Gedopte Sprinterin Veronica Campbell-Brown:Der Fall, der keiner sein darf

Sprinterin Veronica Campbell-Brown

Gedopt und trotzdem nicht belangt? Jamaikas Sprinterin Veronica Campbell-Brown. 

(Foto: Getty Images)

Während alte und neue Sprintgrößen glänzen, verschwindet der Dopingfall der jamaikanischen Olympiasiegerin Veronica Campbell-Brown in einer seltsamen Milde des Leichtathletik-Weltverbandes. Wieder einmal scheint der Sport wenig Interesse an einer schnellen Aufklärung des Betrugs zu haben.

Von Thomas Hahn

Die neuesten Zahlen aus dem Leichtathletik-Betrieb sagen, dass es neue Sprint-Favoriten für die Leichtathletik-WM im August in Moskau gibt. Tyson Gay zum Beispiel ist bei den US-Meisterschaften in Des Moines derart in den Vordergrund gerannt, dass er jetzt ein doppelter Weltranglisten-Führer ist: Nach seinem 100-Meter-Sieg in 9,75 Sekunden hat der Dreifach-Weltmeister von 2007 in der Nacht auf Montag nämlich auch noch die 200 Meter in Weltjahresbestzeit gewonnen.

19,74 Sekunden - das war ein hübsches Signal an den Weltrekordler Usain Bolt aus Jamaika, der sich bei seinen National-Trials in Kingston auf die 100 Meter beschränkte (Sieg in 9,94): Gay, 30, ist nach seiner Hüftoperation wieder schneidig unterwegs. Bei den Frauen stellte sich die junge Kimberlyn Duncan, 21, als potenzielle Gold-Läuferin vor, als sie bei den US-Trials über 200 Meter die Olympiasiegerin Allyson Felix nach starkem Finish mit windunterstützten 21,80 Sekunden besiegte.

Und sonst? War da nicht noch was?

Natürlich war da noch was, aber daran wollte sich die Leichtathletik-Szene nicht gerne erinnern im Eifer der Wettkämpfe. Am vorvergangenen Wochenende wurde der Dopingfall der dreimaligen Olympiasiegerin Veronica Campbell-Brown bekannt, und die Leichtathletik-Szene war gleich ganz aufgeschreckt.

Sieben Tage später gab sie sich wieder ganz dem sportlichen Treiben hin, das in der Tat rege war mit zahlreichen Weltjahresbestleistungen bei den US-Trials, einem Fast-Weltrekord der US-Hürdensprinterin Briana Rollins (12,26 Sekunden) und prominenten Verlierern wie dem früheren 100-Meter-Weltrekordler Asafa Powell (Jamaika) oder 400-Meter-Olympiasiegerin Sanya Richards-Ross (USA), die beide die WM-Qualifikation verpassten.

Aber es hilft ja nichts, die Nachrichtenlage ist nun mal, dass in Veronica Campbell-Brown die höchstdekorierte jamaikanische Sportlerin suspendiert ist nach einem Positivtest auf das Entwässerungsmittel Furosemid in A- und B-Probe. Dass Sportler mit einem solchen Diuretikum andere, harte Dopingsubstanzen maskieren können. Und dass deshalb die Frage lebendig ist, was genau der Hintergrund dieses Regelverstoßes ist.

Von Veronica Campbell-Brown gibt es dazu keine öffentliche Aussage. Auf ihrer Homepage und ihrem Twitter-Konto scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Ihr Manager Claude Bryan hat immerhin ausrichten lassen, dass sie sich "von ganzem Herzen" entschuldige bei Land und Leuten und ihrer Familie "für jede Verwirrung und jeden Schmerz, die diese niederschmetternde Nachricht verursacht hat".

Allerdings mit dem Zusatz: "Sie akzeptiert nicht den Vorwurf, absichtlich verbotene Substanzen genommen zu haben." Woher der Positiv-Test von ihrem 100-Meter-Start beim Meeting in Kingston Anfang Mai dann kommt? Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, laut "Quellen, die der jamaikanischen Leichtathletik nahestehen", sei das Diuretikum in einer Salbe enthalten gewesen, mit dem Campbell-Brown eine Verletzung behandelt habe.

Zweifelhafte Infos über eine Salbe

Beeindruckend ist das nicht. Erstens sind Quellen, die der jamaikanischen Leichtathletik nahestehen, nicht wirklich glaubwürdig, wenn es darum geht, einen Star der jamaikanischen Leichtathletik zu entlasten. Zweitens gibt es keine Diuretika-Salben. Zumindest sagt Wilhelm Schänzer, der Chef des Anti-Doping-Labors in Köln: "Mir sind bisher keine Salben bekannt, die Furosemid oder andere Diuretika enthalten."

Er kann nicht ausschließen, dass der Positiv-Befund von Veronica Campbell-Brown tatsächlich auf ein legales verunreinigtes Medikament zurückzuführen ist: "Eventuell könnten die Betroffenen über eine Kontamination spekulieren, da viele Salben auch von Apothekern oder anderen Personen zubereitet werden." Aber auch dazu gibt es keine konkreten Informationen aus dem Campbell-Brown-Lager. Und so hat wie immer bei positiven Dopingtests zunächst das Grundprinzip des Sportrechts zu gelten: die Schuldvermutung.

Damit wiederum tun sich die betroffenen Verbände schwer. Jamaikas Leichtathletik-Verband JAAA scheint zu hoffen, dass noch alles gut geht: Er will abwarten, bis Veronica Campbell-Brown vor dem verbandsinternen Disziplinarausschuss ausgesagt hat und legt Wert auf die Feststellung, dass "Mrs. Veronica Campbell-Brown sich freiwillig aus dem Wettkampfbetrieb zurückgezogen und die vorläufige Suspendierung akzeptiert hat". Noch irritierender sind die Aussagen des Weltverbandes IAAF.

Sprecher Nick Davies hat in der vergangenen Woche der Nachrichtenagentur AP gesagt: "Alle Erkenntnisse deuten darauf hin, dass es sich bei diesem Vergehen um ein geringfügiges handelt." Wieso geringfügig? Anti-Doping-Experte Wilhelm Schänzer sagt ganz grundsätzlich: "Die Welt-Anti-Doping-Agentur teilt die Dopingsubstanzen in spezifische und nichtspezifische Wirkstoffe ein. Nur für die nichtspezifischen Substanzen wird eine Zweijahressperre gefordert.

Hierzu zählen derzeit auch die Diuretika." Außerdem: Welche Erkenntnisse meint der IAAF-Sprecher? Eine entsprechende SZ-Anfrage beantwortet Nick Davies zunächst nicht, und es entsteht der Eindruck, dass der Sport mal wieder nur seine eigene Wahrheit glauben mag.

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