Abstiegsduell in der Bundesliga:Dinos am Abgrund

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Hamburg gegen Köln, das ist jetzt ein Gipfeltreffen ganz unten - und bestätigt alle, die den Traditionsmarken unruhige Zeiten vorhersagen. Beim HSV sind sie für eine Schrumpfkur aber immer noch nicht bereit.

Von Philipp Selldorf, Hamburg/Köln

Außer Hohn und Spott gehören auch schlaue Ratschläge zu den unerwünschten Nebengeräuschen, die der Hamburger SV in seiner Rolle als ständiger Prügelknabe der Bundesliga aushalten muss. Ihm ergeht es dabei wie der SPD, die ebenfalls in dem Ruf steht, eine dringend sanierungsbedürftige Institution zu sein. So wie der HSV unter den Bundesligaklubs als Dinosaurier firmiert, so ist die SPD unter den Parteien die ewige alte Tante - bezeichnenderweise zwei Metaphern, die nahende Vergänglichkeit implizieren. Und während die SPD nun die Grundsatzfrage diskutiert, ob es nicht besser wäre, in der Opposition die politische Seele zu reinigen, statt sich der Gefahr auszuliefern, in der Regierung weiter marginalisiert zu werden, erhält auch der HSV jetzt überall Empfehlungen, seine in jahrelangem Niedergang missratene Existenz in der zweiten Liga zu läutern.

Am Wochenende stehen nun für beide Organisationen schicksalhafte Ortstermine an: Die SPD hält einen entscheidenden Parteitag ab, der HSV trägt ein Heimspiel gegen den 1. FC Köln aus.

Auch in Köln wird die Bedeutung der Partie im Volksparkstadion in Superlativen gemessen. Stilisierungen wie "Mutter aller Endspiele" tritt der FC-Trainer Stefan Ruthenbeck jedoch entgegen: Ihm genügt es, die Begegnung als "Endspiel" zu bezeichnen, und es ist ja ein Erfolg - sein Erfolg -, dass der FC überhaupt wieder Endspiele bestreiten darf. Als Ruthenbeck im Dezember das Amt von Peter Stöger übernahm, bestand sein Auftrag eher in der ehrenhaften Abwicklung der Saison als in der Rettung vor dem Abstieg. Daran änderte auch der erste Saisonsieg am 17. Spieltag nicht viel, außer dass er den neuen Sportchef Armin Veh mit Rücksicht aufs Taktgefühl in Erklärungsnot brachte: "Ich kann doch jetzt nicht sagen, dass ich allein für die zweite Liga plane - auch wenn ich genau das mache."

Auf wen soll man hoffen im Abstiegskampf? Lieber auf Geißbock Hennes...

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(Foto: Marius Becker/dpa)

...oder auf die Tore von Simon Terodde, fragen sie sich beim 1. FC Köln.

Nach dem 2:1 gegen Mönchengladbach haben die Kölner allerdings wieder Hoffnung - und damit auch wieder etwas zu verlieren. Ruthenbeck macht keineswegs den Eindruck, als ob ihn das beunruhigt. Der Druck auf die Mannschaft sei "riesengroß", meinte er zwar, das sei er aber auch vorher gewesen. Den größeren Druck sieht er beim Gegner: "In der Haut des HSV möchte ich nicht stecken", offenbarte Ruthenbeck. Dass ihm diese Äußerung als Sticheln und ungeschickte Motivationshilfe für die Gegenseite ausgelegt wurde, lässt ihn lächeln. Er habe doch nur ausgesprochen, was sowieso alle dächten. "Wir werden von der ersten bis zur letzten Minute auf Sieg spielen. Wir haben diese Endspiele ausgerufen, und das leben wir jetzt auch", kündigt Ruthenbeck an, und nachdem sein Team gegen Gladbach das Versprechen mit aller Gewalt eingelöst hat, klingt die Parole nicht mal wie eine Phrase.

