ABC zum SC Paderborn:Lieber Schützenfest als Relegation

SC Paderborn v SV Sandhausen - 2. Bundesliga

Bereit für den Aufstieg: Paderborns Elias Kachunga, Mahir Sağlık und Süleyman Koç (von links).

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Als 53. Debütant könnte der SC Paderborn in die Bundesliga einziehen. Mit Mini-Etat, Ronaldo-Freistoßdouble - und einem Stadion, in dem wegen Ruhestörung um 22 Uhr abgepfiffen sein muss. Das ABC zum Aufstiegskandidaten.

Von Ulrich Hartmann

Branchenkenner behaupten, die Bundesliga zittere - aus Angst vor dem SC Paderborn. Der ländliche Zweitligist aus Ostwestfalen-Lippe benötigt an diesem Sonntag gegen den VfR Aalen nur noch einen Heimsieg zum Aufstieg in die erste Liga. Ein Unentschieden oder eine Niederlage könnten die Relegation bedeuten - je nach Ausgang der Partie des zwei Punkte zurückliegenden Verfolgers Fürth (gegen Sandhausen). Den Fans der etablierten Erstligisten würde sich mit Einzug des Debütanten eine ostwestfälische Welt eröffnen: mit sakralen Schützenfesten, wütenden Stadionnachbarn und einer Heidschnuckenschäferei. Ein Paderborn-ABC:

Anreise: Mehr als die 1900 Fahrradstellplätze an der Paderborner Arena hat kein Stadion in Deutschland zu bieten. Für motorisiert Zureisende gibt es an der Autobahn 33 die Abfahrt Elsen, für die Charterflieger der Gästeklubs sogar eine Landebahn auf dem Flughafen Paderborn/Lippstadt. Koordinaten für Segler und Ballonfahrer: 51°43'13" N, 8°45'23" O.

Bundesliga-Neuling: Der SC Paderborn wäre der 53. Erstliga-Debütant in der 51 Jahre währenden Bundesliga-Geschichte. Mit knapp 145 000 Einwohnern belegt Paderborn Platz 55 in der Liste der größten deutschen Städte - und wäre längst nicht der bisher kleinste Bundesliga-Standort. Gleich neun Städte mit Erstliga-Historie sind kleiner. Ganz am Ende: Hoffenheim mit 3263 Einwohnern (Stand: 2008).

Club-Historie: Erster Fußball-Verein im Kreis Paderborn war die am 14. August 1907 gegründete Arminia Neuhaus. Nach zahlreichen Fusionen schlossen sich 1985 TuS Schloß Neuhaus und der 1. FC Paderborn zum heutigen SC Paderborn 07 zusammen.

Double: Der albanische Nationalspieler Alban Meha schießt Freistöße nicht halb so affig wie Real Madrids eitler Portugiese Cristiano Ronaldo - aber fast genauso gut: Schon sechs dieser Standards hat er in dieser Saison für den SCP direkt verwandelt.

Expansion: Die Nachfrage nach Fanartikeln explodiert. Deshalb stellte der Klub kürzlich eine zusätzliche Verkaufskraft für seinen Fanshop ein. Der Laden im Stadion hat die Größe eines Wohnzimmers.

Folklore: "Bitte keine Relegation - wir haben Schützenfest", stand neulich gegen Sandhausen auf einem Fan-Plakat. Die Medien stürzten sich auf dieses Bild - zur Visualisierung der Paderborner Provinzialität. Doch der Plakatierer kam offenbar aus dem Ortsteil Wewer. Das große Paderborner Schützenfest ist erst im Juli.

Gehälter: Paderborns Zweitliga-Kader kostet nur sechs Millionen Euro. "Mit so einem Etat ist noch nie ein Team in die Bundesliga aufgestiegen", sagt Manager Michael Born stolz. In der ersten Liga würde das Budget auf 15 Millionen Euro erhöht. Zum Vergleich: Der HSV würde bei einem Abstieg in der zweiten Liga mit ungefähr 25 Millionen kalkulieren.

Holli, das Maskottchen

Hymne: Das Klublied heißt "Helden geben niemals auf". Refrain: "Dein Name ist Musik in unser'n Ohr'n: SC Paaa-der-born."

Inschrift: Ein Heimsieg gegen Aalen am Sonntag würde Paderborn den zweiten Platz und den direkten Aufstieg sichern. Dann ginge es direkt im Anschluss zum Bürgermeister ins Rathaus, wo sich die Spieler ins Goldene Buch einschrieben.

Ja, hallo erst mal . . .: Der Kabarettist Rüdiger Hoffmann, der ostwestfälisches Phlegma stilisiert, ist einer der berühmtesten Söhne der Stadt. Leider ist er schon bekennender Fan von Borussia Dortmund.

