Handball-Champions-League:Dompteur Jicha rettet den THW Kiel

Als die Partie endgültig zu kippen drohte, explodierte Filip Jicha: Im deutschen Duell um den Einzug ins Champions-League-Finale wirft der tschechische Welthandballer den THW Kiel zum 25:24-Sieg und ist anschließend sprachlos. Die Füchse Berlin hätten den großen Favoriten fast gepackt - ihnen bleibt nur der Trostpreis.

Carsten Eberts

Wer das Selbstverständnis des THW Kiel dieser Tage verstehen möchte, dem sei ein Blick auf Filip Jicha empfohlen. Jicha ist Welthandballer, einer der besten Spieler seiner Generation - und doch ist es beeindruckend, wie er sich immer wieder präsentiert. Vor dem Spiel ist der Tscheche ein sehr zuvorkommender Mensch, er grüßt nach links und rechts, er lacht beim Einwerfen, er gibt entspannt Interviews, abwechselnd auf Deutsch, Englisch oder in seiner Muttersprache. Dann beginnt das Spiel - und Jicha explodiert.

Champions League Final4: Fuechse Berlin - THW Kiel

Elf Tore im Champions-League-Halbfinale: Kiels Filip Jicha setzt sich durch.

(Foto: dapd)

Auch am Samstagabend ist Jicha wieder einmal explodiert - und führte seinen THW Kiel ins Champions-League-Finale. Im deutschen Halbfinale gegen die Füchse Berlin gewann der THW äußerst knapp 25:24 (15:12), am Ende war es vor allem Jicha, der den Kielern mit elf Toren den Einzug ins Finale (Sonntag, 18 Uhr) sicherte. "Ich muss erst mal kalt duschen und darüber nachdenken", sagte Jicha, als er fix und fertig vor den Fernsehkameras stand: "Ich bin wirklich überglücklich, dass wir das geschafft haben."

Fast 20.000 Fans waren in die Kölner Lanxess-Arena gekommen, um das größte Event im internationalen Klubhandball zu verfolgen. Das Champions-League-Finale sei "größer als die Olympischen Spiele", hatte Kiels Trainer Alfred Gislason gesagt, wobei das nicht einmal übertrieben ist: Die besten Vereinsmannschaften der Welt spielen mindestens auf dem Niveau der besten Nationalteams - insbesondere der THW Kiel mit seiner Weltauswahl.

Als Spitzenteams der Bundesliga kennen sich Kiel und Berlin nahezu auswendig. Sie wissen um die Stärken, auch um die kleinen Schwächen. Gislason schaffte es trotzdem, die Berliner an diesem Tag zu überraschen: Er wählte zu Beginn eine offensive 3-2-1-Abwehrformation, mit Jicha an der Spitze, der zwischen den Berliner Rückraumschützen hin- und her wuselte. Die Berliner wussten natürlich, dass Kiel auch diese Abwehrvariante beherrscht. Sie kamen trotzdem ungemein schlecht damit zurecht.

Die ersten Minuten liefen nach einem einfachen Schema ab: Kamen die Kieler an den Ball, überrannten sie ihren Gegner einfach. Über 3:1 und 5:3 stürmte der THW auf 8:3 davon, immer wieder angetrieben vom starken Jicha, der allein fünf der ersten zwölf Kieler Tore erzielte. Kam der Tscheche in Wurfposition, stürzten sich gleich drei Berliner auf ihn, schubsten ihn, hingen an seinen Armen. Stoppen konnten sie Jicha trotzdem nur selten.

Berlins Trainer Dagur Sigurdsson reagierte umgehend: Für Nationalkeeper Silvio Heinevetter, der nicht in die Partie fand, brachte er Petr Stochl, der den Kielern sofort einige Bälle wegfischte, die Füchse waren plötzlich wieder im Spiel. Sie hatten in dieser Saison bereits mehrfach gezeigt, dass sie über das vielleicht kampfstärkste Team im internationalen Spitzenhandball verfügen. Und sich auch aus schwierigen Lagen zurückkämpfen können. Mit 12:15 gingen die Füchse in die Halbzeit.

Kiel im Finale gegen Madrid

Zu Beginn der zweiten Hälfte geschah dann etwas, was im Welthandball sonst höchst selten passiert: Beide Mannschaften nahmen sich eine offensive Auszeit, über viereinhalb Minuten fiel kein einziges Tor. Kiel leistete sich zu viele individuelle Fehler, sogar Jicha, Berlin konnte die Kieler Schwäche zunächst nicht ausnutzen. Wer würde sich zuerst wieder fangen?

Es waren zunächst die Berliner. Durch schnelle Tore kamen sie auf 15:16 heran, später erzielten sie sogar den Ausgleich (23:23). Vor allem Stochl, der starke Tscheche im Tor der Berliner, parierte immer wieder überragend gegen die Kieler Angreifer. Als das Spiel endgültig zu kippen drohte, bekam jedoch erneut Jicha die Partie zu packen. Wie ein Dompteur, der entscheidet, was auf dem Feld nun zu geschehen hat.

Egal ob Siebenmeter oder Rückraumaktionen: Jicha nahm nun jeden Wurf - und traf fast jeden. Den wichtigsten Siebenmeter warf Jicha seinem Nationalmannschaftskollegen und guten Freund Stochl einfach über den Kopf. Tor Nummer zehn. Als Berlin wieder ausgeglichen hatte, sprang Jicha aus zehn Metern mit beiden Beinen gleichzeitig ab und hämmerte den Ball in den Kasten. Tor Nummer elf. Seinen letzten Ball setzte Jicha an den Pfosten - doch die Berliner konnten nicht mehr ausgleichen.

"Wir haben sehr gut angefangen, danach haben wir uns schwer getan", bilanzierte Kiels Kapitän Marcus Ahlm nach der Partie. Bei den Berlinern herrschte hingegen Enttäuschung. "Ich muss die Dinge erstmal verdauen", sagte Berlins Torhüter Silvio Heinevetter: "Ich finde, dass wir nicht schlechter als Kiel waren und den Sieg auch verdient gehabt hätten."

Die Kieler treffen nun im Finale am Sonntag auf BM Atletico Madrid. Die Spanier bezwangen im zweiten Halbfinale den dänischen Meister AG Kopenhagen 25:23 (12:15). Den Berlinern bleibt nur der Trostpreis: das kleine Finale um Platz drei.

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