Abstiegskampf:Weitermachen. Nur wie?

1. FC Koeln v SV Werder Bremen - Bundesliga

Untröstlich: Sehrou Guirassy trauert der vergebenen Größtchance in der turbulenten Endphase der Partie gegen Werder Bremen nach. Nach dem Abpfiff wollte kein Fan das Trikot des Kölner Stürmers haben.

(Foto: Dean Mouhtaropoulos/Getty)

Selten war ein Fußballspiel schon so früh in der Saison mit so viel Bedeutung beladen wie der Schlusslicht-Krimi zwischen Köln und Bremen. Das 0:0 hilft keinem weiter.

Von Philipp Selldorf, Köln

An den Straßenbahnhaltestellen Richtung Stadion sammelten sich Menschen mit ernsten Gesichtern, sie sahen allesamt aus, als seien sie auf dem Weg zum Arzt und rechneten mit dem Schlimmsten. Nur die obligatorische Bierflasche für die Wegzehrung passte nicht ins Bild. Fußballspiele, die mit Bedeutung so beladen sind wie es dieses war, finden normalerweise am 32. oder 33. Spieltag statt und nicht im Oktober, wenn die Saison noch jung ist. Aber die Lage wurde in beiden Lagern als außerordentlich bedrohlich aufgefasst, beim 1. FC Köln mit seinem minimalen Punkte-Guthaben naturgemäß noch mehr als bei Werder Bremen. FC-Trainer Peter Stöger hatte die Partie zum "emotionalen Endspiel" erhoben, womöglich auch für den Erhalt seiner eigenen Anstellung, weshalb es die Kölner Spieler vor dem Anpfiff für nötig hielten, die Vorsitzenden der Ultra-Verbände zum gemeinsamen Einschwören zu sich zu rufen.

Es lag also ein Drama in der Kölner Luft, und dramatisch ging es auch zu beim 0:0 zwischen den beiden in Not geratenen Traditionsklubs, aber der existenzielle Fußballkampf trug auch komödiantische Züge. Für die besonders tragikomischen Momente sorgte der Mann, der bei den Kölnern die Nummer 19 trug. Sehrou Guirassy, im Sommer des vorigen Jahres im Rang eines Geheimtipps in Frankreich erworben, hatte nicht nur genügend Möglichkeiten, um die Partie zu entscheiden, er hätte nebenbei auch Pierre-Emerick Aubameyang und Robert Lewandowski in der Torjägerliste Gesellschaft leisten können. Aber Guirassys persönliches Torkonto steht immer noch bei Null, und die Lage des FC ist trotz einer unter den schwierigen Umständen respektablen Leistung noch ein Stück ernster als vorher.

Werder Bremen kommt dem 1:0 noch am nächsten - in der Schlussminute

Zu erwarten war ein zähes Stück der Kategorie Notwehr, und diese Erwartung wurde nicht enttäuscht. Köln drängte mit wilder Verzweiflung voran, dank der Zutaten der Offensivkräfte Leonardo Bittencourt und Yuya Osako auch mit spielerischen Vorteilen; Werder beschränkte sich vorwiegend aufs Verteidigen und brauchte zwar ein Stück Glück, um dem Druck standzuhalten, kam dem 1:0 in der Schlussminute aber am nächsten, als FC-Profi Konstantin Rausch den Ball von Thomas Delaney kunstvoll vor der Torlinie ins Aus beförderte. Der einsame Punkt war für beide Seiten zu wenig, aber genug, um ein kleines bisschen Hoffnung zu schöpfen. "Das heißt: Weitermachen, weitermachen - bis das Erfolgserlebnis kommt", sagte Stöger. Spekulationen, er denke über seinen Rückzug nach, wies er von sich - und sah sich durch das hohe Engagement seiner Mannschaft darin bestätigt: "Ich kann und werde auch nicht von mir aus den Platz räumen, wenn ich nicht sehe, dass es eine andere, bessere Lösung für den Klub gibt." Alexander Nouri schloss sich der wohlwollenden Interpretation an: "Unheimlich viel Leidenschaft" habe er gesehen, "Einstellung und Moral haben jedenfalls auf beiden Seiten gestimmt". Gemeinsam ist den Beteiligten auch die Unfähigkeit vor dem gegnerischen Tor: Drei Tore haben die beiden Parteien jeweils erzielt, Werder ist seit sechseinhalb Stunden ohne eigenen Treffer.

Damit das Leiden im Strafraum nicht chronisch wird, hatte Stöger erstmals Claudio Pizarro in die Startelf aufgenommen, doch als sich die Bremer noch vor der Rache ihres einstigen Helden ängstigten, wurde der Name des Angreifers auch schon wieder von der Besetzungsliste gestrichen: muskuläre Probleme, erlitten beim Warmlaufen vor dem Match. Dass bei den Kölnern die beiden planmäßigen Sechser Marco Höger und Matthias Lehmann wegen ähnlicher Beschwerden ebenfalls passen mussten, passte ins Bild. Werder hingegen durfte erstmals den so lange vermissten Max Kruse auf die Bank setzen.

Von seelischer Überlast war zunächst nicht viel zu sehen. Beide Seiten begannen das Spiel mit Schwung und Angriffsgeist. Pizarros kurzfristig eingetauschter Ersatzmann Guirassy richtete sich wirkungsvoll auf seinem Posten ein und hätte innerhalb der ersten zehn Minuten dreimal zum gefeierten Mann werden können.

Doch mit seinen Kopfbällen traf er ebenso wenig ins Ziel wie mit einem Schuss aus zwanzig Metern, den ihm die Bremer freigebig gestattet hatten. Dies sollte aber nur die Ouvertüre sein. In der zweiten Halbzeit war es wieder Guirassy, der drei erstklassige Chancen vergab, auf den Tribünen begleiteten Verzweiflungsschreie seine vergeblichen Anstrengungen. Einmal schaffte er es, den Ball aus dem leeren Tor heraus ins Feld zu manövrieren, ein Ding der Unmöglichkeit, wie es schien. Ein anderes Mal, noch im ersten Durchgang, geriet sein Torschuss zur Rückgabe, obwohl er kaum zehn Meter vom Ziel entfernt stand und freien Zugang zum Ball hatte. "Wir schaffen es nicht, den Ball hinter die Linie zu bringen, es ist wie verhext", klagte FC-Torwart Timo Horn. Weitermachen, weitermachen, das ist nach diesem ergebnislosen Endspiel das Los sowohl der Kölner als auch der Bremer, das derzeit tatsächlich aussieht, als wäre es ein hartes Schicksal.

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