Gladbachs Granit Xhaka:19 Jahre und schon Dirigent

Granit Xhaka soll in der Champions-League-Qualifikation gegen Kiew das Gladbacher Mittelfeld lenken. Der Neue aus Basel tritt sehr selbstbewusst auf - bisher harmonieren Worte und Taten. Auch wenn er ab und an etwas altklug wirkt.

Philipp Selldorf, Mönchengladbach

Kürzlich wies Granit Xhaka beiläufig darauf hin, dass vielen Kollegen in der neuen Saison ungekannte Herausforderungen für Körper und Geist bevorstehen. International im englischen Rhythmus zu spielen, das sei schon etwas anderes, als sich bloß an den Wochenenden in der heimischen Liga zu betätigen, klärte Borussia Mönchengladbachs neuer Mittelfeldstratege auf - und ließ dabei ohne Worte wissen, dass ihm diese erhebende Europacup-Erfahrung natürlich längst bekannt ist.

Lucien Favre und Granit Xhaka

Erfolgreiches Duo? Trainer Lucien Favre (links) und Granit Xhaka.

(Foto: dpa)

Zwar war Xhaka mit 8,5 Millionen Euro Ablöse teuer wie ein alter Meister, doch in seinem Schweizer Pass ist eindeutig festgehalten, dass er 19 Jahre alt ist. Belehrungen von einem 19-Jährigen kommen einem zwangsläufig etwas naseweis vor, allerdings hat Xhaka ein gutes Recht darauf, naseweis aufzutreten, denn er hat mit dem FC Basel bereits ein Dutzend Champions-League-Spiele hinter sich, er ist Stammspieler in Ottmar Hitzfelds Nationalteam und seit zwei Jahren im Dauereinsatz als Profi.

Was die Champions League angeht, ist er jedem seiner Gladbacher Kollegen voraus: Sie müssen sich ihre Erfahrungen erst verdienen - angefangen im ersten Playoffduell mit Dynamo Kiew, das am Dienstagabend im Borussia-Park ansteht.

Dem Eindruck, dass Granit Xhaka ein wenig zum Aufschneiden tendiert, kann sich der Zuhörer schwer entziehen. Da steht, wie am Samstag nach dem Pokalspiel der Borussia in Aachen (2:0), ein großer, modisch auf dem Kopf rasierter Mann mit Brillantring im Ohr vor lauter ihm unbekannten Menschen - und erklärt sich selbst ohne Hemmungen für mächtig und wichtig. Warum er mit lediglich 19 Jahren schon so abgeklärt spiele, wird er gefragt, und er antwortet: "Diese Frage wird mir oft gestellt."

Seine Spielernatur beschreibt er so: "Ich versuche immer, das Spiel in die Hand zu nehmen." Aus seinen Erinnerungen an die Zeit als Fünfjähriger berichtet er, dass die Eltern nicht seinem anderthalb Jahre älteren Bruder Taulant, sondern ihm die Wohnungsschlüssel anvertraut hätten. "Ich ging IHN von der Schule abholen, nicht umgekehrt", hat er erzählt.

"Er versteht sehr gut, was wir wollen"

Hätten ihm die Leute am Samstag lediglich zugehört und nicht auch zugesehen, hätten sie sich wohl ein paar Sorgen um die schönen Millionen der Borussia gemacht. So aber passten Worte und Taten zusammen. Gegen Aachen hat Xhaka nicht geglänzt, aber er hat sein Können als Dirigent aus der zweiten Reihe und Tempomacher des Teams nachgewiesen. Er hat nicht nur die Fähigkeit, die Geschwindigkeit des Spiels zu dosieren, er besitzt auch die Autorität, das zu tun. "Ich habe die Rolle, das Spiel machen zu dürfen", sagt er, und das ist keine Hochstapelei. Trainer Lucien Favre, bekannt für hohe Theorieansprüche, resümiert über Xhaka: "Er versteht sehr gut, was wir wollen. Er hat viel Spielintelligenz und macht es taktisch sehr gut."

Genau besehen, ist es ein überwältigendes Lob - Favre ernennt den 19-Jährigen zu einer Schlüsselfigur im System. Im Mittelfeld ersetzt Xhaka Roman Neustädter, der nach Schalke umzog, und es gibt Anlass zu mutmaßen, dass sich die Borussia im Zentrum verstärkt hat. Aus Achtung vor Neustädter und gebotener Vorsicht sagt das aber keiner in Gladbach, stattdessen betont Max Eberl immer wieder, wie unersetzlich der andere Verlust des Hauses ist: "Marco Reus zu ersetzen, das schafft in Deutschland kein Klub, nicht mal Bayern", meint der Manager. Über Xhaka spricht er, als sei dieser ebenfalls bald unentbehrlich: "Er ist der Stratege, sehr präsent, kann mit jedem Ball etwas anfangen - das ist Fußball, wie man ihn sich vorstellt."

Schon im vorigen Sommer hatte Borussia versucht, Xhaka zu verpflichten, aber damals war ihm der Schritt ins Ausland noch eine Nummer zu groß. "Jetzt bin ich froh, dass ich gewartet und einen super Weg gewählt habe", stellt er fest. Der Weg an den Niederrhein war vorgezeichnet. Es gab zwar einige andere Interessenten, "aber das war keine so schwere Entscheidung", sagt er. Nach Gladbach lockten ihn das Profil einer jungen, aufstrebenden Mannschaft und die Gewissheit, einen Trainer zu treffen, "der immer alles perfekt machen will. Für mich ist das super, denn ich kann sehr viel von ihm lernen."

Ab und zu mag er wohl etwas altklug wirken, doch Xhaka kann sich auch auf schlechte Erfahrungen berufen. Als er beim Basler Nachwuchs ins Teenageralter kam, da stand seine Fußballerkarriere in Frage, weil er "klein, schmächtig und ängstlich" war, wie sein damaliger Trainer der Neuen Zürcher Zeitung erzählte. Er selbst bestätigt das: "Ich war sehr klein und sehr dünn und konnte mich körperlich nicht durchsetzen." Mit 16 hatte er einen Kreuzbandriss, und als er wieder gesund war, "klappte es überhaupt nicht mehr - ich bin fast an mir verzweifelt".

Xhaka begann eine Lehre als Büro-Assistent und hatte das Glück, einen Chef zu treffen, der ihm riet, sich wieder dem Fußball zu widmen. Womöglich gibt es bald Grund für die Borussia, den Mann zum Europacupabend einzuladen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: