Dopingfall Lance Armstrong:Sarkozy im Sog der Armstrong-Affäre

In Frankreich steht Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy im Verdacht, Lance Armstrong protegiert zu haben. Hat er selbst dafür gesorgt, dass unangenehme Dopingjäger seinen Lieblings-Radfahrer in Ruhe lassen?

Thomas Kistner

Dopingfall Lance Armstrong: Gegenseitige Wertschätzung bis zur Freundschaft: 2010 bei der Tour de France begrüßen sich der Radprofi Lance Armstrong  (l.) und der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy.

Gegenseitige Wertschätzung bis zur Freundschaft: 2010 bei der Tour de France begrüßen sich der Radprofi Lance Armstrong  (l.) und der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy.

(Foto: AFP)

- Ein bisschen unappetitlicher geht's immer noch. Lance Armstrong unterlief in den USA offenbar ein taktischer Fehler, der einem Schuldeingeständnis gleichkommen könnte. Zugleich rollen französische Medien seine besondere Nähe zu Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy auf. Das Magazin Nouvel Observateur beschreibt, wie der radsportverrückte Chef im Elysée-Palast Armstrong mehrmals bewirtete; dabei nahm er ein edles Renngerät mit seinem Namenszug entgegen. Offenbar gab es sportpolitische Gegengeschenke, so das Blatt. Das Budget des von Armstrong gehassten Pariser Dopinglabors AFLD wurde kurz nach einem Besuch des Texaners bei Sarkozy im Juli 2010 halbiert. Wenig später warf Laborchef Pierre Bordry, dessen Stab zuvor reihenweise Tour-Doper herausgepickt hatte, frustriert hin.

Jetzt sagt Bordry, Armstrong habe vor ihm "persönlich geprahlt, er habe beim Präsidenten meinen Kopf gefordert". Bordry hakte im Elysée nach, "doch selbst auf privater Ebene bekam ich nie eine Antwort". Von Armstrong schon. Der Mann, den der Radweltverband UCI als großen Privatförderer der Dopingbekämpfung sieht, twitterte im Oktober 2010 zu Bordrys Rücktritt: "Au revoir Pierre". Und tschüss.

Anlass zur Freude hatte der enttarnte siebenmalige Tour-Sieger bei Bordrys Abschied reichlich. Die AFLD verantwortete 2008 - im Jahr, bevor Armstrong sein Comeback beging - die Tests bei der Tour. Und griff hart durch. Paris fand in der Substanz Cera sogar ein völlig neues Blutdopingmittel. Die Tour erlebte seismische Erschütterungen, Fahrer wurden gesperrt, darunter der Führende und Topfavorit Riccardo Ricco. Bei Nachtests flogen die Gerolsteiner-Profis Stefan Schumacher und der Tour-Dritte Bernhard Kohl auf.

Das musste aufhören, als Armstrong 2009 zurückkehrte. Offenbar machte Bordry eine Allianz aus Regierung, UCI und Tour-Veranstalter Aso den Garaus. Nach dem Comeback des schmutzigen Superstars wurde das Labor entmachtet und die Test-Regie in die bewährten Hände der UCI gelegt. Die Aso jagte ihren im Dopingkampf engagierten Tour-Chef Patrice Clerc vom Hof. Als sich trotzdem Material für Bluttransfusionen im Müll von Armstrongs Astana-Team fand, verpufften die Polizeiermittlungen sofort: Keine Razzien, nicht mal Verhöre. Ein Bordry-Vertrauter sagt, es habe "von hoher Stelle Anweisung gegeben, Armstrong nicht zu belästigen."

2010 wurde das Restrisiko eliminiert. Auch ein Armstrong altert, 2009 war er an Alberto Contador gescheitert, dem jüngeren Doper. Also frühstückten Armstrong und Sportchef Johan Bruyneel, den die US-Anti-Doping-Agentur Usada bald anklagen wird, im Elysee und klagten Sarkozy ihr Leid über das böse Pariser Labor. Das Sportblatt L´Equipe berichtete, Bruyneel habe danach UCI-Boss Pat McQuaid die Frohbotschaft zugemailt, man müsse sich bald nicht mehr über Bordry ärgern.

2010, heißt es in den Usada-Akten, wurde Armstrong vor den Tests gewarnt; oder er bekam genug Zeit, sich unbeaufsichtigt auf die Kontrolle vorzubereiten. "Sogar Asterix nahm Zaubertrank", witzelte Sarkozy zu den Gerüchten um den Sportsfreund. Wusste der Ex-Staatschef, heute selbst unter Korruptionsverdacht, Bescheid?

Packt Michele Ferrari aus?

Armstrong mimt weiter den Cowboy. Auf Twitter-Fotos präsentiert er sich lässig mit den ergaunerten sieben Gelben Tour-Trikots. Hinter der coolen Kulisse aber herrscht Bewegung. Wohl aus Angst vor dem Zeugenstand, wo er unter Eid und hoher Haftgefahr zu Dopingpraktiken befragt würde, ist er verhandlungsbereit. Die US-Versicherungsfirma SCA hatte die Prämien seiner Tour-Siege von 2002 bis 2004 bezahlt - jetzt, da es keine Tour-Siege gibt, will sie elf Millionen Dollar zurück. Bei einem Treffen der Anwälte soll Armstrongs Partei einen Versuch gestartet haben: Wäre eine Million Dollar okay, um das beizulegen? SCA ließ Anfragen unbeantwortet.

Armstrongs Lage könnte noch dramatischer werden, als sie ist. Einerseits will er verhindern, vereidigt zu werden - andererseits wäre ein Zahlangebot ein Eingeständnis. Weitere Geschädigte warten schon, ein Erfolg von SCA fände viele Nachahmer. Darunter die Aso, deren Chef ihre Rückforderung auf 2,95 Millionen Euro beziffert. "Die Regeln sind klar", sagt Christian Prudhomme, "verlieren Fahrer die Ergebnisse, müssen sie ihr Preisgeld zurückzahlen."

Der aus Armstrongs Sicht schlimmste Gläubiger dürfte Floyd Landis sein. Der Ex-Teamkollege bei US Postal bezeugte Abrechnungsbetrug mit Steuergeldern im Post-Rennstall; die Causa kann das Justizministerium binnen zwei Monaten wieder eröffnen. Tut es das nicht, erlaubt das US-Gesetz Zeugen, die wie Landis Belege für Regierungsbetrug haben, an Staates Stelle zu klagen. Als gesichert gilt unter Prozessbeteiligten, dass Landis das tun wird. Zwar trüge er das Prozessrisiko allein, dafür stünden ihm im Erfolgsfall 25 bis 30 Prozent der Schadenssumme von über 30 Millionen Dollar zu. Er ist pleite, hat nichts zu verlieren - und Anwälte, die so spektakuläre Fälle auf Basis einer Erfolgsbeteiligung führen, finden sich in den USA zuhauf.

Der Ring um den Texaner schließt sich in Italien. Dort wird bald Doping-Guru Michele Ferrari angeklagt, an den Armstrong laut Usada eine Million Dollar gezahlt hat. Ferrari darf sich als Kronzeuge Linderung erhoffen: Er müsste nur auspacken über den coolen Typen mit diesen gelben Hemdchen an der Wand.

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