Kneipe: Die Fans treffen sich und Vereinsoffizielle am ehesten in einer kleinen Kneipe namens "Kampus". Paderborn ist Universitäts-Stadt. Da braucht auch der Fußballtreff einen intellektuellen Anstrich.

Leitender Angestellter: André Breitenreiter, 40, kam vor der Saison vom Viertligisten TSV Havelse und ist zum ersten Mal Trainer einer Profimannschaft. Er spielt ein pressingorientiertes 4-4-2-, wahlweise ein ballbesitzfokussiertes 4-1-4-1-System. Sein Vertrag gilt bis 2016. Beim Trainerlehrgang 2012/13 war er Drittbester hinter dem Fürther Trainer Frank Kramer (am Sonntag Rivale im Kampf um Platz zwei) und Thomas Meggle, heute U23-Coach beim FC St. Pauli.

Maskottchen: Die blaue Maus "Holli" hat 2009 in Berlin das "Maskottchenrennen" gewonnen. So gesehen war Paderborn sogar schon mal deutscher Meister.

Natur: Paderborn liegt malerisch in Ostwestfalen-Lippe am südlichen Ausläufer des Teutoburger Walds. In der Senner Heide lohnt ein Besuch in der Heidschnuckenschäferei, im Aatal die Begehung eines Barfußpfads.

Olé, olé: 34 Fanklubs sind auf der Internetseite des Vereins aufgeführt. Sie heißen beispielsweise: Paderpower, Paderpatrioten, Paderfreunde, Paderwölfe, Paderfeuer oder Paderrollis.

Pader: Der Nebenfluss der Lippe ist vier Kilometer lang, gilt als kürzester Fluss Deutschlands und sprudelt aus 200 Erdlöchern. "Born" bedeutet: Quelle.

Erinnerungen an Hoyzer

Qualität: Schon vor Breitenreiter haben sich zwei erfolgreiche Trainer in Paderborn einen Namen gemacht - zwei Trainer, die in der nächsten Saison Bundesligisten betreuen: Berlins Jos Luhukay (2005/06) und Leverkusens künftiger Coach Roger Schmidt (2011/12).

Resozialisierung: Flügelstürmer Süleyman Koç hat im Januar eine Haftstrafe wegen schweren Raubs beendet. Zur Tatzeit spielte er noch für Babelsberg und saß am Steuer eines Fluchtwagens. In Paderborn sucht er seine zweite Chance - weit weg von den kriminellen Kumpanen in Berlin.

Stadion: Benteler-Arena, 15 000 Plätze, vormals Energieteam-Arena, vormals Paragon-Arena. 2008 eingeweiht und bereits zweimal umbenannt. Ein Ausbau ist selbst im Falle des Bundesliga-Aufstiegs vorerst nicht geplant - allenfalls bei einem Klassenverbleib: auf etwa 23 000 Plätze.

Torjäger: Der Türke Mahir Sağlık ist mit 15 Treffern Paderborns bester Schütze und einen Spieltag vor Saisonende auch der erfolgreichste der gesamten zweiten Liga.

Unterstützer: Der Mäzen, Möbelmogul und Klubpräsident Wilfried Finke sagt nicht, es wäre die Erfüllung für ihn, wenn man aufstiege. Er sagt: "Es wäre der Höhepunkt, wenn wir in der Bundesliga den Klassenerhalt schaffen."

Verpflegung: Das Stadionbier heißt 'Paderborner Gold' (3 Euro), die Bratwurst (2,50 Euro) kommt von Schweinen aus der Region. Die Imbissstände befinden sich unter den Tribünen, die drei Meter über der Grasnarbe beginnen. So sieht man auch aus den ersten Reihen ganz hervorragend.

Wettbetrug: Schiedsrichter Robert Hoyzer verpfiff am 21. August 2004 den Hamburger SV im Erstrunden-Pokal-Aus beim SC Paderborn. Verabredet hatte er das damals aber nicht mit Spielern, sondern mit dem Berliner Wettbetrüger Ante Sapina.

XXL: Weil der Computer-Pionier Heinz Nixdorf 1925 in Paderborn geboren wurde, steht hier mit dem "Heinz Nixdorf Museumsforum" das größte Computermuseum der Welt.

Yippieayey: Paderborn will den Aufstieg in die Bundesliga bejubeln, während der große ostwestfälische Rivale Arminia Bielefeld 45 Kilometer nördlich in die dritte Liga abzusteigen droht. Ein Triumph fürs Paderborner Selbstbewusstsein.

Zapfenstreich: Anwohner hatten per Protest bereits in der Baugenehmigung für das Stadion verankert, dass es rund um die Arena ab 22 Uhr still sein muss. Deshalb gibt es in der zweiten Liga keine Montagsspiele, deshalb gäbe es in der Bundesliga keine Freitagsspiele. Denn unter der Woche müsste um 19 Uhr angepfiffen werden.

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