Fußball: EM-Qualifikation:Geteiltes Europa

Die Qualifikationsspiele zeigen, dass sich die Resultate der Italiener, Franzosen und Engländer stabilisiert haben. Aber bis strukturelle Versäumnisse wirklich aufgeholt sind, kann es länger dauern - siehe Deutschland, Spanien oder Holland.

Christof Kneer

Europa weiß, dass es sich jetzt allmählich etwas einfallen lassen muss. Jener Teil Europas, der sich Litauen nennt, hat zum Beispiel einen Plan gefasst, der vielleicht nicht sehr edel, aber womöglich sehr wirkungsvoll ist. Der Plan besteht darin, der spanischen Nationalelf einen Sportplatz vorzusetzen, der von einem spanischen Gesandten empört als "Kartoffelacker" bezeichnet wurde.

Am Dienstag wird Welt- und Europameister Spanien im litauischen Kaunas zum EM-Qualifikationsspiel erwartet, und die Spanier haben jetzt vorab schon mal interveniert. Sie haben einen Uefa-Inspekteur angefordert, der prüfen soll, ob die unschuldige Mutter Natur die Kartoffeln im Stadion hat wachsen lassen, oder ob listige Litauer sie pünktlich zum Spiel eingepflanzt haben.

In der Tat reicht ein kleiner Rundgang durch Europa, um einen äußerst geordneten Fußball-Kontinent vorzufinden. Nach etwa der Hälfte der EM-Qualifikation sieht der europäische Fußball immer noch so aus, wie er sich vor einem Dreivierteljahr beim Weltchampionat in Südafrika präsentiert hat: Die ersten drei des WM-Turniers - Spanien, Niederlande, Deutschland - führen ihre Gruppen derart entspannt an, dass ihren Gegnern offenbar nichts mehr anderes übrig bleibt, als Wettkampfstätten in Kartoffelfelder umzubauen.

Wer den Seelenzustand der aktuellen Nationalteams erforscht, entdeckt ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Während Spanien, die Niederlande und Deutschland stil- und selbstsicher in einer eigenen Umlaufbahn kreisen, befinden sich ruhmreiche Nationen wie Frankreich, Italien und England auf der Suche nach ihrem Fußball und sich selbst - ganz zu schweigen von Portugal, Tschechien oder gar Rumänien, die schwer damit beschäftigt sind, die Reste ihrer selbsternannten goldenen Generationen zusammenzukehren.

Unabhängig von der Qualität eines 4:0 gegen Kasachstan darf es Joachim Löw als Kompliment nehmen, dass er seiner Elf eine Spielweise beigebracht hat, die verlässlich reproduzierbar zu sein scheint. Wenn Spanier, Niederländer oder Deutsche zurzeit Fußball spielen, dann wissen sie, was sie tun: Die Spanier führen ihren hinreißenden Kurzpass-Stil vor; die Niederländer präsentieren eine modernisierte Version ihrer Ajax-Schule; und die Deutschen schicken talentierte Internats-Jahrgänge ins Rennen, deren eingeübtes Spiel gerade den Rumpelsport der Vorgänger-Generation wiedergutmacht.

Während sich im Spiel dieser drei Nationen eine zeitgenössische Nachwuchsarbeit abbildet, haben Italiener, Franzosen und Engländer so viele moderne, gruppendynamische Prozesse verschlafen, dass sie mitunter wieder beim kleinen Einmaleins der Sekundärtugenden beginnen müssen. Italiens Trainer Prandelli hat gegen den Widerstand der Öffentlichkeit die Raufbolde de Rossi und Balotelli aus dem Kader geworfen, Frankreichs Coach Blanc hat die umstrittenen Ribéry und Evra gegen den Widerstand der Öffentlichkeit begnadigt, und Englands Fußball gilt ohnehin als Dauerdisziplinarfall.

Die EM-Qualifikation zeigt, dass sich die Resultate der Italiener, Franzosen und Briten stabilisiert haben. Aber bis strukturelle Versäumnisse wirklich aufgeholt sind, kann es länger dauern - siehe Deutschland.

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