Schlierenzauer bei der Vierschanzentournee:Gregor aus der Leistungssportmühle

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Heimsieg in Innsbruck: Gregor Schlierenzauer. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Mit seinem Sieg beim dritten Springen in Innsbruck setzt sich der Österreicher Gregor Schlierenzauer an die Spitze der Tournee-Gesamtwertung. Das Duell mit dem Norweger Anders Jacobsen ist auch der Vergleich zweier Skisprung-Kulturen.

Von Thomas Hahn, Innsbruck

Ein Silberhelm stach durch den Innsbrucker Nebel. Er gehörte Gregor Schlierenzauer, und sogleich brach ein Jubel los im Schanzenkessel am Bergisel, der Ohren betäubte. Überall Lärm, überall rotweißrote Fahnen, und wenig später erklärte der Weltmeister aus Fulpmes mit versonnenem Lächeln und einem Regenschirm in der Hand, dass ihm dieser dritte Wettkampf der 61. Vierschanzentournee "ganz gut geglückt" sei.

Tatsächlich hat Gregor Schlierenzauer genau diesen Sieg vor dem Polen Kamil Stoch und dem Norweger Anders Bardal gebraucht, um die Verhältnisse in der Tourneewertung wieder zurechtzurücken, die der Norweger Anders Jacobsen mit seinen Erfolgen in Oberstdorf und Partenkirchen durcheinandergewirbelt hatte. Jacobsen sah traurig aus. "Schlecht" nannte er im ORF seinen zweiten Sprung, "ich war etwas angespannt." Platz sieben, Gesamtführung verloren vor dem Finale am Dreikönigstag in Bischofshofen.

Allerdings sind sich die beiden letzten Gesamtsieg-Kandidaten einig gewesen in der Einschätzung, dass "noch nichts verloren" (Jacobsen) bzw. "der Kuchen noch nicht gegessen" (Schlierenzauer) sei, im Kampf um die Tournee-Krone. 10,7 Punkte Vorsprung hat Schlierenzauer jetzt auf Jacobsen, der Verfolger hat sich in den Führenden verwandelt, der Führende in den Verfolger, viel mehr ist nicht passiert.

Es bleibt dabei: Ein schönes Gegensatzpaar hat zueinandergefunden an der Spitze dieser Tournee, das für mehr steht als nur für den Wettstreit zweier außergewöhnlicher Einzelsportler. Schlierenzauer gegen Jacobsen, das ist Österreich gegen Norwegen und damit der Vergleich zweier Sportkulturen, die sehr unterschiedlich sind und trotzdem irgendwie zusammengehören.

Norwegen ist das Mutterland des Skispringens, Österreich ist das Mutterland des professionalisierten Skispringens, so ungefähr kann man das sagen. Die ersten Aufzeichnungen über skispringende Soldaten sind über 200 Jahre alt und stammen aus Norwegen, hier fing alles an. Die ersten Siegspringer, die ihre Erfolge umfassender Trainingsmethodik und intelligenten Materiallösungen verdankten, flogen in den 1970er Jahren und stammen aus Österreich. Hier liegt der Ursprung einer Skisprunglehre, die heute auch einen Einfluss auf Norwegens Schanzensport hat.

In der Skination Norwegen hat ein Leistungssport Tradition, der sich aus einem Wettbewerb regionaler Kräfte speist und junge Leute nicht zu früh festlegen will auf eine Karriere als Medaillenjäger. Die Skination Österreich pflegt Sportförderung nach System und klaren Strukturen, effizient, nachhaltig, ergebnisorientiert. Längst haben die Norweger angefangen, sich aus dem Ausland belehren zu lassen.

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Die früheren Sieger des traditionsreichen Skisprungvierkampfes waren allesamt wagemutig - manch einer auch abseits des Sports. Von Offizieren, Häftlingen und Maskenträgern.

