Abstiegskampf in der Bundesliga:Norddeutsche Haltungsfragen

Hannover 96 - Werder Bremen

Hannovers Didier Ya Konan (re.) und Bremens Eljero Elia: Kampf um die Bundesliga

(Foto: dpa)

Während Bremen den Abstiegskampf angenommen und fast schon gerettet ist, sieht es für die ambitioniert gestarteten HSV-Teams düster aus: Hamburg taumelt und Hannover droht ein unerwarteter Absturz.

Von Jörg Marwedel

Für Sebastian Prödl waren es die vielleicht intensivsten Minuten dieser Saison. Der Verteidiger von Werder Bremen schlich sich in der 90. Minute bei einem Eckball von Zlatan Junuzovic mal wieder in den Strafraum von Hannover 96. Und weil auch sein Abwehrkollege Luca Caldirola mit nach vorne gelaufen war und den Eckstoß mit dem Kopf weiterleitete, konnte der 1,94-Meter-Mann Prödl den Ball zum 2:1 für Werder ins Netz katapultieren.

Ein wenig musste der Torschütze noch zittern, eine letzte Chance zum 2:2 vergab Christian Schulz. Doch dann war der Österreicher der Triumphator. Nach dem Abpfiff kletterte er den Zaun vor der Kurve mit den 5000 Werder-Fans hinauf und breitete seine Arme aus, als wolle er sämtliche Anhänger an sein Herz drücken.

Die Bremer, die in dieser Bundesliga-Spielzeit oft so schlecht gespielt haben, als seien sie der erste Kandidat für Liga zwei, haben mit diesem Sieg im Nordderby schon fast den Klassenerhalt geschafft. Das "8-8-6-Punkte-Polster", wie Trainer Robin Dutt den Vorsprung vor dem HSV, Stuttgart und Nürnberg sechs Spiele vor Saisonende nannte, sei ja "nicht so klein, auch wenn es noch keine Sicherung ist".

Die vermeintliche Rettung der Bremer hat zwei Hauptgründe: Sie sind - ausgenommen die beiden Niederlagen gegen Wolfsburg - die norddeutschen Derby-Könige. Gegen Hannover und den HSV gewannen sie je zweimal, gegen Braunschweig gab es vier Punkte. Vor allem aber, so der glückliche Siegtorschütze Prödl, hatten sich "Verein, Umfeld und Mannschaft" total auf den Abstiegskampf eingestellt.

Genau das ist in der Krisenregion des Fußballnordens der große Unterschied zu den Rivalen Hamburger SV und Hannover. Der große und der kleine HSV waren beide mit dem Ziel Europa League in die Saison gestartet. Bald mussten sie einsehen, dass dieses Ziel vergleichbar war mit einem Bergsteiger, der ohne Übung die Alpen überqueren will. Und während der angeblich große Hamburger SV nach der neuerlichen Niederlage in Mönchengladbach schon auf Tabellenplatz 17 angekommen ist, könnte Hannover jener Klub sein, der noch unerwartet so böse abstürzen könnte wie Eintracht Frankfurt 2011 oder Fortuna Düsseldorf 2013. Die fühlten sie schon früh gerettet und rutschten aus dem Liga-Mittelfeld noch ganz nach unten ab.

Drastische finanzielle Folgen

Anders als die Bremer, die am Sonntagabend "das Glück erzwangen", wie Mittelfeldspieler Junuzovic sagte, merkte man Hannovers Spielern an, dass sie gedanklich noch nicht im Abstiegskampf angekommen sind. Sportdirektor Dirk Dufner forderte nach diesem "total enttäuschenden Spiel" eine "komplett andere Grundmentalität".

Auch Trainer Tayfun Korkut, der inzwischen eine ähnlich miese Bilanz hat wie Vorgänger Mirko Slomka, räumte ein, man müsse "den Abstiegskampf noch klarer annehmen". Während die Bremer also munter stürmten, zitterten sich die nervösen 96-Profis in Halbzeit eins von einem Fehlpass zum nächsten. Daher war es fast ein Witz, dass Szabolcz Huszti in der 43. Minute das 1:0 für Hannover erzielte, weil Eljero Elia die Bremer Freistoß-Mauer einladend weit geöffnet hatte.

Der zweite Witz war dann, dass die Hannoveraner nach der Pause zwar endlich besser spielten - aber plötzlich Tore kassierten. So gelang Bremens Mittelstürmer Franco di Santo in der 57. Minute zunächst der Ausgleich. Angeblich spielten die Hannoveraner nun so gut, "dass auch sie den Sieg verdient gehabt hätten", wie Werder-Trainer Dutt fand. Überhaupt scheint der gebürtige Stuttgarter Dutt viel vom ebenfalls aus Stuttgart stammenden Kollegen Korkut zu halten. Hannover sei eines der am besten organisierten Teams und hätte "phasenweise bärenstark" gespielt, lobte Dutt. Korkut hätte ihn zudem mit einem "cleveren Wechsel" überrascht, indem er Kapitän Lars Stindl plötzlich von Außen ins Zentrum zog. Da habe man eine Weile gebraucht, um sich darauf einzustellen.

Das Problem für den Taktiker Korkut liegt aber nun im psychologischen Bereich. Am Sonntag muss seine Elf zum aufstrebenden und bei vielen 96-Fans verhassten Nachbarn Eintracht Braunschweig, der selbst noch intakte Chancen auf den Klassenerhalt hat. Was die Anhänger fordern, haben sie schon nach dem Schlusspfiff auf einem Banner kundgetan: Für den Derby-Sieg gebe es "keinen Ersatz". Gelingt das schwierige Unterfangen nicht, könnte es extrem ungemütlich werden für 96, das noch 2013 in der Europa League spielte.

Noch düsterer sieht es beim Hamburger SV aus. Im Heimspiel am Freitag gegen Leverkusen fehlt vermutlich erneut einer der letzten Hoffnungsträger: Torjäger Pierre-Michel Lasogga musste in Gladbach schon wieder mit muskulären Problemen aufgeben. Zuspruch für den hoch verschuldeten HSV, der am Montag einen Etatplan für die zweite Liga einreichen musste, kam ausgerechnet von Borussia-Manager Max Eberl.

Sein Team sei ja zum gleichen Zeitpunkt vor drei Jahren sogar sieben Punkte von Rang 15 entfernt gewesen, erinnerte er sich - den HSV trennen dagegen nur ein Tor von Relegationsplatz 16 und zwei Punkte vom Nicht-Abstiegsplatz. Wie es mit Gladbach ausging, weiß man. Doch wenn es beim HSV in dieser Saison keine Rettung gäbe, dann hätte dies aufgrund der finanzielle Nöte des Klubs noch weitaus schlimmere Folgen als für andere Vereine.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: