Statistik des Innenministeriums:Gewalt in deutschen Stadien nimmt zu

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Die Tendenz geht zur Straftat: Immer häufiger kommt es in Erst- und Zweitligapartien zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Nach Zahlen des Bundesinnenministeriums haben sich innerhalb von zehn Jahren Körperverletzungen mehr als verdoppelt - die Beteiligung der Klubs an den Kosten von Polizeieinsätzen steht weiter zur Debatte.

Von Thomas Kistner

Bei Borussia Dortmunds Heimspielen, monierte Polizeipräsident Norbert Wesseler erst letzte Woche, müssten seine Leute immer stärker durchgreifen. Nur in der Hinrunde gab es bereits 44 Verletzte zu beklagen, darunter zwölf Beamte; damit stünden fast so viele Übergriffe zu Buche wie in der ganzen Vorsaison, so der Behördenchef. Wo soll das hinführen? Dass die Tendenz zur Gewalt im Stadion nicht regional begrenzt, sondern eine bundesweite ist, geht nun aus einer Antwort hervor, die die Bundesregierung auf Anfrage der Linken-Fraktion gibt. Darin verzeichnet das Bundesinnenministerium (BMI) einen dramatischen Anstieg der Straftaten bei Erst- und Zweitligaspielen. Gab es in der Saison 2001/02 insgesamt 861 Körperverletzungsdelikte, hat sich die Anzahl zehn Jahre später, in der Spielzeit 2011/12, mehr als verdoppelt: 1831 Delikte. Das BMI stützt sich dabei auf die Jahresberichte der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS).

Erheblich verstärkt habe sich auch der Widerstand gegen die Staatsgewalt. Für Spiele der beiden Bundesligen, im DFB- Pokal sowie für alle sonstigen Partien von europäischen Klub-Wettbewerben bis Länderspiele wurden 2001/02 noch insgesamt 187 Fälle berichtet; in der Saison 2011/12 waren es mehr als doppelt so viele: 371.

Erkenntnisse zum Anteil der Verurteilungen, so das BMI, lägen dabei aber nicht vor. Das lässt Zweifel - Widerstand gegen die Ordnungskräfte ist ja ein dehnbarer Begriff. Zugleich hat sich das BMI in der Stadion-Sicherheitsdebatte stark engagiert. Vorneweg Innenminister Hans-Peter Friedrich, den mancher Kollege auf Länderebene noch zu überholen versuchte. Den Gipfelpunkt der Kontroverse setzte Friedrichs Drohung, Stehplätze in den Stadien abzuschaffen. Deutscher Fußball-Bund und die Liga DFL begriffen dies als ultimativen Druck, zusätzliche Regeln für das Verhalten der Fans einzuführen; jüngst wurde ein erweitertes Sicherheitskonzept verabschiedet. Den Linken geht es nun um heikle Fragen: "Welchen Einfluss die Innenminister von Bund und Ländern auf die Verbände nehmen, welche politische Intention dahinter steht und auf welcher Rechtsgrundlage (...) die Innenminister handeln".

Die Rechtsgrundlage sieht just dort wenig überzeugend aus, wo die Politiker den Hebel am liebsten ansetzen möchten. "In der Diskussion", teilt das BMI mit, "befindet sich derzeit vor allem die Frage der Kostenbeteiligung an Polizeieinsätzen im Zusammenhang mit Fußballspielen durch die Vereine." Im Klartext: Die Kicker-Branche, die künftig gut fünf Milliarden Euro in drei Jahren erlöst, sollte die Polizeikosten mittragen.

Das fordert auch Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft. Zur Debatte stünde die "Jahresarbeitsleistungen von elf Hundertschaften der Polizei, deutlich mehr als 100 Millionen Euro an Personalkosten, die der Steuerzahler bezahlt." DFB und DFL sollten sich daran "wenigstens mit 50 Millionen beteiligen".

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Tatsächlich spricht viel dafür, den immensen Reibach, der in den Fußball fließt, sinnvoller zu verwenden als nur für die Bezahlung von Kickern und Beratern. Doch "soweit die Bundespolizei betroffen ist", konstatiert die Bundesregierung betrübt, verfüge sie "derzeit über keine Rechtsgrundlage", um den Klubs Sicherheitskosten außerhalb der Stadionzone aufzuzwingen. Das könnten allenfalls die Länder.

Das BMI verbreitet auch gute Kunde. So gibt es zur Abschaffung der Stehplätze derzeit gar keine "konkreten Konzepte". Und: Nahm der Rechtsextremismus in den Stadien bis 2006 stramm zu, gibt es seit der WM einen kontinuierlichen Rückgang zumindest in der Darstellung verfassungswidriger Organisationen. Von 118 Straftaten 2001/02 stieg die Kurve auf 229 in der Saison 2005/06. Die Saison 2011/12 verzeichnete nur 97 Delikte.

© SZ vom 29.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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