat sinngemäß schon erklärt, dass zur Sicherung des Klassenerhalts nicht die rechnerisch korrekten elf Spiele zur Verfügung stünden, sondern zehn. Das Spiel gegen die Bayern am Sonntag hat die TSG offenbar abgeschrieben. Die Chronologie eines Absturzes in vier Jahreszeiten.

Frühling (2006 - 2008)

1. Frühling (2006 - 2008)

TSG Hoffenheim - Sportfreunde Siegen

Ralf Rangnick beim der Feier zum Aufstieg in die 2. Bundesliga.

(Foto: dpa)

Am Anfang steht die Königsidee: Als Drittligist verpflichtet die TSG den Erstliga-Trainer Ralf Rangnick. Mit Erstaunen beobachtet das Land, was da in Nordbaden zu blühen beginnt. Der Zauber des Anfangs lockt Experten mit grünem Daumen zum schicken Trendklub, den Hockeytrainer Peters etwa oder den DFB-Psychologen Herrmann. Der Frühling riecht ein bisschen nach Labor und ein bisschen nach Folklore - Rangnick erzählt gern die Geschichte, dass Mäzen Hopp, 66, den Traum habe, mit 70 in der ersten Liga zu sein. Vor allem aber riecht Hoffenheims Frühling nach Gras: Die Elf pflanzt Spielzüge auf den Rasen, die zu gut sind für die dritte Liga. Logische Folge: der Aufstieg in Liga zwei.

Als dort der Start misslingt, riecht es im Dorf erstmals streng nach Geld. Ende August wird ein üppiges Transferpaket angeliefert, heraus klettern Demba Ba, Luiz Gustavo, Carlos Eduardo und Chinedu Obasi. "Where are all the people?" fragt Gustavo, als er Hoffenheim erblickt. Hatten ihm die Klubverantwortlichen nicht von zwei Millionen Einwohnern erzählt?

Schon - aber sie hatten die Metropolregion Rhein-Neckar dazugerechnet. In jenen Augusttagen gründet das Image, das die TSG nie mehr los werden sollte: jenes des schwer reichen Retortenklubs, dem es gar nichts nützt, wenn er in rührendem Bemühen die Jahreszahl 1899 in den Vereinsnamen aufnehmen lässt.

Nach den ersten Spielen mit Ba & Co. sagt Robin Dutt, damals Trainer in Freiburg: "Hoffenheim ist eine Gefahr für die Spitzenklubs der Liga - der ersten Liga, nicht der zweiten." Der Visionär behält Recht, Hoffenheim steigt auf. Hopp ist 68.

Sommer (2008 - 2009)

Bayern Muenchen v 1899 Hoffenheim - Bundesliga

Vedad Ibisevic: Treffer gegen den FC Bayern.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

2. Sommer (2008 - 2009)

Es wird heiß in Hoffenheim. Nach wenigen Wochen erster Liga drängen sich im Pressecontainer Journalisten aus England, Spanien, Brasilien und Nigeria. Die einen wollen Heldengeschichten ihrer Landsleute Gustavo, Eduardo oder Obasi in die Heimat transportieren, die anderen wollen einfach mal sehen, was das für ein Dorf ist, das eine der größten europäischen Ligen verrückt macht. Die Tankstelle am Ortseingang Hoffenheim macht glänzende Geschäfte, mit Tassen, Wimpeln und Brötchen.

Die Reporter schreiben, dass das Team aus dem Dorf mit der Tankstelle über ein schickes Jugendkonzept verfügt und mindestens wie Arsenal spielt. Zudem grübeln sie, wie sie "mitreißenden Vollgasfußball" übersetzen können. Rangnick, der Initiator des mitreißenden Vollgasfußballs, wird auf Englisch nach der Champions League gefragt. Er antwortet seherisch: "It's a long way to go."

Auch auf der Vip-Tribüne ist Sommer, die VIPs gedeihen prächtig und wachsen ständig nach. Bundestrainer Löw findet aufstrebende Jungprofis wie Beck, Compper und Weis toll und verpasst kaum ein Heimspiel, ebenso wenig Franziska van Almsick, die die neue Klubhymne ("Hoffe, Hoffe, wir sind Hoffe, in den Farben blau und weiß") bald auswendig kann. Rangnick engagiert sogar einen Professor für Myoreflextherapie. Die TSG spielt schneller als der Rest der Liga, aber dann kommt dieser 5. Dezember, das 1:2 beim FC Bayern. Es leitet den Spätsommer ein, in dem sich Unglücke und selbst verschuldete Fehlentwicklungen aufschaukeln.

In der Winterpause reißt das Kreuzband des Stürmers Ibisevic, der in 17 Spielen 18 Mal getroffen hatte. Mit dem Umzug ins neue Stadion in Sinsheim endet die Erfolgsserie. Der Erosionsprozess beginnt, er zeigt schon alle Symptome, die den Klub begleiten werden: gestiegene Erwartungen; Rivalen, die mit (Schein-?)Angeboten den Spielern den Kopf verdrehen wie die Bayern bei Salihovic; erste Transfers, die nicht sitzen und nicht ins Talentkonzept passen (Sanogo, Hildebrand). Intern steigen Neid und Kosten, und es bahnen sich Zerwürfnisse an, als Hopp Manager Schindelmeiser zum Geschäftsführer befördert - vorbei an Rangnick, dem das letzte Wort bei Transfers garantiert war. Der Spätsommer endet mit Gewittern auf Platz sieben. Die Öffentlichkeit bekommt wegen Hoffenheims Geschwätzigkeit fast alles mit.

