Abstieg vom 1. FC Nürnberg:Einfach nur leer

FC Schalke 04 v 1. FC Nuernberg - Bundesliga

"Das ist der Abstieg": Nürnbergs Mike Frantz nach dem Spiel

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Die Fans entrollen bittersüße Botschaften, die Spieler umarmen sich, Mike Frantz weint: Der 1. FC Nürnberg steigt hinab in die zweiten Liga. Nun muss der Verein die gesammelten Peinlichkeiten der Saison aufarbeiten. Damit der Aufzug nicht zu lange braucht, bis er wieder nach oben fährt.

Von Andreas Morbach, Gelsenkirchen

Leicht gebeugt, beide Hände flach auf den Tisch gestützt, stand Roger Prinzen da und dachte an den Rest des angebrochenen Samstags. "Jetzt im Bus fünf Stunden nach Hause fahren", stöhnte der verhinderte Retter des 1. FC Nürnberg. "Da brauchen wir keinen Film zu schauen. Der Film läuft im Kopf - mit all den Spielen, die hinter uns liegen. Und du weißt: Es wird nicht besser. Das ist das Blöde." Leise schob er hinterher: "Das ist der Abstieg." Wenig später fuhr der Bus vom Gelsenkirchener Stadion ab in Richtung Nürnberg.

Drei Spiele lang mühte sich Prinzen nach der Entlassung von Gertjan Verbeek, den FCN wieder bundesligatauglich zu machen. Vergeblich: 0:2 in Mainz, 0:2 gegen Hannover, und nun zum Schluss ein 1:4 (0:2) auf Schalke. Die komplett verhunzte Saison mit nur fünf Siegen und drei Trainern endete mit der Katastrophe. Der Hamburger SV rettete sich in die Relegation, für den Club und Eintracht Braunschweig reichte es nicht. Nürnberg spielt nun 2. Liga.

Schon einmal, vor sechs Jahren, schossen die Königsblauen die Nürnberger - damals in deren Stadion - eine Etage tiefer. Nun übernahmen die Spieler aus dem Revier den Job erneut, und ihr eingewechselter Kapitän Benedikt Höwedes erklärte kühl: "Es gibt diese Freundschaft zwischen beiden Vereinen. Aber wir müssen klar auf uns schauen."

Dabei sehen sie ein mit jungen Kräften gespicktes Team, das gerade die beste Rückrunde der Vereinsgeschichte hingelegt hat und zudem - S04-Premiere - zum dritten Mal in Folge den Sprung in die Champions League geschafft hat. Und deren Trainer sich gleich danach trotzdem wieder Spekulationen über seine Ablösung durch den Mainz-müden Thomas Tuchel anhören musste. "Ich schmunzel darüber, denn langsam wird's ja peinlich", kommentierte Jens Keller nur.

Die Nürnberger haben nun ihre gesammelten Peinlichkeiten der vergangenen zehn Monate aufzubereiten. "Wir müssen in den nächsten Tagen ganz viele richtige Entscheidungen treffen, da liegt wahnsinnig viel Arbeit vor uns", pochte Martin Bader auf zügige Vergangenheitsbewältigung, gestand aber zugleich: "Ich bin einfach nur leer." Für die letzten Minuten des Spiels zog der erschöpfte Sportvorstand sich in den Spielertunnel zurück, ganz allein. Bader bekommt wohl einen Sportdirektor an seine Seite gestellt, und die Gerüchte, dass es sich dabei um den früheren Bayern-Mann Christian Nerlinger handeln könnte, wabern längst um den Valznerweiher.

"Manchmal hasst man, was man liebt"

Fest steht: Die von den FCN-Fans angeschobene und von Bader umgesetzte Image-Kampagne "Ich bereue diese Liebe nicht" hat erst mal Pause. In Gelsenkirchen spannte die Gefolgschaft der Franken beim Stand von 0:3 in ihrem Block ein großes Transparent mit der bittersüßen Botschaft auf: "Manchmal hasst man das, was man doch liebt!" Die Zeile, die dem Lied "Über sieben Brücken musst du gehn" der Rockband Karat entliehen ist, erinnerte an eine schwer verkrachte Beziehung. Und so standen sich Nürnberger Fußballer und Nürnberger Anhänger auch drei Minuten lang gegenüber: nahezu bewegungslos, schweigend, wie in einem Stummfilm.

Dann wurde das Transparent eingerollt und weggepackt. Der Abstieg aber blieb. Zum achten Mal wandert der 1. FC Nürnberg von der ersten in die zweite Liga - als die leidenschaftlichsten Fahrstuhlfahrer, die das Land kennt. Auf diesen Rekord würden sie gerne verzichten. Zum Trost donnerten die Freunde aus Gelsenkirchen ihren Gästen sechs Minuten vor dem Abpfiff aus vielen tausend Kehlen entgegen: "Der FCN, der FCN, der FCN steigt wieder auf!"

"Das kriegt man schon mit", sagte Roger Prinzen, dem man auch in diesem Moment, eine gute Stunde nach Spielschluss, die Rührung noch anmerkte. "Zwar hilft es nichts", fügte der 45-jährige Coach noch hinzu. "Aber man sieht, was das hier für eine Kraft ist."

Von Kraft kann beim FCN aktuell keine Rede sein. "Wir sind irgendwann in eine Phase reingerutscht, wo wir kein Selbstvertrauen mehr hatten", rekapitulierte Kapitän Per Nilsson, und der Ende April kurzfristig von der U23 hochgeholte Prinzen berichtete von seinen ersten Tagen als Karren-aus-dem-Dreck-Zieher: "Man hat gemerkt, dass die Mannschaft einen Anker gesucht hat."

Den rettenden Hafen haben sie alle zusammen verpasst. Im Sommer geht es nun hinab in die zweiten Liga. Manche glauben, der 1. FC Nürnberg wird sich dort nun für längere Zeit aufhalten. Makoto Hasebe schlurfte nach dem Spiel über den Platz, Timothy Chandler zog sich die Kapuze tief ins Gesicht. Und Mike Frantz? Der weinte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: