Lance Armstrongs Auftritt:Leicht durchschaubare Selbstgeißelung

Wer glaubt, dass es sich bei Lance Armstrong um einen Geläuterten handelt, der wird auch die Existenz des Weihnachtsmannes nicht leugnen - dazu hat er zu lange kühl kalkulierend eine Schreckensherrschaft im Radsport ausgeübt. Justiz und Usada werden bei einem Gerichtsverfahren andere Fragen stellen als Oprah Winfrey.

Ein Kommentar von Jürgen Schmieder

Eigentlich fehlte bei diesem Gespräch nur noch eines: Dass sich Lance Armstrong vor laufender Kamera selbst ohrfeigt oder eine Nadel, die er einst zum Dopen verwendet hatte, in den Oberschenkel rammt und abbricht. Ansonsten nämlich bediente sich Armstrong bei diesem Interview mit der Talkdame Oprah Winfrey in einem Hotelzimmer in Austin der gesamten Brachial-Klaviatur, mit der er einst gegen andere vorgegangen war.

Frauen hatte er damals als Schlampen oder Nutten bezeichnet, Männer als unehrenhafte Witzfiguren. Nun sprach Armstrong über Armstrong - und war nicht zimperlich. Ein Lump sei er, ein Lügner. Ein arroganter Sack, dem zu Recht niemand mehr glauben mag. Er vermittelte den Eindruck, als würde sich der aktuelle Lance Armstrong regelrecht ekeln vor jenem Lance Armstrong, der einst mit allem gedopt hatte, was die Labore so hergaben. Zumindest versuchte er, diesen Eindruck zu vermitteln.

Freilich fehlte noch viel mehr bei diesem Gespräch, das so vielversprechend begann, weil Armstrong öffentlich zugab, was ohnehin jeder weiß und was nicht mehr zu leugnen ist: dass er ein Doper war. Ansonsten sagte Armstrong nicht viel, sondern tat das, was Politiker bei unangenehmen Fragen tun: ausweichen, ablenken, zurückweichen, Amnesie vortäuschen, abschwächen, sich an Details ergötzen, Sentimentalitäten einstreuen - nur eben nicht die Frage beantworten, die gerade gestellt wurde.

Armstrong präsentierte sich im ersten Teil des Gesprächs - der zweite Part wird in der Nacht zum Samstag ausgestrahlt - als reumütiger Sünder, der sich selbst geißelt und nun auf Katharsis hofft. Es gelang ihm, kein einziges Mal konkret zu werden, Details oder Namen zu nennen.

Vielmehr stellte er sich als Teil eines Lügengebildes dar, nicht als dessen Erfinder. Und auch nicht als Betrüger, denn dieser Begriff (Armstrong gab an, im Lexikon geblättert zu haben) bedeute ja, dass sich jemand einen Vorteil verschafft habe. Er habe nur getan, was alle getan hätten, also letztlich "für Waffengleichheit gesorgt". Er gab zu, dem Radsportverband Geld gegeben zu haben - doch das sei nicht im Ausgleich dafür geschehen, dass ein positiver Befund vertuscht worden war. Er habe auch keinen Druck auf andere Fahrer ausgeübt, auch wenn das mancher so verstanden habe.

Er schwächte auch die Vorwürfe ab, dass sein Dopingprogramm das ausgeklügeltste und professionellste gewesen sei, das der Sport je gesehen habe. "Groß, aber nicht das Größte", sagte Armstrong. Das Programm der DDR in den 70er und 80er Jahren sei noch größer gewesen. Nun, das ist ungefähr so, als würde einer das Zünden einer Wasserstoffbombe abschwächen mit dem Hinweis, dass jemand anderes die noch schlimmere Neutronenbombe gezündet habe.

Wer jedoch glaubt, dass es sich bei Armstrong um einen Geläuterten handelt, der wird auch die Existenz vom Weihnachtsmann und von Superman nicht leugnen. Armstrong hat jahrelang eine Schreckensherrschaft im Radsport ausgeübt, er hat Karrieren brutal vernichtet und wissentlich durch die Einnahme von leistungsfördernden Mitteln betrogen. Genau so kühl kalkulierend geht er, zum Gespräch mit einer Entourage von zwölf Personen erschienen, nun damit um, was er Geständnis und Entschuldigung nennt.

Armstrongs Selbstkasteiung war naiv - und ist einfach zu durchschauen. Der Moderatorin Oprah Winfrey ist dabei kaum ein Vorwurf zu machen. Sie stellte Fragen und hakte nach, doch ist sie keine Beamtin der Anti-Doping-Agentur Usada oder gar Staatsanwältin. So wurde das Gespräch letztlich zu einer Farce.

Lance Armstrong hat seine Gegner nicht nur beleidigt, er hat sie verklagt, überrollt, zerstört. Er habe so viele Menschen verklagt, dass er sich gar nicht mehr an jeden Einzelnen erinnern könne, sagt er.

Justiz und Usada werden bei einem Gerichtsverfahren - das es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit geben wird - andere Fragen stellen als Winfrey. Sie werden auch fordern, dass Armstrong unter Eid aussagen muss, sie werden keine ausweichenden Antworten zulassen. Deshalb stehen die Chancen gut, dass vor Gericht geschieht, was im Hotelzimmer in Austin nicht passierte.

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