Michel Platini und die EM 2020:Mit Kalkül an Blatter vorbei

Mit dem neuen Modell, die EM 2020 in mehreren Ländern auszutragen, geht Uefa-Boss Platini seinen Weg an Weltverbandschef Sepp Blatter vorbei. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Er tut es so, wie Blatter es gelehrt hat - stets die Eigeninteressen im Blick. Sein wahres Ziel ist die Thronfolge bei der Fifa.

Ein Kommentar von Thomas Kistner

Es liegt in der Natur der Sache, dass Betrachtungen über Michel Platini gern sportromantisch eingefärbt werden. Er war ja mal ein ganz Großer auf dem Rasen, ein echter Leader und Kapitän. Sieht man indes den Sportpolitiker Platini und was der alles verrichtet hat in seiner sechsjährigen Regentschaft über Europas Fußballunion Uefa, hilft die Erinnerung an Freistöße und kunstvolle Flanken nicht weiter.

Auf diesem Feld beginnt und endet alles mit Platinis Lehrherren: Sepp Blatter. Der Fifa-Chef hat seinen Schützling seit 1998 aufgebaut, mit Fifa-Mitteln alimentiert und 2007 mühsam auf den Uefa-Thron bugsiert - beim knappen 27:23-Votum gegen Amtsinhaber Lennart Johansson half das dicke Stimmpaket der Kleinstaaten Osteuropas.

Seither ist viel passiert. Der ehrpusselige Schweizer und der eigenwillige Franzose sind keine Freunde mehr, dass Blatter den Ziehsohn noch zu seinem Nachfolger machen will, darf bezweifelt werden. Platini wiederum hat mitgekriegt, dass sich Blatter in heimischen Medien bereits für die fünfte Amtszeit ab 2015 fitmacht. Diese Ansage ist so klar wie die Zerwürfnisse in Fachfragen: Von Blatters gescheitertem 6-plus-5-Modell zur Ausländerbeschränkung, das Platini zähneknirschend begleitete, über die Technologie-Debatte im Fußball bis zum jüngsten Projekt des Uefa-Chefs, die EM 2020 europaweit zu spielen. Die Fifa attackierte sogleich: Das zerstöre den Geist des Wettbewerbs.

Platini geht seinen Weg an Blatter vorbei, das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Er tut es so, wie Blatter es gelehrt hat - stets die Eigeninteressen im Blick. Dieses Prinzip zieht sich durch Platinis Amtszeit. Wie zum Beispiel - kurz nach seiner Amtsübernahme - die EM 2012 beim krassen Außenseiter Polen/Ukraine landete, ist eine brisante Frage, deren Klärung die Uefa stets verhindert hat. Bis heute hat sie das Material für angebliche Korruption auf der Vorstandsebene nicht angesehen - obwohl die Vorwürfe fundiert klingen und europaweit Schlagzeilen machten.

Und seit der WM-Vergabe an Katar geriert sich Platini als Vorkämpfer für das Emirat, schon heute dringt er auf Terminumstellung für Europas Ligen, damit 2022 die Wüsten-WM im Winter stattfinden kann. Sein Sohn Laurent arbeitet neuerdings für die Qatar Sport Investment. Auch Platinis Heimat profitierte, Frankreich erhielt die EM 2016. Und für die Kleinverbände wurde das Turnier auf 24 Länder aufgebläht, was zu dröger Rechenarbeit nach der Gruppenphase führt und quasi zur Abschaffung der Qualifikation. Eine K.o.- Runde reicht, wenn halb Europa mitkickt bei dem, was mal als Elite-Turnier galt.

Weil aber nur wenige so ein Mammut-Turnier ausrichten können, breitet es Platini über ganz Europa aus. Das ist der banale Hintergrund des vermeintlichen Coups, den Europa-Romantiker als kontinentales Volksfest feiern. Dabei ist das Projekt selbst aus Uefa-Sicht nur als Modell angelegt. Danach sieht man weiter.

Wer wird all das aufräumen und geraderücken, vom paneuropäischen Jedermann-Turnier bis zur Umstellung der Spielkalender von Bundes- bis Champions-Liga? Platini gewiss nicht, so ist sein Kalkül. Für Insider ist klar, dass er 2015 den Umstieg auf den Fifa-Thron plant; mit Hilfe mächtiger Freunde aus Osteuropa und am Golf, den Schauplätzen der WM-Turniere 2018/2022. Schafft er das, bleibt der Problemberg auf dem Tisch des Nachfolgers liegen. Platinis Fifa aber hat die Katar-WM in winterfesten Tüchern, und ob die Uefa ihre EM in Baku oder Timbuktu spielt, darf ihm egal sein.

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