Tennisprofi Janko Tipsarevic:Feingeist der Tennisszene

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Feingeist der Tennisszene: der Serbe Janko Tipsarevic

(Foto: AFP)

Er liebt Literatur, spricht anspruchsvolle Sätze und zermürbt seine Gegner: Der Serbe Janko Tipsarevic ist eine besondere Figur im Welttennis. Beim Turnier in München gilt er als Favorit. Dabei war Tipsarevic jahrelang nur ein Talent, das seine Emotionen nicht in den Griff bekam.

Von Gerald Kleffmann

Einmal flog der Tennisprofi Janko Tipsarevic nach Montreal. Als er zur Passkontrolle kam, sah er "die längste Schlange in der Geschichte der Welt", wie er später berichtete. Cool überholte er alle und wollte an einem Schalter ohne Schlange, der nur für spezielle Menschen gedacht ist, seinen Ausweis ziehen - da stürzten drei Polizisten auf ihn zu. "Ich hatte eine Surfhose an, trug meine Sonnenbrille. Ich sah aus wie ein Irrer." Doch Tipsarevic blieb wieder cool. Er zog den Pass und sagte trocken: "Sorry, ich bin ausländischer Diplomat." Schon durfte er Kanada betreten.

Der 28-jährige Serbe aus Belgrad kann einige solcher Geschichten erzählen. Weil er ganz offensichtlich eine besondere Person ist, zieht er besondere Begebenheiten an. Er hat gemodelt, er mixt House-Musik, die er ins Internet stellt, er mag Kunst, etwa Werke von Salvador Dali, geschauspielert hat er auch schon. Seine - natürlich bildhübsche - Frau ist eine in der Heimat bekannte TV-Moderatorin.

Politiker belohnten ihn mit einem Diplomatenpass

Er selbst hat ein Faible für anspruchsvolle Literatur, trägt Tätowierungen mit Sprüchen von Schopenhauer und Dostojewski, seine gespiegelte Brille ist sein anderes Markenzeichen. Ein serbisches Männerheft kürte ihn jüngst zum "Man of the Year".

Ist dieser Tipsarevic also nur ein vorzüglicher Hallodri? Einer, der eher flaniert, die lässige Pose liebt und weniger für überzeugende Leistung im Alltag steht?

Janko Tipsarevic ist die Nummer zehn der Tennisweltrangliste. In Serbien ist er bei denen, die sich für Sport interessieren, und das sind viele, ein Held. Er wurde, mit dem Weltbesten Novak Djokovic, Davis-Cup-Sieger. Politiker zu Hause belohnten ihn prompt mit dem Diplomatenpass für zwei Jahre. Auch hat er schon fast sieben Millionen Dollar Preisgeld auf der Tour erspielt. Damit ist schon vieles beantwortet. Aber natürlich längst nicht alles.

Jahrelang galt er als Talent, als Versprechen

Denn Tipsarevic, der an diesem Donnerstag als Topgesetzter der BMW Open in München ins Turnier einsteigt, ist der lebende Beweis dafür, dass das auch im Profisport geht: zu reüssieren und zugleich eine spannende Figur mit tausend Facetten zu sein. Auf Klischees zu pfeifen und mit Widersprüchen zu leben. In eine Schablone passt dieser 1,80 Meter große Athlet mit dem G.I.-Körper nicht. Tipsarevic ist Malocher und Feingeist. Patriot und Weltbürger. Verschlossen und offen. Er liest Bücher über Psychologie. Und den Herrn der Ringe. Er spielt mit der Presse. Und verdammt sie. Er hängt mit Star-DJs wie Steve Angello ab. Und setzt sich für krebskranke Kinder ein. "Das Leben ist nicht schwarz oder weiß", sagt er, "es ist grau." Und er, ja, er liebt das Leben eben genau so.

Bei dem Versuch zu erklären, warum er sich eher spät endgültig in der Weltspitze etablierte, antwortet er entspannt: "Ich bin gereift." Er, der 2001 als zweitbester Junior der Welt ein Versprechen war, aber lange seine Emotionen nicht immer im Griff hatte, er weiß nun: "Es geht in unserem Beruf nicht nur darum, ein, zwei, drei Stunden auf dem Platz gut zu sein. Es geht um den Weg, wie du Tennis lebst und dich damit beschäftigst." Seit 2009 schuftet er mit seinem deutschen Trainer Dirk Hordorff, der Rainer Schüttler lange betreute. Die bunten Glamourfotos von Tipsarevic, die sogar er selbst übers Internet in die Welt schickt (etwa Hochzeitsfotos), bilden nicht ab, wie viel Arbeit er wirklich in seinen Job steckt.

Humor hat er auch

Er weiß längst, er muss auf allen Ebenen viel investieren, "auch außerhalb des Platzes muss man professionell sein". Auf dem Platz ist er es sowieso, das erklärt auch, wie er sich, quasi ohne Wunderschlag im Repertoire, in die Top Ten geschlichen hat. Seine vier Siege hat er allesamt bei kleineren Veranstaltungen erreicht, Turnieren der 250er Serie. München zählt auch zu dieser Kategorie. Seine Stärke ist es, "ein Allrounder" zu sein, gute Vorhand, gute Rückhand, aggressiv von der Grundlinie, nie nachlassend. Das zermürbt Gegner. Allerdings funktioniert diese Spielweise nur, wenn er wirklich fit ist und die Aura des Fitten ausstrahlt.

Das war nach seinem letzten Turniersieg im Januar in Chennai, Indien, nicht der Fall. "Ich bin wohl zu früh nach einer Verletzung zurückgekehrt", rügt er sich, frühe Niederlagen danach waren die Folge. Tipsarevic kann herrlich selbstkritisch sein. Auf seiner Homepage hat er mal eine Art Brief verfasst, der an den jungen Tipsarevic gerichtet war. Er liest ihm regelrecht die Leviten.

Ein andermal hat er eingeräumt, er müsse mit der schweren Literaturkost kürzer treten. Die schweren Gedanken würden nur Zweifel fördern, und das kann man sich bei ihm tatsächlich gut vorstellen: Wie es in ihm brütet. Wenn er redet, redet er wohlbedacht, formuliert auch in Englisch anspruchsvolle Sätze, die selten stereotyp wirken. Was aber nicht bedeutet, dass er schlanke Gedanken nicht auch draufhätte. Als er in München gefragt wird, wie es zu seiner Tätowierung des Dostojewski-Spruchs "Schönheit wird die Welt retten" kam, der in japanischer Schrift den Unterarm ziert, sagt er verschmitzt: "Ich habe damit begonnen und konnte ja schlecht mittendrin aufhören." Humor hat dieser formidable Typ auch.

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