Nürnberg entlässt Wiesinger:Sehnsucht nach Hecking

Werder Bremen -  1. FC Nürnberg

"Nach so einem Spiel hast du wenig Argumente als Trainer": Michael Wiesinger

(Foto: dpa)

Am Ende geht es ganz schnell: Nach dem 0:5 gegen den HSV beschließt der 1. FC Nürnberg die Entlassung von Trainer Michael Wiesinger. Als Nachfolger wird offenbar ein routinierter Fahrensmann gesucht.

Von Christof Kneer und Markus Schäflein

Eigentlich waren es reine Routine-Termine an diesem Montag: die DFB-Trainertagung in Frankfurt und die Sitzung von Vorstand und Aufsichtsrat beim 1. FC Nürnberg. Der Termin vom vergangenen Sonntag war ebenfalls lange verabredet, das Punktspiel der Nürnberger gegen den Hamburger SV stand seit Monaten im Kalender, aber der Verlauf dieses Routine-Termins hat den Charakter der anderen Routine-Termine komplett verändert.

Das erschütternde 0:5 (0:1) gegen den HSV brachte es mit sich, dass Michael Wiesinger am Montag offiziell noch Trainer, inoffiziell aber schon als angehender Ex-Trainer des 1. FC Nürnberg nach Frankfurt reiste. Und aus der ordentlichen Gremiensitzung beim Club war quasi über Nacht eine außerordentliche geworden.

Am frühen Montagabend ging es vor allem darum, jene Personalie abzunicken, die ein kleiner Entscheiderkreis um Sportvorstand Martin Bader zuvor bereits getroffen hatte: die Entlassung des glücklosen Trainers Wiesinger und seines Assistenten Reutershahn. Um 20.37 Uhr twitterte der Verein dann: "Club beurlaubt Michael Wiesinger und Armin Reutershahn." Wiesinger, 40, muss den Club nach einem Dreivierteljahr als Chefcoach verlassen.

Es ging recht schnell am Ende, wenn auch nicht ganz so schnell wie früher, als der Teppichunternehmer Michael A. Roth als Club-Patriarch amtierte; der Belgier Jeff Vliers wurde 1979 nach nur 51 Tagen im Amt gleich nach Schlusspfiff mit einem Schuhkarton voller Geld als Abfindung in die Heimat geschickt; und Willi Entenmann wurde 1993 gar schon vor einem Spiel entlassen (das er übrigens noch 2:0 gegen den FC Bayern gewann). Aber diese Ära ist vorüber, Sportvorstand Bader ist kein Chef, der solche Entscheidungen gerne trifft.

Er lenkt den folkloristischen Club mit der Nüchternheit eines Betriebswirtes, und so spricht er auch. Er sagt Sätze wie diesen: "Wir sind immer Fan davon gewesen, dass wir Verträge mit Leben füllen und dass wir zu unseren leitenden Angestellten mit einhundertprozentiger Überzeugung stehen." Das waren seine Worte nach dem 0:5 gegen den HSV - dass Bader die Vergangenheitsform für sein Bekenntnis wählte, war nicht mehr zu überhören.

Auch der Trainer dürfte gespürt haben, dass der Loyalitätsvorrat seines Vorgesetzten durch diese 90 Minuten aufgebraucht war. "Nach so einem Spiel hast du wenig Argumente als Trainer", sagte Wiesinger.

Martin Bader hat ernsthaft für Wiesinger gekämpft, es hat ihm nicht gefallen, dass der Trainer vom ersten Tag seiner Amtsübernahme an eine Autoritätsdebatte erdulden musste, deren Motive mitunter bedenklich oberflächlich waren. Wiesinger ist ein kleiner, ruhiger Mann, er ist keiner, der öffentlich poltert oder um der Profilschärfung willen ein paar Pointen setzt.

Irritiert vom eigenen Trainer

Diese Debatte hätte Bader wohl ausgehalten, aber auch ihm ist aufgefallen, dass sich die Mannschaft sportlich zuletzt eher zurückentwickelt hat. Als Wiesinger im vorigen Dezember den Job des über Nacht nach Wolfsburg geflüchteten Dieter Hecking übernahm, hat er schnell Zug in die Truppe gebracht, aber am Sonntag sah die Elf aus wie eine, die sich dringend nach klarer sportlicher Führung sehnt.

Gegen den HSV hatte Wiesinger erneut umgestellt, er wollte dem Tabellen-Sechzehnten offensiv begegnen: Er postierte Josip Drmic als zweiten Stürmer neben Tomas Pekhart, und im Mittelfeld gab er eine bisher kaum gespielte Raute in Auftrag, in der sich Makoto Hasebe als einziger Sechser herumschlagen musste. Eine einschneidende Systemänderung vor einem so wichtigen Spiel - das war eine mutige Entscheidung, und man muss im Nachhinein sagen: eine beeindruckend falsche.

Der HSV war deutlich stärker als ein Tabellen-Sechzehnter, weshalb der Club besser das getan hätte, was er immer noch am besten kann: erst einmal sicher stehen. Wiesingers Taktik führte in der Tat zu forschem Angriffsfußball - allerdings beim Gegner.

Ein bisschen haben sie sich beim Club in den letzten Tagen an die Zeit unter Michael Oenning zurückerinnert gefühlt; wieder gab es da einen jungen Trainer, der viel übers Spiel weiß und viel probiert, dabei aber irgendwann womöglich die eigene Elf irritiert. Viele Spieler sehnen sich gerade zurück nach dem Prinzip, das Wiesingers Vorgänger Dieter Hecking und Hans Meyer verkörperten: einfache, klare Vorgaben, die im Spiel zu Erfolgserlebnissen führen, weil sie funktionieren.

Es war bezeichnend für die allgemeine Verunsicherung, dass gegen den HSV plötzlich auch die zuverlässigen Kräfte imposant versagten: Verteidiger Per Nilsson vor dem 0:4 und Torwart Raphael Schäfer vor dem 0:5 leisteten sich grobe Patzer, die Wiesinger als "Slapstick" bezeichnete. Die Elf wirkte auf dramatische Art hilfsbedürftig, was nun auch die Nachfolgersuche beeinflussen dürfte.

Nach den Erfahrungen mit Oenning und Wiesinger dürfte Bader aktuell keinen weiteren Versuch mit einem unerfahrenen Coach wagen, er dürfte einen Fahrensmann suchen, dessen Vita Halt verspricht und der sich vernehmbarer äußert als das leise Trainer- und Co-Trainer-Trio Wiesinger/Reutershahn/Mintal.

Schon fallen Namen wie Thomas Schaaf und Christian Gross, auch zu Felix Magath wird Bader ein Kontakt unterstellt, zumal dieser sehr spezielle Fahrensmann am Sonntag gut sichtbar auf der Haupttribüne Platz genommen hatte. Das bedeute gar nichts, sagen sie beim Club. Magath sei mit dem früheren Präsidenten Gerd Schmelzer befreundet.

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