Klitschko-Gegner Pianeta:Alles auf Angriff

Italian-born boxer Pianeta attends a training session in Heidelberg

Francesco Pianeta: Kein Verstecken gegen Klitschko

(Foto: REUTERS)

Achteinhalb Jahre ohne Niederlage: Wladimir Klitschko dominiert die Boxszene nach Belieben. Francesco Pianeta war einst Klitschkos Sparringspartner, nun will er ihn im Ring besiegen - mit einer ungewöhnlich offensiven Taktik.

Von Benedikt Warmbrunn

Der Mann, der weiß, wie Wladimir Klitschko zu besiegen ist, löffelt ein Eis. Er greift den Löffel, sticht mit ihm in die Schokokugel, kratzt mit ihm an der Erdbeerkugel, tunkt ihn in die Sahne. Dann führt er den gefüllten Löffel zum Mund. Er kleckert nicht.

Das Eismanöver gelingt, weil Torsten Kanzmeier die Bewegung mit der Hand führt. Es ist eine natürliche Bewegung, beim Eislöffeln ist das keine große Sache. Beim Boxen dagegen schon. Wie Wladimir Klitschko zu besiegen ist, beginnt also hier: bei der Hand, und dem, wie sie geschlagen wird.

Kanzmeier sitzt in einer Gaststätte in Magdeburg, das Eis schmilzt. Er spricht über Francesco Pianeta, 29 Kämpfe, 28 Siege, ein Unentschieden, bisher keine ernsthafte Prüfung. An diesem Samstag tritt Pianeta in Mannheim an gegen Wladimir Klitschko, 62 Kämpfe, 59 gewonnen, 50 durch Knockout, Schwergewichts-Weltmeister von drei Verbänden. Es ist ein ungleiches Duell, der Sohn eines Fleischers aus Gelsenkirchen gegen den starken Mann der schwersten Gewichtsklasse.

Viele in der Szene sagen, dass Klitschko sich Pianeta als Gegner ausgesucht habe, weil er eine Hodenkrebs-Erkrankung überstanden hat, weil er deutsch spricht, weil er sich also ordentlich vermarkten lässt. "Wer das denkt, wird sich täuschen", sagt Kanzmeier, "der Kampf wird nicht länger als fünf Runden dauern. Und Francesco gewinnt." Ermöglichen soll das er, Torsten Kanzmeier, und der Trick mit der Hand.

Das Boxen, dieser archaische Sport, hat sich lange den Einflüssen von außen widersetzt, es ist ja so einfach: zwei Männer, vier Fäuste, wer stärker oder häufiger oder genauer schlägt, gewinnt. Erst langsam werden Gewohnheiten hinterfragt. Ernährung, Krafttraining, Ausdauertraining. Kanzmeier, der aus der chinesischen Kampfkunst kommt, trainiert die Boxer des Magdeburger SES-Teams, genauer: Er trainiert ihren Schlag. Er bringt ihnen neu bei, was sie seiner Meinung nach seit Jahren, Jahrzehnten falsch gemacht haben.

Boxtrainer lehren üblicherweise, dass die Schulter den Arm führt, die Bewegung geht also vom Schultergelenk aus, der Arm wird nach vorne geworfen. "Völlig unökonomisch", sagt Kanzmeier. Er übt mit den Boxern, dass die Schulter der Richtung folgt, die die Hand vorgibt. Die Bewegung gleicht einem Greifen, sie ist nicht so ausholend, eher eine vor-zurück-Beschleunigung der Hand, die ohnehin weiter vom Gesicht entfernt gehalten wird.

"Mein Stil lag ihm nicht"

Die Schläge werden so schneller, härter, explosiver, vor allem aber sind sie für den Gegner kaum zu erkennen. Pianetas Team-Kollege Robert Stieglitz überforderte mit dieser Technik Ende März Arthur Abraham, den damaligen Weltmeister im Mittelgewicht; nach drei Runden war der Kampf vorbei. "Mit Robert hatte ich das nur drei Wochen lang trainiert", sagt Kanzmeier. Für Pianeta hatte er zwei Monate.

Das Problem ist, dass es einen Boxer gibt, der seine Schläge bereits in Perfektion mit der Hand führt. Dieser Boxer heißt Wladimir Klitschko.

Der 37-Jährige hat über die Jahre seinen Stil verfeinert, indem er seine Stärken derart betont, dass seine Schwächen kaum noch auffallen. Klitschko boxt sehr aufrecht, den Oberkörper fast schon nach hinten gelehnt, schlägt er nicht, hält er seine Hände weit vor dem eigenen Körper, er ist kaum zu treffen. Schlägt er, sind diese Schläge so hart und zermürbend, dass die Gegner sich jeden Schritt in seine Nähe genau überlegen. Wagen sie sich in die Nahdistanz, drückt und klammert Klitschko; angeblich trainiert er in der Vorbereitung auch das Ringen in der Umarmung.

Gegen diesen überlegten Klitschko hat seit achteinhalb Jahren kein Boxer gewonnen, auch wenn es an Ratschlägen nie gemangelt hat. Mike Tyson zum Beispiel hat einmal empfohlen, "sehr physisch" gegen Wladimir Klitschko zu boxen: den Kopf immer in Bewegung, nah am Mann, mit vielen schnellen Konterschlägen. Mike Tyson empfahl also den Boxstil des jungen Mike Tyson.

Boxern, die nicht Mike Tyson heißen, raten Trainer gerne: dass sie sich viel bewegen müssen, dass sie nicht vor Klitschko stehen dürfen, dass sie Klitschko nicht so aufrecht sein lassen dürfen. Alles Strategien, um nicht getroffen zu werden. Dirk Dzemski, der Cheftrainer des SES-Teams, sagt dagegen: "Das Wichtigste wird es sein, die Ringdominanz von Wladimir zum Wackeln zu bringen."

Indem Pianeta, 28, die Schläge mit der Hand führt, hat er eine Idee für den eigenen Angriff, das unterscheidet ihn von den vergangenen Klitschko-Gegnern. Er bewegt sich zudem für einen Schwergewichtler viel auf den Füßen, schlägt explosiv, mitunter jedoch zu selten. Der Italiener stand bereits im vergangenen Sommer mit Klitschko im Ring, zum Sparring. Nach der ersten von drei Wochen wurde er nach Hause geschickt. "Mein Stil lag ihm nicht", sagt Pianeta, "er hat mich nicht sehr oft getroffen." Diese Erfahrung gibt ihm Hoffnung, verstärkt wird diese durch seine Taktik. Fünfte Runde, das ist die Ansage.

In der Gaststätte in Magdeburg sitzt Kanzmeier inzwischen vor einer Eissuppe, er kleckert. Kanzmeier flucht leise. Manchmal reicht eine gute Idee allein nicht.

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