Dieses Psycho-Duell am Abgrund ist mit Recht das sogenannte Topspiel am Samstagabend, es ist ein Liga-Gipfel, der ganz unten stattfindet, mit prominenten Protagonisten. HSV-Vorstandschef Heribert Bruchhagen, 68, darf sich in seiner Weissagung bestätigt fühlen, dass unter den Bedingungen des modernen Fußballgeschäfts und dem Vormarsch von Vereinen wie Hoffenheim und Leipzig den Traditionsmarken unruhige Zeiten bevorstehen. Bruchhagen hat in Frankfurt vorzeigbare Erfahrungen mit Ab- und Aufstiegen gesammelt, es ist aber zweifelhaft, ob man ihm in Hamburg einen weiteren Anlauf gestatten würde. Die HSV-Dauerkrise hat er nicht beheben können, und wie seine Vorgänger ist er nicht an Geldmangel, sondern am Geldausgeben gescheitert.

Nun folgt das übliche Programm. Alle Welt erwartet, dass der Trainer Markus Gisdol seinen Posten räumen muss, sollte sein Team am Samstag verlieren. Und dann? Die nächste Rückkehr von Bruno Labbadia? Während der HSV noch vor den Grundsatzfragen steht, hat der 1. FC Köln die Auswechslungen in Management und Trainerstab bereits erledigt, er plant wieder progressiv und selbstbewusst. Nach dem Mittelstürmer Simon Terodde, 29, hat Sportchef Veh nun den französischen Ligaspieler Vincent Koziello, 22, verpflichtet. Dafür gibt es unter den Managerkollegen der Liga viel Anerkennung: Terodde dürfte sich als Torjäger ebenso für beide Ligen eignen wie der Mittelfeld-Techniker Koziello.

So steht das Treffen am Samstag unter paradoxen Vorzeichen: Beim um sechs Punkte zurückliegenden Tabellenletzten herrscht Aufbruchsstimmung, in Hamburg spricht das hochgeschätzte Idol Uwe Seeler im Namen des Volkes wieder Besorgnis aus. "Es nimmt mich sehr mit, dass der HSV nichts auf die Beine gestellt bekommt", erklärte Seeler der Hamburger Morgenpost. Inmitten des grassierenden Pessimismus beweist HSV-Trainer Gisdol zumindest eine gewisse Stress-Resistenz: Es sei das "gefühlt 25. Endspiel" seit seiner Ankunft vor 15 Monaten, sagte er.

Da die Abstiegsangst zur quälenden Gewohnheit geworden ist, ist der Gedanke nicht abwegig, dass der geordnete Neubeginn in der zweiten Liga eine Chance sein könnte. Der VfB Stuttgart hat im Vorjahr erlebt, wie sich nach dem Abstieg die vormals verprellte und zornige Anhängerschaft solidarisierte. Der Klub verzeichnete einen Mitglieder- und Besucherrekord und ein ganz neues Lebensgefühl, die Verkäufe von Kostic, Werner und Rupp brachten 30 Millionen Euro ein und finanzierten dem VfB einen gelungenen Umbau. Aber der HSV ist noch nicht reif für die Vision von einer Schrumpfkur, und das liegt auch daran, dass der Blick aufs vorhandene Personal lediglich eine unschöne Gewissheit bietet: Mit dem Verbleib von Jann-Fiete Arp wäre im Abstiegsfall nicht zu rechnen. "Wenn der HSV absteigen sollte, muss man sich fragen, ob es sinnvoll ist, in die zweite Liga mitzugehen", erklärte dem Portal Sportbuzzer Falko Arp, der Vater des 18-Jährigen Sturmtalents, um dessen Vertragsverlängerung der HSV verzweifelt kämpft - nachdem er es im vorigen Jahr versäumt hatte, Tatsachen zu schaffen.

Im Grunde wissen die Hamburger nicht mal, ob sie in der zweiten Liga ihr Maskottchen behalten dürfen. Der Dino steht ja für die ewige Erstklassigkeit und hätte dort seine Bestimmung verwirkt. Auch da sind die Kölner mit dem Geißbock Hennes zukunftsfähiger aufgestellt.

© SZ vom 20.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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