FC Bayern besiegt Real Madrid:"Erleichterung, Freude, Stolz!"

Der dramatische Sieg des FC Bayern in Madrid erweckt bei den Münchnern eine Identitätswiederfindung und die Erkenntnis, dass die Saison schon jetzt gerettet ist. An das Finale "dahoam" gegen Chelsea will noch keiner so recht denken - zu aufreibend war der Abend im Bernabéu-Stadion.

Jonas Beckenkamp, Madrid

Vielleicht, wer weiß das schon so genau, hatten die Madridistas in der Fankurve des Bernabéu-Stadions eine Vorahnung gehabt, was dieser Abend alles bringen würde. Auf einem Transparent zitierten sie vor dem Anpfiff die Real-Legende Juanito mit dessen lustigem (und ebenso verkorkstem) Italo-Spanisch: "90 minuti en bernabeu sono molto longos" stand da geschrieben - es bedeutet, dass 90 Minuten im Bernabéu-Stadion sehr lang sind.

Es wurden dann sogar fast 140 Minuten, und es entsponn sich ein Spiel von epischer Dramatik, von dem jeder anständige Großvater dereinst seinen Enkeln erzählen sollte. Mit Courage und Willen durchdrangen die Bayern das Höllenhindernis Madrid, was für so vieles entschädigte, das in dieser Spielzeit falsch gelaufen war.

Das Finale der Champions League ist erreicht - und dazu müssen die Münchner noch nicht einmal mehr reisen, man spielt "dahoam" gegen den FC Chelsea. "Eine Riesenfreude ist das, was für ein überwältigendes Gefühl," stammelte Philipp Lahm den Reportern in ihre Mikros - ihm war anzumerken, dass ihm wegen der jetzt schon geretteten Saison tatsächlich ein paar Hinkelsteine vom Herzen purzelten.

Dass es so spannend war, dass es nach dem 2:1 (2:1) für Real in der regulären Spielzeit in die Verlängerung ging und die Bayern hernach 3:1 im Elfmeterschießen gewannen, all das zählt zur Folklore dieser elektrisierenden Begegnung. Und so überraschte es nicht, dass Mario Gomez die Worte fehlten. Er hatte zwar geduscht, doch er schwitzte schon wieder, als er erklären sollte, wie das alles kommen konnte. "Ich hatte heute einfach ein gutes Gefühl und ... ich brauche erst mal was zu trinken und zu essen, sorry Leute." Er war gerade noch in der Lage, über sich selbst zu lachen, dann verschwand er.

Der Abend hatte sämtlichen Beteiligten alles abverlangt, so viel war klar. Kein Wunder auch, bei dem Spielverlauf: Die Bayern hatten begonnen wie einst beim schlimmen 0:4 in Barcelona. Sie hatten schnell zwei Tore kassiert, nachdem erst David Alaba mit der Hand in einen Volleyschuss von Ángel Di Maria gerutscht war und dann die Innenverteidigung allzu offen stand - beide Male traf Cristiano Ronaldo, einmal per Strafstoß (6. Minute), dann per kühler Verwertung nach einem Özil-Pass (14.).

Während die Madrider Arena in 76.000fachem Geplärr (die 4000 Bayernfans schwiegen derweil) versank, schlitterte der deutsche Rekordmeister in eine Katastrophe, einen Super-GAU, ein schwer verdauliches Scheitern. Ruhe behielt in diesem Moment nur einer: Bayern-Coach Jupp Heynckes. "Ich habe mich selbst gefragt: Warum bist du denn jetzt immer noch so gelassen," berichtete er später umzingelt von einer Horde Journalisten. "Wir hatten den Beginn abgeschenkt, aber dann haben wir die Kontrolle übernommen, waren gut organisiert und haben viele Chancen kreiert," führte er weiter aus - gemeint war das, was nach dem Rückstand passierte: Die Münchner schlugen zurück und zwar mit voller Vehemenz.

