DFB-Elf nach dem 1:3 gegen Argentinien:Löw in der Defensive

Die scharfe TV-Kritik von Oliver Kahn nach dem 1:3 gegen Argentinien kommt plötzlich, sie verdeutlicht Joachim Löw jedoch: Seit dem EM-Aus gegen Italien ist das Misstrauen gegen den Plan des Bundestrainers greifbar.

Thomas Hummel

48.000 Zuschauer klatschten. Glückliche Söhne stiegen mit glücklichen Vätern die Treppen hinab zu den Ausgängen aus dem Innenraum, sie schwenkten Fahnen, manche winkten noch mal hinunter. Unten griff sich Bundestrainer Joachim Löw den argentinischen Stürmer Gonzalo Higuaín, der wegen einer Kopfverletzung einen Verband als Turban trug, sie umarmten sich kurz und versicherten, es sei alles in Ordnung. Im Frankfurter Stadion neigte sich ein netter Familienabend dem Ende entgegen, die Menschen verabschiedeten sich wohlwollend voneinander. Nur einer nicht.

Joachim Löw, Deutschland - Argentinien 1-3

Das Misstrauen ist spürbar gegen Bundestrainer Joachim Löw.

(Foto: dpa)

Oliver Kahn stand nach dem von allerlei unglücklichen Umständen begleiteten 1:3 der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Argentinien im Studio des ZDF und war ganz und gar nicht wohlwollend gestimmt. Ein paar Spieler hatten noch am Rasen kundgetan, dass so eine Niederlage zwar nicht befriedigend sei, man aber doch ganz gut gekickt habe. Es sei eben dumm gelaufen.

Diese Aussagen provozierten den früheren Nationaltorwart. Sie ärgerten ihn so sehr, dass er zur Generalkritik anhob. Über die vergangenen Monate hätten sich Defensivprobleme gezeigt, die Argentinier hätten vier, fünf Tore schießen können wie damals die Schweizer vor der EM. "Wir wissen alle, wie Titel gewonnen werden, was große Mannschaften brauchen: eine Kompaktheit, eine Stabilität im Defensivbereich", polterte Kahn. Auch in Unterzahl könne man gut verteidigen. Und die Verbindung der Doppel-Sechs mit der Abwehr stimme nicht, Sami Khedira spiele viel zu offensiv. Der Bundestrainer müsse sich mal grundsätzliche Gedanken machen, ob sein generell offensiver Plan denn richtig sei.

So frontal und scharf ist Joachim Löw in seiner sechsjährigen Amtszeit noch nicht angegangen worden. Der Bundestrainer kam kurz darauf selbst ins Studio. Es ist bekannt, dass er mit den Einlassungen von Oliver Kahn meist wenig anfangen kann. Die beiden sprechen selten die gleiche Sprache. Zuletzt hat er betont, dass ihn die von Kahn und anderen Ex-Spielern angefachte Leitwolf-Diskussion ermüde.

Entsprechend schwer tat sich Löw, mit Kahns Kritik umzugehen. Später gab er in den Katakomben des Stadions zu, dass seine Mannschaft in der zweiten Halbzeit durchaus fehlerhaft verteidigte: "Da haben wir zu früh das Zentrum geöffnet, das waren taktische Fehler." Auch will er seine Mannschaft dazu bringen, den Gegner nach Ballverlust sogleich zu attackieren, durch Pressing den Ball zurückzuerobern. Und er weiß, dass er damit erst am Anfang steht.

Wo Löw und Kahn auch in Stadien-Katakomben keinen Weg zueinander finden, ist in der Beurteilung der Einstellung und Mentalität der Profis. Kahn monierte: "Als Spieler kann ich nicht immer zufrieden sein. Gegen die Italiener blutleer verloren, heute wieder drei Stück, und die Jungs stellen sich hin und sagen: Tja morgen geht's weiter: Da muss ich mich doch mal ärgern, unzufrieden sein." Und er fügte an: Bei Leidenschaft und Willen fehlten zehn Prozent.

"Das ist doch gar nicht messbar"

Wenn Ex-Leitwölfe und Ex-Willensfußballer kritisieren, der heutigen Generation fehlten diese Fähigkeiten, verfinstert sich regelmäßig Löws Gesicht. Man könne doch keinem Spieler absprechen, er habe nicht alles gegeben! Und zehn Prozent Wille? Löw erklärte knapp: "Das ist doch gar nicht messbar!"

Joachim Löw hat eine Nationalmannschaft geformt, in der vieles leicht und einfach aussieht. Sie lebt von ihrer Jugendlichkeit, in der zweiten Halbzeit waren Sami Khedira mit 25 und dann Benedikt Höwedes mit 24 Jahren die ältesten deutschen Spieler auf dem Platz. Wie die Offensive um den formidablen Marco Reus in der ersten halben Stunde Argentinien fast vorgeführt hatte, sah auch ein wenig nach künstlerisch wertvollem Jugendfußball aus.

Dass dahinter auch harte Arbeit steckt, wird dabei leicht übersehen. Vor allem dann, wenn die Tempo-Kombinationen nicht zu Toren führen. Die großen Erfolge des deutschen Fußballs basierten in der Vergangenheit auf grantiger Defensivarbeit, mit der man künsterlisch wertvolle Gegner aus dem Feld rammte. Lange Zeit konnte Joachim Löw mit dieser Kritik herrlich leben, weil seine Mannschaft mit dem neuen Offensivspiel das Land begeisterte.

Doch seit dem EM-Aus gegen grantige Italiener ist das Misstrauen gegen diese Spielweise greifbar. Nun ist gegen Argentinien allerlei Unglück passiert: Verteidiger Mats Hummels schied früh verletzt aus. Torwart Ron-Robert Zieler kam bei einem Pass zu spät, mutmaßlich weil dieser von einem Erdhügel gebremst wurde, und sah nach einem Foul die rote Karte. (Löw zur Doppelbestrafung Elfmeter und Rot: "Wer diese Regel erfunden hat, das will ich gar nicht wissen. Sie ist blöd und unsinnig.")

Ersatztorwart Marc-André ter Stegen hielt zwar den Elfmeter von Lionel Messi, doch dann unterlief Sami Khedira sein mutmaßlich erstes Eigentor als Profi. Alles in der ersten Halbzeit. Das Spiel endete in Unterzahl 1:3. Argentinien traf noch durch Lionel Messi (52.) und Angél di María (73.), den Gegentreffer köpfte Benedikt Höwedes (81.).

Dass Oliver Kahn nach einem solch vermaledeit mies laufenden Spiel vor Groll fast platzt, verdeutlicht, dass der misstrauische Teil der Branche für Joachim Löw und seinen Stab nun ein größeres Problem darstellt. Löw befindet sich in der Defensive und wird das wohl bis zur Weltmeisterschaft 2014 bleiben, wenn er nicht den Forderungen nach mehr Sicherheit im Spiel und kantigen Willensfußballern im Kader nachgibt. Doch davon ist nicht auszugehen.

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