Der Cheftrainer der norwegischen Skispringer ist Österreicher, und auch wenn Alexander Stöckl mit großem Respekt vor seinem Arbeitgeberland zu Werke geht, in Norwegen lebt und Norwegisch gelernt hat - er treibt die Österreichisierung des norwegischen Sportsystems voran, bemüht sich um mehr Einheitlichkeit in der Athletenausbildung und straffere Talentförderung.

Trotzdem ist in der Karriere des Anders Jacobsen noch was zu sehen von den Eigenheiten des norwegischen Sports. Dass er Klempner war und schon 21, ehe der damalige Nationaltrainer Mika Kojonkoski ihn zum Tourneesieger 2007 formte, ist schon so oft erzählt worden, dass man es gar nicht mehr hören will.

Aber diese biographische Note sagt halt auch was über die Art, in der man in Norwegen Sportlerkarriere macht: aus dem normalen Lebensalltag heraus. Schlierenzauer dagegen ist ein hundertprozentiger Sohn der österreichischen Leistungssportmühle, früherer Skiinternatsschüler, sorgfältig ausgebildet als Athlet und Medienfigur.

Man braucht nur die Titelsammlungen der beiden zu vergleichen, um zu sehen, welcher Weg mehr Erfolg verspricht. Jacobsen, 27, hat nach seinem Tourneesieg 2007 zwei Mal Einzel-Bronze bei Weltmeisterschaften gewonnen, dazu ein paar Silber- und Bronze-Plaketten im Team sowie acht Mal im Weltcup, und sein aktuelles Hoch erlebt er nach einer einjährigen Auszeit. Schlierenzauer war 16 bei Jacobsens Tournee-Triumph und gewann damals zwei Einzeletappen.

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Heute ist er 22, hat außer olympisches Einzel-Gold alles gewonnen, was der Betrieb hergibt, und wird demnächst den Weltcuprekord des finnischen Sprunggenies Matti Nykänen einstellen; zwei Erfolge fehlen Schlierenzauer noch zu Nykänens 46 Siegen. Schlierenzauers Talent ist so groß und nachhaltig entwickelt, dass Toni Innauer, Österreichs früherer Skisprung-Direktor, sagt: "Schlierenzauer ist die Verwirklichung eines Idealbildes. Wenn man ihm zuschaut und seine körperlichen Werte kennt, weiß man genau, warum er so gut ist."

Dass Jacobsen als Meisterflieger ohne die athletischen Qualitäten Schlierenzauers zuletzt vor diesem her sprang, versteht Innauer eigentlich gar nicht: "Bei Jacobsen gibt es ein paar sehr schöne, sehr magische Fragezeichen."

Die Österreicher wissen, dass sie mit ihrem Skisprungsystem den anderen überlegen sind. Sie sind sehr stolz darauf, und das ist wohl auch der Grund dafür, dass sie zunächst etwas empfindlich reagierten, als sich herausstellte, dass Jacobsen seine Flugeigenschaften mit einer Schuhversteifung made in Austria verbessert. Die Österreicher regten sich schnell wieder ab, weil Weltverband Fis das Patent als regelgerecht durchgewinkt hat.

Und vielleicht auch, weil das Thema Material ohnehin zu groß ist für Mediendebatten. Der deutsche Bundestrainer Werner Schuster hat jedenfalls am Freitagabend ohne Vorwurf gegen andere Teams festgestellt: "Es ist ein Materialkrieg im Gange, in dem man absolut das Maximale ausreizt - und manchmal wird die Grenze vielleicht überschritten."

Jacobsen selbst sagt dazu wenig und lächelt kraftlos zum Feuerwerk des Wortwitzes, das um seine Einlagen entbrannt ist. "Schuh-permann", "Schuh-tingstar." Nunja. Die Leute sollen reden, was sie wollen. Anders Jacobsen, der Nicht-Schlierenzauer, ist ganz froh darüber, dass er etwas gefunden hat, mit dem er der österreichischen Überfigur etwas entgegensetzen kann. Auf Dauer, das ahnt der Norweger wohl, wird das ohnehin nicht gehen.

© SZ vom 05.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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