Abgezockter Alaba, suchender Schweinsteiger

Arjen Robben, der zunächst noch eine Chance vergab, die alle Großväter in ihren Erzählungen lieber verschweigen sollten, drosch noch vor der Pause wütend einen von Pepe an Gomez verursachten Elfmeter ins Real-Tor (27.). Es war das Signal, das die Bayern brauchten, es war aber auch ein renitentes "Na und?" in Richtung der furiosen Madrilenen.

"Ich bin wahnsinnig stolz drauf, wie sich die Mannschaft nach diesem Beginn zurückgekämpft hat," ließ Manager Christian Nerlinger wissen - das konnte er zu Recht sein, denn sein Team dominierte ab da über weite Strecken das Geschehen. "Wie wir vor dieser Kulisse Charakter, Moral und Willensstärke gezeigt haben, ist schon erstaunlich," resümierte auch Heynckes. Gegen ein keineswegs schwaches Kollektiv des königlichen Klubs zeigten die Bayern in der zweiten Halbzeit trotz schwindender Kräfte Einzelner (Bastian Schweinsteiger etwa), was sie unter Heynckes gelernt haben: Mit großer Geschlossenheit einen ebenbürtigen Gegner niederzuspielen.

Plötzlich griff Lahm wieder an, auf einmal grätschte Robben unwiderstehlich gegen Reals Rüpel Marcelo und, als hätte es nie etwas anderes gegeben, marschierte der grandiose Toni Kroos durchs spanische Mittelfeld - erst bis zur Verlängerung, dann bis zum Elfmeterschießen und wenn es nötig gewesen wäre, wohl auch noch bis zum Tag des Finales. "Es fühlte sich ein wenig an, wie vor zwei Jahren in Manchester - auch da lagen wir zurück und haben das Ding noch umgebogen," erklärte Lahm. Mit dem Unterschied, dass den Bayern damals beim 2:3 die Lotterie vom Punkt erspart blieb. Und diesmal?

Hatte sich der erst 19-jährige Alaba nach dem von ihm verursachten Elfer zu Beginn so couragiert ins Spiel hineingebissen, dass er prompt auch noch als Erster im Entscheidungsschießen verwandelte. "Der Trainer fragte, ob ich schieße und ich hab ja gesagt," erklärte der Österreicher grinsend - so abgezockt muss man erst mal sein.

Unaufhaltsam rauschte dieser Fight zwangsläufig auf ein Finale zu, das sich wohl nur auf diese nervenzerreißende Weise zutragen konnte: Manuel Neuer entschärfte die Versuche von Ronaldo (der nach seinem Fehlschuss minutenlang übers Feld torkelte) und Kaká, dazu zielte Sergio Ramos in Reihe fünf, während bei den Bayern nur Lahm und Kroos scheiterten.

Wie es ist, in so einem Spiel einen Elfmeter schießen zu müssen, beschrieb Bastian Schweinsteiger wohl am treffendsten: "Auf dem Weg nach vorne habe ich kurzzeitig meine Eier verloren. Gott sei Dank habe ich sie am Punkt wiedergefunden." Als er Real Madrid aus dem Wettbewerb kickte, war es vollbracht und nach einem kurzen Schockmoment applaudierte sogar das stürmische Bernabéu respektvoll. "Wir sind überglücklich, auch für unsere Fans ist das eine tolle Belohnung," sagte der bravouröse Neuer, der ebenso einräumte: "Jetzt ist es definitiv keine verkorkste Saison für uns."

Da war sie wieder, die spürbare Erleichterung über ein gerettetes Jahresprojekt. "Zum FC Bayern gehört immer ein großer Titel - und die Chance drauf haben wir jetzt," erklärte Lahm seine Sicht der Dinge und kündigte an, sich jetzt "ein Bier zu gönnen, schließlich sind wir Bayern". Sprach's und trat mit seinen Kollegen die Heimreise an - auch die war nämlich "molto longo".

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