Neuer IOC-Chef Thomas Bach:Olympia-Chef von Scheichs Gnaden

Thomas Bach, IOC

Thomas Bach: der neue Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC)

(Foto: REUTERS)

Es ist der Schlusspunkt eines Wahlkampfs voller Intrigen und Rempeleien: Das Internationale Olympische Komitee wählt Thomas Bach zu seinem neunten Präsidenten. Der Deutsche gewinnt bereits im zweiten Wahlgang - vor allem dank eines Kuwaiters.

Von Thomas Kistner, Buenos Aires

Es gelingt Jacques Rogge nicht so recht, die Stimme zu heben. "Thomas Bach", sagt er und präsentiert den Zettel mit Umschlag. Applaus setzt ein, Thomas Bach zeigt ein kurzes Schmunzeln, es ist ja nur ein Schritt hinüber zu Rogge, der seinen Namen genannt hat, die Anspannung der vergangenen Monate steckt dem neuen, dem neunten Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) sichtlich in jeder Faser. Am Dienstagmittag war es geschafft, bei der 125. Session in Buenos Aires ratifizierten die Mitglieder einen akribisch vorbereiteten Karriere-Weg ins höchste Sportamt mit 49 Stimmen.

Die Kollegen klatschen. Der neue Herr der Ringe kreuzt die Hände vor der Brust und verneigt sich, der erste Dank geht an die "lieben Mitbewerber" sowie an diejenigen, die "mich nicht gewählt haben". Bach verspricht, auch deren Präsident zu sein, das IOC wolle er gemäß seines Wahlkampfmottos "Einheit in Vielfalt" führen, im Übrigen stünden jedem "meine Tür und mein Herz immer offen". Er dankt Rogge und hängt ihm eine goldene Kette um den Hals, der nun ehemalige Präsident steht so zart und dünn da, als würde er sich auflösen.

Das Votum für Thomas Bach, den 59 Jahre alten Wirtschaftsanwalt aus Tauberbischofsheim, war nicht überraschend. Allenfalls der Umstand, dass die Präsidentenkür überhaupt in die zweite Runde hatte gehen müssen, fiel aus der erwarteten Dramaturgie. Die hatte vor allem ein Mann festgelegt: Scheich Ahmed al-Sabah aus Kuwait, der seit Monaten in der Rolle des Königsmachers durch alle wichtigen Weltsport-Bereiche pflügte.

Nach den Spitzenpositionen im asiatischen Fußballverband AFC und bei SportAccord, der Dachvereinigung aller Sportverbände weltweit, nimmt er nun in Anspruch, auch dem neuen IOC-Präsidenten den Weg ins Amt bereitet zu haben. Über Monate hatte der Scheich das Projekt angekündigt, weshalb das Feld der sechs Präsidentschaftsbewerber bald in zwei Lager zerbrochen war: Hier Bach und Scheich, dort die anderen fünf Kandidaten, die nie eine echte Chance hatten.

Nach zwei Wahlgängen war die Sache durch. Rogge erklärte: "Ein Präsident ist gewählt." Da wusste jeder das Resultat, obwohl die Verkündigung erst eine Stunde später erfolgte - des Scheichs Prophezeiung hatte sich erfüllt. Bach setzte sich mit 49 Stimmen vor Richard Carrion aus Puerto Rico (29), Ng Ser Miang aus Singapur (6), dem Schweizer Denis Oswald (5) und Sergej Bubka aus der Ukraine (4) durch. Wu Ching-Kuo aus Taiwan war bereits in der ersten Runde auf der Strecke geblieben.

Versprechen und Absprachen hatten diesen Wahlkampf geprägt, am Ende sogar Rempeleien. Kandidat Oswald saß im Konvent mit einer so bärbeißigen Miene, als wollte er seine Gegner im Saal verspeisen. Die zähen Versuche der vier anderen Bach-Rivalen, Oswald zum Rücktritt und damit zur Freigabe von fünf überwiegend Bach-fernen Voten zu drängen, hatten nicht gefruchtet; sie kamen bei dieser Wahl gar nicht zum Einsatz (Landsleute eines Kandidaten dürfen nicht wählen, solange dieser selbst im Ring steht). Dafür verlor der Schweizer am Sonntag die Nerven und warf Bach im Schweizer Radio Interessenskonflikte, Kungeln mit Kuwait und diskrete Assistenz durch die Bundesregierung vor. Das IOC teilte nach Begutachtung der Aussagen und Anhörung Oswalds nur mit, der habe sein Bedauern so erklärt, dass er "mehr gesagt habe, als er wollte". Oswald kassierte eine milde Warnung.