Herbst (2009 - 2011)

3. Herbst (2009 - 2011)

TSG 1899 Hoffenheim - VfL Wolfsburg

Josip Simunic: Fehler für sieben Millionen Euro.

(Foto: ddp)

Der Herbst beginnt mit Joe Simunic. Er soll die Abwehrkräfte stärken, wofür Hopp sieben Millionen ausgibt - ein großer Fehler, wie die Verantwortlichen bald ahnen. Die Südamerikaner Zuculini und Maicosuel floppen ebenfalls - womit jene Identitätskrise beginnt, die den Anfang vom Ende des Erfolgsmodells einleitet. Hopp, der Kritik an seiner Geldbeutelpolitik und der steigenden Personalkosten überdrüssig, betont plötzlich den Wert von "Financial Fairplay" und "schwarzer Null" und verkündet eine Rückkehr zu den Wurzeln: weniger Ausgaben, keine Champions-League-Flausen! Die Elf spielt wechselhaft, Löw kommt seltener, am Ende der Saison '09/10 steht Platz elf, was niemanden zufrieden stellt.

Zur neuen Saison wird Manager Schindelmeiser von Ernst Tanner abgelöst - einem Experten für die Aufzucht von Talenten. In Carlos Eduardo verabschiedet sich der erste Sommerheld für 20 Millionen nach Russland, es kommen wieder vermehrt Junge (Rudy, Mlapa, Sigurdsson). Rangnick ärgert sich trotz solider Hinrunde über unnötig verlorene Punkte, im Dezember kritisiert Hopp Auswechslungen des Trainers. Der Konflikt eskaliert, als Hopp ohne Wissen Rangnicks mit Tanner und Spielerberater Roger Wittmann nach München fliegt, um Luiz Gustavo zu verkaufen. Am Neujahrstag 2011 melden Rangnick und die TSG die Trennung, und in der Branche entflammt eine Debatte über die Rolle von Hopp, der im Fall Gustavo den Eindruck erweckt, dass er - ohne operatives Mandat und Anteilsmehrheit im Klub - die großen Entscheidungen vorgibt.

Rangnicks Job übernimmt Marco Pezzaiuoli, der außer zahlreichen Vokalen wenig hinterlässt. Neben Gustavo verabschiedet sich auch Demba Ba per Streik nach England. Zum neuen, alten Talentkonzept nur dies: Aus Liverpool kommt Ryan Babel, ein teurer Star, der enttäuscht. Endplatzierung 2011: wieder nur Elfter. Worüber heute alle glücklich wären.

Winter (2011 - jetzt)

1899 Hoffenheim - Eintracht Frankfurt 0:4

Dietmar Hopp: nachdenklicher Mäzen.

(Foto: dpa)

4. Winter (2011 - jetzt)

Die Sinnsuche geht weiter. 2011 soll der Emotionstrainer Stanislawski mit seinem Hamburger Kultfaktor die chronisch emotionsarme Mannschaft vitalisieren; aber er bekommt keine Chance, einen 1:0-Sieg gegen Meister Dortmund seinem Kultfaktor zuzuschreiben: Eine Schall-Attacke gegen BVB-Fans, um deren Schmähungen gegen Hopp zu übertönen, bedient das alte Image des Plastikklubs. Als letzte alte Helden gehen wenig später Ibisevic und Obasi. Hoffenheim ist zudem zur Einflugschneise für Einflüsterer geworden; Politik wird in einem Beirat gemacht, in dem u.a. Hopps Steuerberater und ein Spielerberater sitzen; Roger Wittmann, ein anderer Spielerberater, baut seine umstrittene Rolle als Hopp-Vertrauter zielsicher aus.

Der Rest ist aktuellen Ligabeobachtern bekannt: Der neue Trainer Markus Babbel sorgt für die nächste abrupte Konzeptwende (Sieger-Gen-Spieler statt Talente, vollmundige Europapokal-Ziele), Torwart Tim Wiese wird zur Symbolfigur fürs schlechteste Transferpaket der TSG-Historie. Und wieder bündeln sich Fehler und Unglück: Nach vermurkstem Saisonstart 2012 wird ein zarter Aufwärtstrend durch den schweren Unfall von Boris Vukcevic jäh unterbrochen. Als die Mannschaft auf einen Abstiegsplatz absackt, muss der nächste Trainer gehen.

Auch Babbels Nachfolger Marco Kurz muss schnell feststellen, dass den Profis in der Komfortzone (mit schicker Klubzentrale in Zuzenhausen) die Kämpfertugenden fehlen. Manager Andreas Müller wirkt derzeit wie ein Konkursverwalter: "Ob wir drinblieben, weiß ich nicht, ich habe keine Glaskugel", sagt er. Aber er weiß: Fast so wichtig wie der Klassenerhalt wäre, dass Hoffenheim nach Jahren diffuser Strategiewechsel wieder etwas entwickelt, das die Branche Philosophie nennt: "Wir müssen wieder für was stehen", sagt Müller. An den Skalp der Bayern denkt keiner mehr.

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