Dortmund gegen Schalke:Rettet das Bauerntheater

Nächste Woche spielt Borussia Dortmund gegen Real Madrid und der FC Schalke 04 gegen den FC Arsenal London in der Champions League - und davor spielen die Bundesligisten halt noch gegeneinander. Die berüchtigte Derby-Rivalität wirkt diesmal eher wie Folklore. Ein wenig Hoffnung auf eine besondere Partie bleibt dennoch.

Freddie Röckenhaus

Gäbe es nicht ein paar brauchbar dramatische Vorab-Meldungen von der Polizei, man könnte fast meinen, es sei für den Samstag ein normales Bundesliga-Spiel angesetzt. So wenig Kontroverse war selten vor einem Ruhrpott-Derby, dass das Publikum vor der 141. Auflage der Partie zwischen Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04 dankbar nach den Strohhalmen der Staatsgewalt greift, um nicht ganz auf die beliebte Folklore von der Super- Rivalität der beiden Traditionsklubs verzichten zu müssen.

Hannover 96 - Borussia Dortmund

Mancher Schalker stört sich an der "permanent emotionalen Körpersprache" des BVB-Trainers Jürgen Klopp. Das ist zumindest mal ein Vorwurf. 

(Foto: dapd)

Also der Reihe nach: Die Polizei will mit mindestens 1000 Beamten im Einsatz sein - das sind vier Mal so viele wie sonst. 500 Schalker Fans und 450 Dortmunder werden als potenzielle "Unruhestifter" eingestuft, mehreren Schalker Wiederholungstätern ist der Zugang zum Stadion und einer Art Bannmeile drum herum untersagt. Mit Video- und Personenkontrollen soll sichergestellt werden, dass die Rädelsführer beider Lager gar nicht erst aufeinandertreffen können. Wenn die Zahlenspiele der Polizei stimmen, darf man unter den gut 80 000 Zuschauern demnach mit maximal 1000 tendenziell gewaltbereiten Fans rechnen, denen die mentale Trennlinie zwischen wütend-augenzwinkerndem Verbal-Radikalismus und realer Schlägerei abhandenkommen könnte. Könnte!

Soweit die spärlichen Neuigkeiten von der Front. Die einzige wirkliche Pointe gelang vor diesem Derby bisher, als den Schalker Fans am Mittwoch ordnungsamtlich untersagt wurde, blau-weiße Flaggen oder Transparente mit ins Stadion zu bringen. Der Grund: Im vergangenen Jahr war in großer Zahl Pyrotechnik, in blau-weißes Tuch eingewickelt, ins Dortmunder Stadion geschmuggelt worden.

Ein Angebot der Ordnungskräfte an die Schalker Ultras, den Verzicht auf Brennelemente schriftlich zu garantieren und im Gegenzug die Fahnen doch mitbringen zu dürfen, wollten die Schalker lieber nicht abgeben. Das wäre angesichts eines sehr gemischten Ultra-Blocks ja so, als sollte der Vorsitzende der Taschendiebe-Innung eine Garantie für den gesamten Berufsstand leisten.

"Man sollte das Derby nicht klein reden", sagt Michael Zorc, Dortmunds Sportdirektor, der als Spieler 27 Ruhrpott- Derbys für Dortmund bestritt, "es bedeutet für die Leute unbeschreiblich viel, der Beste hier in dieser Gegend zu sein, die den Fußball eben tagtäglich lebt." Vor allem BVB-Spieler wie Großkreutz, Reus, Götze oder Schmelzer hätten den besonderen Stellenwert des "einzig wahren" deutschen Fußball-Derbys verinnerlicht. "Die Medien machen inzwischen aus jedem Nebensatz natürlich eine Kampfansage - das ist Unsinn. Aber wer erinnert sich nicht, als wir 2008 mit einem einzigen Sieg über Schalke unsere Fans für eine schlechte Saison versöhnt haben. Schalke wurde dadurch nicht Meister."

Zorc erinnert aber auch daran, dass in den achtziger und neunziger Jahren manches Derby ausfiel, weil Schalke damals häufig in der zweiten Liga spielte. "Einige Zeit lang musste immer der eine jeweils den anderen retten", sagt Zorc selbstironisch. "Dass beide so beinahe gleichauf in der Spitze mitmischen, wie jetzt gerade, ist nicht der Regelfall gewesen."

Selbst Großkreutz wird zurückgewunken

Zumindest im eher bürgerlichen Dortmund fragen sich selbst hartgesottene Schwarz-Gelbe inzwischen, ob sich die beiderseits eifrig gepflegte Rivalität nicht längst zu einem eher bemühten Hype gewandelt habe. Eine virtuelle Realität, in der Medien und hartgesottene Ultras-Fans sich gegenseitig in eine übersteigerte, vorgespielte Hysterie gesteigert haben. Eine Art Kohlenpott-Bauerntheater, alle Jahre zweimal aufgeführt, weil sich keiner erinnert, wo der Stecker zu ziehen wäre.

Die Realitäten beider Ruhrpott-Klubs, deren Stadien keine 35 Kilometer voneinander entfernt liegen, sind im Zeitalter der Champions League freilich andere. Dortmund spielt am nächsten Mittwoch gegen Real Madrid, Schalke in London gegen den FC Arsenal. Das wichtigste Spiel der Saison? Angesichts des Niveaus, auf dem die beiden Konkurrenten des FC Bayern um die nationale Fußball-Vorherrschaft inzwischen unterwegs sind, fällt es dem Gros der Fans auf beiden Seiten allmählich schwer, die tatsächliche Nachbarschafts-Rivalität zu etwas Überlebensgroßem aufzublasen. Gegen Real zu gewinnen und gegen Bayern hat schließlich auch etwas.

BVB-Profi Kevin Großkreutz, dem wegen der Ausfälle von Kuba Blaszczykowski und Mario Götze, die Rückkehr in die Startelf winkt, gehört eher zu den Hardcore- Betreibern der Feindschafts-Folklore zwischen "Herne-West" und "Lüdenscheid-Nord", wie sich die Lager gegenseitig nennen, weil man den Namen des Gegners um Gottes willen nicht in den Mund nimmt. Aber Großkreutz wird von der Vereinsspitze eher zurückgewunken, wenn er sich geradezu religiös abwertend über die "Blaumiesen" äußert.

Bei Schalke, das wahrscheinlich auf Draxler und Papadopoulos verzichten muss, hat sich dagegen Aufsichtsratschef Clemens Tönnies, im Zivilleben Wurstproduzent, persönlich geäußert. BVB-Trainer Jürgen Klopp verstärke "mit seiner permanent emotionalen Körpersprache" die "Erwartungshaltung". Na das ist ja mal ein Vorwurf!

Dankbar entgegnete BVB-Boss Hans-Joachim Watzke, der BVB sei damit immerhin zwei Mal hintereinander Meister geworden: "Ich glaube nicht, dass Herr Tönnies schon mal einen Meistertitel der Schalker erlebt hat." Schalke wurde 1958 zuletzt Meister, Dortmund gewann in der Zwischenzeit sechs nationale Titel und die Champions League. Ach ja - irgendwie ist es ja doch ganz putzig, das ewige Hin und Her.

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