FC Bayern: Mario Gomez:Die Revanche des Kolosses

Nach vielen Minuten ohne Tor trifft Bayerns Mario Gomez gegen Hannover drei Mal - und hat plötzlich wieder viele Unterstützer. Doch Gomez nutzt die Gala für ein paar Worte an seine Kritiker und einen Seitenhieb gegen seinen Trainer.

Thomas Hummel

Der Schiedsrichter hatte gerade diese seltsame Partie abgepfiffen, da wusste Mario Gomez nicht, wohin mit ihm. Er tauschte sich am Mittlkreis ein wenig mit Didier Ya Konan aus und vielleicht hat er dem Stürmerkollegen von Hannover 96 zugeflüstert: "Was haben wir Angreifer nur für ein komisches Leben!"

FC Bayern München - Hannover 96

Mario Gomez, dreifacher Torschütze gegen Hannover.

(Foto: dpa)

Dann sah Gomez, wie seine Mitspieler von Bayern München hinüber gingen, zum Feiern mit den Fans. Und auch wenn niemand seine Gedanken lesen konnte, die Körpersprache legte sie offen auf den Rasen. Er machte ein paar Schritte hierhin, drehte ab, ein paar Schritte dorthin, stand ein wenig im freien Raum - dann ging er nicht zu den Fans, sondern schnurstracks in die Kabine.

Mario Gomez, 25, hatte kurz überlegt, ob er hingehen soll, die Ovationen genießen, sich endlich belohnen für ein überzeugendes Spiel. Doch er entschloss sich, diesen Leuten nicht so schnell zu verzeihen, ihnen vorerst nicht zu nahe zu kommen. Auch wenn die Stimmung ihm gegenüber binnen 90 Minuten vollständig kippte. Denn Mario Gomez hat bei Bayerns 3:0 gegen Hannover 96 alle drei Tore geschossen. Wer es nicht glaubt, hier noch einmal: Mario Gomez hat drei Tore geschossen. In einem Spiel! Drei Tore!

Mit dem Sieg hat sich der Meister zwar noch längst nicht aus dem Mittelfeld der Tabelle befreien können, immer noch beträgt der Rückstand auf die Tabellenspitze zehn Punkte. Der weitgehend gehemmte Auftritt der nach vielen Verletzungen völlig neusortierten Elf sei "noch keine Trendwende" gewesen, wie Sportdirektor Christian Nerlinger bestätigte. Doch ein weiterer Punktverlust hätte die Krise in München vermutlich unkontrollierbar verschärft.

Diese Angst ist fürs Erste gestoppt, und stattdessen haben die Münchner an diesem Nachmittag einen neuen Torjäger dazu bekommen. Einen, der als solcher einst für rund 30 Millionen Euro geholt wurde, sich aber bislang weigerte, auch einer zu sein.

"Ich habe schon in Dortmund gesagt, dass ich gut in Form bin", erklärte Gomez, da habe es nur keiner geglaubt. In Dortmund hatte er die besten Chancen vergeben. Die Bayern waren nach dem 0:2 als Zwölfter der Tabelle so schlecht gestartet wie noch nie und Mario Gomez sah sich als erster Adressat der Häme und der Schmähungen: Ehe der Gomez noch mal ins Tor trifft, wird aus Uli Hoeneß ein 1860-Fan oder aus Louis van Gaal ein schüchterner Mensch. So in etwa. Was zu schlimmsten Befürchtungen in München führte, weil der FC Bayern angesichts einer großen Verletztenserie vor dem Spiel gegen Hannover 96 keinen Stürmer mehr im Kader hatte - außer Gomez.

Bis in den Sommer 2009 hinein wären drei Gomez-Tore keine Meldung gewesen, die man mehrfach unter die Leute bringen muss, damit sie auch jeder glaubt. Bis dahin stürmte ein kolossaler Gomez für den VfB Stuttgart. Der Koloss-Gomez wechselte dann zum FC Bayern und wurde zum Stürmerzwerg.

Fast wäre er weg gewesen

Die Kritik des Trainers Louis van Gaal, die harte Konkurrenz im Kader, die Pfiffe und Unmutsäußerungen der Fans - das alles brachte den Stürmer und Menschen Gomez aus der Bahn. Er spielte bisweilen die Rolle des Ersatz-Ersatz-Angreifers, der reinkommt, wenn sonst gar nichts mehr geht. Die Einwechslung von Gomez als letzte Verzweiflungstat.

Die Lage erschien dem Stürmer derart ausweglos, dass er im Sommer am liebsten ein Angebot des FC Liverpool angenommen hätte. Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge verriet nun, dass er es war, der am Ende der Transferperiode den Wechsel verhinderte. Doch nichts schien sich zu bessern: In den ersten sechs Bundesliga-Spielen schickte ihn van Gaal fünfmal zwischen der 71. und 78. Minute aufs Feld. Der Ertrag: null Tore.

Da er in der Nationalmannschaft die gleiche Rolle wie beim FC Bayern inne hat, lag es nahe, dem 25-Jährigen mangelnde mentale Robustheit nachzusagen. In Stuttgart, ja, da war der Held. Aber stellt man ihn in Frage, fallen seine breite Schultern weit hinunter. In guten Zeiten kann Mario Gomez alles: Schüsse mit rechts, mit links, Kopfbälle, einmal erzielte er für den VfB ein Tor mit dem Körperteil, das bei einer Ballberührung besonders schmerzt.

In schlechten Zeiten aber kann Mario Gomez nichts mehr: Da misslingt der einfachste Pass und seine Neigung, bisweilen zwischen den Verteidigern für ein paar Minuten abzutauchen, legt ihm das Publikum dann als Faulheit aus. Bei kaum jemandem pfeifen die Zuschauerso schnell wie bei Gomez.

Nach seinen Toren gegen Hannover verdeutlichte er, dass ihm die Kritik der Fans zu schaffen macht. Nach dem 1:0 zeigte er eine sparsame Version seiner Torero-Bewegung, nach dem zweiten baute er sich mit nacktem Oberkörper vor den Fans auf, als wollte er sagen: "Seht her, hier bin ich. Was sagt ihr jetzt?" Und nach dem 3:0 legte er die Hände an die Ohren, um noch einmal genau hinzuhören. Nach Liebeserklärung sah das nicht aus.

Im Bauch der Münchner Arena nutzte er die Möglichkeit nach dem Spiel, sich in zwar sehr leisen, aber deutlichen Worten für die teils harsche Kritik zu revanchieren: "Ich hoffe, dass ich nächste Woche wieder Ratschläge bekomme von all den schlauen Kritikern", sagte er. Auch sein Trainer bekam einen Seitenhieb: "Wenn ich in der 70. Minute eingewechselt worden wäre, hätte ich vielleicht wieder kein Tor geschossen."

Kurz davor hatte sich der frühere Stürmer Rummenigge noch selbst auf die Schultern geklopft und den verblüfften Zuhörern erklärt, dass er diesen Tag lange erahnt habe: "Ich habe immer an Mario Gomez geglaubt, weil ich ihn für unseren komplettesten Stürmer halte." Und auch der Trainer van Gaal gab sich als Prophet, allerdings nicht rückwirkend: "Ich glaube, wir werden in den kommenden Wochen einen sehr guten Mario Gomez sehen."

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