FC Bayern verliert Elfmeterschießen:Mia san ängstlich

Elfmeterschießen im Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea: Weil Bayern-Trainer Jupp Heynckes nicht genug Profis findet, die sich sicher fühlen, muss Torhüter Manuel Neuer als Schütze antreten. Dessen Schuss ist zwar eine Sensation, doch am Ende stehen die Pleite und die Frage nach der Courage einiger Spieler.

Claudio Catuogno

Man sah David Luiz noch einmal in Zeitlupenwiederholung, ein Mann mit seltsamer Frisur, den sie einst Spaghettikopf nannten, man sah auch Luiz' Elfmeter, der den Beinamen Kanonenfuß rechtfertigen würde. Dann plötzlich: Manuel Neuer in Nahaufnahme, wie er sich den Ball zurecht legte. Neuer? Neuer würde jetzt also schießen, der Bayern-Torwart, auf dessen Schultern schon die Last lag, möglichst viele Elfmeter zu halten in diesem dramatischen Nachspiel eines dramatischen Endspiels?

Aber warum nicht, alles schien seine Ordnung zu haben, Neuer wirkte entschlossen. Er nahm sich Zeit am Elfmeterpunkt. Richtete sich auf. Ging eins, zwei, vier, sechs, zehn Schritte rückwärts. Schubumkehr, Anlauf, ohne den Zweifeln noch eine Chance zu geben. Dann ein lapidarer flacher Schuss neben den linken Pfosten ins Netz. Und Neuer, wie er die Faust ballte und noch ein bisschen schaukelte dabei, bemüht, aus der Schussbewegung wieder in den sicheren Stand zu kommen. So sah die Szene in der TV-Übertragung aus.

Im Stadion, wo es keine David-Luiz-Zeitlupe gab, begann die Szene ein bisschen früher. Manuel Neuer hampelte an der Torauslinie herum, er braucht dieses ständige Gefuchtel und Gespringe für die Konzentration, wenn es ernst wird. Dann bemerkte Neuer, dass etwas nicht stimmte. Lahm hatte getroffen, Juan Matas Versuch hatte Neuer pariert, Gomez hatte getroffen, Spaghettikopf hatte getroffen. Seine Bayern waren wieder an der Reihe, aber es löste sich kein Schütze aus dem roten Pulk.

Dafür winkten die Kollegen, als würden sie gerade mit einem Kreuzfahrtschiff in See stechen und Neuer bliebe am Pier zurück. Sie schienen ihm etwas sagen zu wollen. Bin ich schon dran?, erkundigte sich Neuer seinerseits per Zeichensprache. Ja? Aha! Gemessen daran, wie wenig Zeit zwischen Erkenntnis und Ausführung lag, war dieser Elfmeter eine Sensation, der Beleg schlechthin für Neuers unbekümmerte Präzision.

Wäre die Sache gut ausgegangen, Manuel Neuer hätte sich schon am Ende seiner ersten Saison in München unsterblich gemacht. Aber weil die Sache nun mal so ausgegangen ist, wie sie ausgegangen ist aus Sicht der Bayern (Treffer Lampard, Cech pariert gegen Olic, Treffer Cole, Schweinsteiger an den Pfosten, Treffer Drogba, 3:4, Tränen, Weltuntergang), stellten sich ein paar Fragen.

Wo waren Kroos, Timoschtschuk?

Warum musste Neuer alles alleine machen? Wo war etwa Toni Kroos, der doch auch schon oft getroffen hat vom Punkt? Welchem bösen Geist war Anatoli Timoschtschuk begegnet, der so energisch den Kopf schüttelte beim Schützencasting, als sei er ein schüchterner Debütant - und nicht der Kapitän der Ukraine bei der anstehenden EM? Klar, dieses Elfmeterschießen hatte das Zeug, eine lässig-skurrile Neuer-Pointe hervorzubringen. Am Ende wirkte es aber mehr wie eine ungeordnete Demonstration der Ängstlichkeit. Als habe jemand das "Mia san mia", dieses kraftstrotzende Grundgerüst des FC-Bayern-Egos, kurzfristig auseinandermontiert und eingemottet.

Jupp Heynckes hat als Erklärung auf die Eigendynamik des Spiels verwiesen: auf die mentalen Rückschläge (spätes Gegentor, verschossener Strafstoß in der Nachspielzeit), auch auf die physische Erschöpfung seiner Spieler, "die ja viel aktiver waren und weitere Wege gegangen sind". Als der Bayern-Trainer dann nach 120 Minuten auf die Suche ging nach Kandidaten, "da waren einige nicht sicher, dass sie verwandeln würden, und das ist dann auch legitim, dass sie das signalisieren". Wäre es umgekehrt nicht noch viel fahrlässiger gewesen, sich im Zustand des Zweifels zu einem Elfmeter überreden zu lassen?

Über dieses Finale zu sprechen, darauf legte Jupp Heynckes wert, dürfe nicht bedeuten, "nur über Penaltys zu sprechen". Sondern auch über die Chancenverwertung seiner Elf, über den Spielstil des Gegners. Aber es gibt eben nicht so viele Elfmeterschießen auf diesem Niveau, und jedes vergangene strahlt auch auf die folgenden ab.

Vielleicht sieht man sich ja bald mal wieder, bei der EM zum Beispiel, in einem möglichen Halbfinale zwischen Deutschland und England. Den traditionellen englischen Elfmeter-Komplex werden Lampard, Cole, Terry dann eher nicht mehr mit sich herumschleppen gegen Schweinsteiger, Lahm und die anderen Deutschen. Gut möglich, dass es dann wieder auf Manuel Neuer ankommen wird.

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