Silber bei Ski-WM für Felix Neureuther:"Das war besser als jeder Sieg"

Felix Neureuther empfindet nach Platz zwei im Slalom der Ski-Weltmeisterschaft eine "sehr, sehr große Genugtuung". Er holt die erste deutsche WM-Medaille der Männer seit 2001. In einem extremen Rennen vor 40.000 entfesselten Zuschauern in Schladming fährt nur der Österreicher Marcel Hirscher schneller.

Von Michael Neudecker, Schladming

Unten alles rot-weiß-rot, das hat Felix Neureuther gesehen, als er im Starthaus stand, und dieser Begeisterungsschwall, der den Berg raufkam, weil vor ihm der Österreicher Mario Matt mit Bestzeit ins Ziel gekommen war, sagt Neureuther, "der hätte mich fast rückwärts aus dem Starthäusl rausgeworfen".

Er fuhr los, links, rechts, links, rechts, er wusste nicht, wie schnell er war, aber dann, im Steilhang, hat er gehört, was los war: Es war leise. Neureuther war schneller als Matt, deshalb waren die Leute ruhig. "Das war ein gutes Gefühl", sagt Neureuther, er hat sich gedacht: "Leute, seid's bloß leise, seid's bloß leise!" Aber als er im Ziel war, jubelten die Leute doch, das Schladminger Publikum ist ja nicht unfair. Neureuther war mit Bestzeit im Ziel, er hatte eine Silbermedaille sicher, oben stand nur noch einer.

Marcel Hirscher ist schon vor dieser WM zum österreichischen Nationalhelden ausgerufen worden, eine Zeitung titelte am Sonntag, vor dem WM-Slalom: "Das Rennen das Jahrhunderts", sie haben ihm das ganze Land mit all seinen Bergen und Backhendln auf die Schultern geladen, auf dass er sie trage. Marcel Hirscher, 23 Jahre alt, hat genau das getan. Er hat sie getragen, als gäbe es nichts leichteres.

Dass Neureuther vorgelegt hatte, dass er ihm eine schwierige Aufgabe gestellt hatte mit einer guten Zeit, das hat Hirscher gewusst, na und? "Ich hab' gehofft", sagt Felix Neureuther, "komm, Marcel, mach' jetzt einen Fehler - oder jetzt - oder jetzt", er lacht ein bisschen, "aber den Gefallen tut er einem nicht." Als Hirscher über den Zielstrich fuhr, war er Weltmeister, und Rot-weiß-rot schrie, so laut man überhaupt schreien kann, 38.000 Menschen, vielleicht auch 40.000, wer weiß das schon. In der Nacht haben sie extra mit einem Bagger noch mal 120 Stufen in den Berg gegraben, für noch mehr Zuschauer.

Der Slalom von Schladming am Sonntag war eine Sternstunde des alpinen Skirennsports. "Es war abartig", findet Neureuther, er schüttelt den Kopf. Bei so einer WM eine Medaille zu gewinnen, "das war besser als jeder Sieg", sagt Neureuther, und die Historie gibt ihm recht: Es war die erste WM-Medaille eines deutschen Skirennfahrers seit Florian Eckerts Abfahrts-Bronze 2001 und die erste Slalom-Medaille seit Armin Bittners Silber 1989.

"Wir sind extrem glücklich", sagt Alpinchef Wolfgang Maier, dieses Rennen sei "ein extremes Erlebnis" gewesen, wegen des "extremen Drucks", daher sei er jetzt: "extrem stolz". Fritz Dopfer kam trotz guter Ausgangslage - er war Fünfter nach dem ersten Durchgang - zwar nur auf Rang sieben, aber niemand erwartete eine Medaille von Dopfer, er ist Riesenslalomfahrer, weshalb sein siebter Platz für das Gesamtgefühl der Deutschen letztlich extrem egal war.

Tränen beim ersten Interview

"Das war das anstrengendste, was ich je macht habe", sagt Felix Neureuther, "und zugleich das schönste", und das umschreibt das Gesamtgefühl der deutschen Mannschaft schon ganz gut.

Es war später Nachmittag, als Felix Neureuther ins Schladminger Kongresszentrum kam, um noch mal darüber zu sprechen, wie er diesen Tag erlebt hatte, noch mal all die Fragen zu beantworten. "Das ist so speziell", sagte Neureuther. Er sagte "unglaublich", "der Wahnsinn", und so weiter. Die Emotion, die ein persönlicher Sieg erzeugt, und das war diese Silbermedaille für Neureuther ja: ein Sieg - diese Emotion trug Neureuther jetzt vor sich her, es gab ja keinen Grund, sie zu verstecken. Im ersten Fernsehinterview nach dem Rennen wischte er sich die Tränen aus den Augen, mehrmals, am Ende stammelte er.

Schladming war Neureuthers sechste WM, dazu kommen zwei Olympiateilnahmen, noch nie hat er eine Einzelmedaille gewonnen, obwohl er schon früh zu den talentiertesten Vertretern seines Sports gehörte. "Es hat immer geheißen, der Neureuther packt's nicht bei Großereignissen", sagt Felix Neureuther, und dass der Neureuther es jetzt doch gepackt hat, das, er atmet tief durch, "ach, das ist eine sehr, sehr große Genugtuung".

Dass er es packen kann, daran gab es auch innerhalb der Mannschaft vorsichtige Zweifel vor diesem Sonntag, hervorgerufen vor allem durch seinen ersten Durchgang im Riesenslalom am Freitag, in dem er den gleichen Fehler machte wie schon oft bei Großereignissen: höchst motiviert fahren, höchst aggressiv und mit höchster Fehlerquote.

Nach ersten Durchgängen hat Felix Neureuther bisher oft gesagt, er werde im zweiten Lauf voll angreifen, volle Attacke, solches Zeug, und deshalb waren die Zweifel diesmal spätestens nach dem ersten Durchgang verschwunden. Nach dem ersten Durchgang am Sonntag war Neureuther Zweiter, danach sagte er: Er werde sich "mit Marcel einen Fight liefern", von Attacke und vollem Angriff sprach er nicht. Felix Neureuther hat aus seiner Vergangenheit gelernt, endlich, das ist für ihn die wichtigste Erkenntnis dieses Sonntags.

Und jetzt? "Jetzt kommt Olympia in Russland", sagt Neureuther, "mal schauen, wie da die Stimmung wird." Und dann? "Kommt eine WM in Amerika, mal schauen, wie da die Stimmung wird, und danach", er überlegt kurz, "Olympia in Südkorea", nun: "mal schauen, wie da die Stimmung wird", Neureuther grinst. Schladming war einzigartig, für ihn vor allem.

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