Interner Druck, Seilschaften, Stimmpakete aus Afrika

Die Kür lief für den Deutschen letztlich so, wie es Brauch ist im undurchsichtigen Weltsportgeschäft: Mit internem Druck, den sportpolitische Seilschaften offenkundig vor der Wahl ausübten, sowie dann in der Wahl mit soliden Stimmpaketen aus der Dritten Welt. Noch tags zuvor hatte ja in Buenos Aires eines der zwölf afrikanischen IOC-Mitglieder bestätigt, was zum Basiswissen für viele Mitbewerber gehörte: Dass der Scheich das Dutzend Kollegen vom afrikanischen Kontinent spätestens bei deren Erdteil-Konvent im Juni auf Bach eingeschworen habe.

Wie so etwas genau ablaufen könnte, lässt sich allenfalls ungefähr nachzeichnen. Über Postenbesetzungen oder an den Wegen, die Fördergelder nehmen. Arabiens Sportwelt verfügt über üppige Sporthilfsprogramme, das war zuletzt bei der spektakulären Vergabe der Fußball-WM 2022 an Katar ein Thema.

Am Tagungsort hielt sich die Aufregung nach der Kür in Grenzen, zu klar war die Situation schon vorher. Bach legte noch einmal dar, was er als erste Herausforderungen erkennt: Die Umsetzung seines Mottos "Einheit in Vielfalt" in seinem neuen Executive Board, wie die olympische Regierung heißt, sowie den Erfolg der Winterspiele in Sotschi "sicherzustellen". Dazu passend hatte ihn ein Anruf des Russen-Herrschers Wladimir Putin erreicht, der zur Wahl gratulierte und durch Pressechef Dmitrij Peskow ausrichten ließ, dass das IOC einen "großartigen Job" mache bei der Vorbereitung der Sotschi-Spiele. Bisher war es das IOC, das solche Noten an die Veranstalter erteilt hat.

Bei der Wahl zu Bachs erstem Exekutivkomitee war ein Hauch des neuen Geistes spürbar. Überraschend setzte sich die als eher unbedarft geltende Anita DeFrantz (USA) gegen Richard Pound durch, langjähriger IOC-Vize und Gründungspräsident der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. Pound gilt zwar als Pro-Bach-Mann, aber auch als kritischer Geist. Er war perplex, sprach von "Wundenlecken" und wünschte dem neuen Chef viel Erfolg mit dem neuen Vorstand. Zur Berufung der braven Ruder-Dame anstelle des als hochkompetent geschätzten, doch durchsetzungsstarken Kanadiers waren Tage zuvor Hinweise aus dem Lager Oswalds gedrungen: DeFrantz habe dem Ruder-Weltpräsident von einer Anfrage aus der Entourage des Scheichs berichtet, ob sie in die Exekutive wolle.

Stimmen sammelte der neue IOC-Chef nach Einschätzung vieler Mitglieder wohl auch bei der Klientel ein, die sein einstiger olympischer Ziehvater und Vor-Vorgänger, der Spanier Juan Antonio Samaranch, hinterlassen hat: Adel vom Großherzog von Luxemburg über Prinzessin Nora von Liechtenstein bis zu Prinz Albert, dazu naturgemäß die sieben Sportfachkräfte aus diversen Golfstaaten, meist auch sie Angehörige von Königshäusern; dazu Samaranchs russische Verbündete im Olymp.

"Er ist seit Samaranch auf die Situation vorbereitet worden", hatte auch der Scheich vor der Wahl über seinen Favoriten gesagt. Woraus manche im IOC ablesen, dass die Ära Rogge ab 2001 ein Intermezzo gewesen sein könnte. Erzwungen durch die damalige Problemsituation, als das Image des Ringe-Konzerns beschädigt und der belgische Arzt zur Notoperation geholt worden war. Nun brechen neue Zeiten an. Bachs erste Aufgabe dürfte sein, die beschworene Einheit wiederherzustellen.

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