Bundestrainer Löw über das 4:4:"Daraus lerne auch ich"

Bundestrainer Joachim Löw äußert sich nach seiner Grippe zum irritierenden 4:4 in der WM-Qualifikation gegen Schweden: Er räumt eigene Fehler ein, widerspricht aber dem Ruf nach einem Führungsspieler. "Einen Ton wie auf dem Kasernenhof" lehnt er ab.

Philipp Selldorf

Am vorigen Mittwoch kündigte das Zweite Deutsche Fernsehen auf seiner Homepage einen Knüller an. Als Gast des Aktuellen Sportstudios präsentierte die Redaktion einen Mann, den sie in der langen Programmvorschau als "Retter aus dem Hinterzimmer" feierte.

Was Horst Heldt davon hielt, dass ihn das ZDF einerseits als heldenhaften Retter ehrte, ihn aber andererseits ins Zwielicht tauchte - als Gelsenkirchener Hinterzimmerinsassen -, das hat der Manager des FC Schalke 04 nicht weiter kommentiert. Dafür brachte er zum Ausdruck, dass er es für ziemlich merkwürdig und ziemlich unhöflich hielt, dass ihn das ZDF am Freitag geradewegs wieder auslud. Weil es meinte, einen noch spannenderen Gast gewonnen zu haben, nämlich den Bundestrainer Joachim Löw, der einst an Jürgen Klinsmanns Seite als Retter der Nationalmannschaft angetreten war, inzwischen aber selbst für den einen oder anderen Rettungsschirm Verwendung zu haben scheint.

Löw sollte am Samstag über die Ursachen und Folgen des mysteriösen 4:4 im WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden sprechen, doch bevor er sich aus Freiburg auf den Weg nach Mainz machen konnte, wurde er zum Schweigen gebracht. Allerdings nicht von der Obrigkeit des Deutschen Fußball-Bundes, wie in manchen fiebernden Zirkeln tatsächlich fabuliert worden war. Sondern von einer fiebrigen Grippe, die ihm den Auftritt im Fernsehen unmöglich machte.

Löws Bedürfnis, sich und seine Mannschaft zu erklären, hatte aber auch am Montag noch Bestand, und so bekamen nun statt des ZDF die drei Nachrichtenagenturen dpa, sid und dapd die Gelegenheit zur Anhörung. Die Ratgeber des halbwegs genesenen Bundestrainers legten Wert auf ein breites Forum. Ebenfalls war es ihnen wichtig zu zeigen, dass sich der Trainer in stürmischen Tagen nicht vor der Öffentlichkeit versteckt. Dieser Verdacht war bereits hier und da geäußert worden, nachdem Löw im Anschluss an die Europameisterschaft eine bald sechs Wochen währende Schweigephase eingelegt hatte.

Wer sich also am Samstag vielleicht noch um den kurzfristig verhinderten Löw gesorgt hatte, der konnte sich nach seinen Äußerungen am Montag wieder beruhigen. Zwar äußerte der Bundestrainer einige Kritik, richtete diese Kritik aber vor allem an sich selbst.

Zum Beispiel war er, wie das Gros der Kritiker, nicht einverstanden mit seinen Aus- und Einwechslungen. "Das ist natürlich ein Vorwurf an mich, absolut. Vielleicht hätte ich mit einer Auswechslung ein Signal senden können, mit einem defensiven Mann, der in der Lage ist, die Mannschaft zu entlasten", stellte er fest, plädierte aber auf mildernde Umstände: "Ich konnte auch nicht glauben, dass das Spiel kippt. So etwas habe ich in 20 Jahren noch nicht erlebt. Daraus lerne auch ich. Mein Plan war zuerst, als das Spiel etwas aus den Fugen geriet, ballsichere Spieler zu bringen, um wieder die richtige spielerische Qualität zu haben und die Schweden von unserem eigenen Tor wegzuhalten. Aber das ist nicht aufgegangen."

"Auch wir waren fassungslos"

Löw zeigte Verständnis für die Debatten, die das 4:4 ausgelöst hatte ("auch wir waren fassungslos"), im Großen und Ganzen sieht er aber weder Grund zu fundamentaler Rechtfertigung noch zu einem Kurswechsel. Er sieht lediglich Anlass für handwerkliche Korrekturen:

"Vielleicht müssen wir einen Automatismus entwickeln: Was ist zu tun, wenn wir ein Spiel dominieren und dann einen Anschlusstreffer kassieren? Da haben wir in den letzten Spielen in der Tat gewisse Schwächen gezeigt. Wir haben den Gegner das ein oder andere Mal völlig unnötig wieder ins Spiel gebracht. Die Erkenntnis ist: Unser unglaubliches Offensivpotenzial führt fast zwangsläufig auch zu Schwächen. Und diese Schwächen sind nicht erst jetzt, sondern schon im gesamten Jahr in Erscheinung getreten." Aus der Sicht des Taktikers ergibt sich daraus die Aufgabe, künftig für mehr Balance in seinen Formationen zu sorgen.

Zur Klage über Qualitäts- oder Charaktermängel in seinem Team sieht Löw erwartungsgemäß keinen Grund. Das in konservativen Kritikerkreisen gerühmte Chef-Modell weist er weiterhin zurück: "Wir haben genügend Spieler, die eine Dominanz ausstrahlen. Wenn man definiert, was einen Führungsspieler auszeichnet, dann wird man schon sehen, dass wir gute Führungsspieler haben. ... Wenn man meint, dass uns derjenige fehlt, der dazwischen haut, auf Freund und Feind einschlägt, um etwas zu bewegen - den haben wir in der Tat nicht. Darüber bin ich aber auch nicht böse, denn solche Spielertypen können auch mal viel kaputt machen."

Da sei dann der Schaden größer als der Nutzen. Seinerseits mehr Härte und Autorität vorzuführen, davon hält er nichts. "Einen Ton wie auf dem Kasernenhof" lehnt er ab, "das entspricht nicht meiner Persönlichkeit".

Es muss sich nach dem verwirrenden Spiel im Berliner Olympiastadion auch niemand sorgen, dass der Bundestrainer erschöpft und enttäuscht in Pension gehen möchte: Er betrachte seinen Job nach wie vor als "unglaubliche spannende Aufgabe", sagte der 53-Jährige, was er nicht zuletzt mit der "charakterlichen Klasse" seiner Spieler begründete: "Deswegen freue ich mich wahnsinnig und bin stolz, mit diesen Spielern zu arbeiten." Der nächste Auftritt im Sportstudio wird also bestimmt noch folgen.

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