Vierschanzentournee in Oberstdorf:Tiefe Zufriedenheit zum Auftakt

Severin Freund

Severin Freund jubelt: Als bester Deutscher auf Rang drei

(Foto: AP)

Severin Freund beschert den deutschen Skispringern den ersten Podestplatz bei der Vierschanzentournee seit knapp vier Jahren. Der Bayer belegt beim Sieg des Norwegers Anders Jacobsen in Oberstdorf Platz drei und untermauert seine Ambitionen auf den Gesamtsieg. Ein Österreicher erlebt eine böse Überraschung.

Von Thomas Hahn

Severin Freund schüttelte den Kopf. Irgendwas gefiel ihm nicht an seinem Sprung. Aber was? Auf dem Trainerturm neben der Schattenbergschanze klatschten sich die deutschen Trainer ab, die Zuschauer jubelten. 135,5 Meter, nicht schlecht. Freund schnallte die Ski ab. Kurzes Innehalten, bis sein Ergebnis auf der Anzeigetafel erschien. Dann lachte er, und später, als auch die letzten beiden Skispringer beim Auftakt der 61. Vierschanzentournee in Oberstdorf gelandet waren, blickte Severin Freund mit tiefer Zufriedenheit auf einen Podestplatz, der für ihn besonders glänzen musste.

Der Norweger Anders Jacobsen sicherte sich mit einem kunstvollen letzten Sprung auf 139 Meter den Sieg. Tournee-Titelverteidiger Gregor Schlierenzauer aus Österreich beendete einen wechselhaften Wettkampf bei windigen Bedingungen als Zweiter. Und Severin Freund hielt sich als Dritter im Kreis der Tournee-Favoriten. Er sagte: "Es hat sehr, sehr, sehr viel Spaß gemacht."

Dieser Tournee-Auftakt ist eine Bestätigung gewesen für die gute Form der deutschen Skispringer, denn hinter Freund reihten sich Michael Neumayer, Andreas Wellinger, Richard Freitag und Martin Schmitt als geschlossene Einheit auf den Rängen acht, zehn, 15 und 16 ein. Mehr noch: Der Wettkampf zeigte, dass sie Rückschläge wegstecken können, dass sie ein Talent zum Konter haben und im entscheidenden Moment die Nerven bewahren.

Es lief nicht alles rund an den beiden Tagen von Oberstdorf: Vor allem der 19-jährige Oberstdorfer Karl Geiger, eine der deutschen Entdeckungen dieser Saison, ging traurig weg von seiner Heimschanze am Schattenberg, weil er am Samstag knapp in der Qualifikation für den Wettkampf der besten 50 gescheitert war - als 51. des Prologs, das war bitter.

Und auch Geigers hochgelobter Teenager-Kollege Andreas Wellinger, 17, ging mit leisen Zweifeln vom großen Bakken. Sein Qualifikationssprung war nicht gut, er reihte sich als 29. ein und urteilte so ruhig wie streng über sich. "Nicht viel anders, wie bei anderen Springen" sei sein erster Tournee-Start verlaufen. "Ich hab' versucht, mich auf meinen Sprung zu konzentrieren, und hab' das noch nicht ganz zusammengebracht. Aber ich denke, das wird morgen auch besser."

Neu aufgelebte Begeisterung

Und als hätte der Berchtesgadener Gymnasiast nie etwas anderes getan, als vor 24 500 bewegten Zuschauern im Oberstdorfer Stadion Vergeltung zu üben nach einem leicht verrissenen Absprung, war er tags darauf tatsächlich fast wieder in jener Weltcup-Form, die ihn in dieser Saison schon zweimal aufs Podest gebracht hat. 131 Meter im ersten Durchgang, Wellinger ballte die Faust und war auch nicht weiter enttäuscht, als der Österreicher Manuel Fettner ihn im K.o.-Duell mit 136,5 Metern übertroffen hatte. Er ahnte schon, er würde als einer der besten Verlierer den zweiten Durchgang erreichen. Was tags zuvor los war? "Mir hat das Gefühl ein bisschen gefehlt in der Anfahrtsposition", sagte er im ZDF. Er machte sich beim Videostudium ein Bild von diesem Gefühl, das ihm gefehlt hatte, und korrigierte. "Da sind schnell mal 10, 15 Meter mehr drin."

Es war ein schwarz-rot-goldener Abend, an dem man eine neu aufgelebte Begeisterung für die Springerei zu spüren glaubte. Die Tribünen waren voll, und so sehr lebte die Atmosphäre auf, wenn ein deutscher Springer auf dem Balken erschien, dass dieser Wettkampf ein echtes Heimspiel war für die Mannschaft von Bundestrainer Werner Schuster. Die Menschenmassen können auch nervös machen, aber das ließen die Springer nicht geschehen. "Die vielen deutschen Fahnen machen Freude", sagte Schuster und konnte im ersten Durchgang keinen wirklich bösen Fehler entdecken bei seinen Leuten.

Richard Freitag bremste kopfschüttelnd ab nach seinem Flug auf 127 Meter, mit dem er sich zwar im K.o.-Duell gegen den Norweger Vegard Swensen durchsetzte, aber seine Podestchancen frühzeitig einbüßte. Aber sonst: Ein Gute-Laune-Geschwader segelte zu Tale, hinein in den Jubelsturm. Michael Neumayer auf 136,5 Meter, Severin Freund sogar auf 138,5 Meter. "Einwandfrei", sagte Neumayer. "Sie haben sich frei gesprungen", sagte Schuster. Und Severin Freund konnte sich gar nicht mehr vorstellen, dass es an diesem Abend noch eine Enttäuschung geben könnte. Denn: "Wir sind sowieso auf dem Weg."

Der Wettkampf war turbulent, nicht einfach zu bewältigen für die Teilnehmer - und er forderte ein prominentes Opfer. Thomas Morgenstern, Einzel-Olympiasieger von 2006, Tournee-Gewinner von 2011, bekam die Böen nicht in den Griff. 119,5 Meter. Feierabend in der ersten Runde, oder wie es Morgensterns Nationaltrainer Alexander Pointner auf Österreichisch ausdrückte: "Außig'speckt." Aber das blieb nicht die einzige Enttäuschung für Österreichs Mannschaft. Nach dem Wettkampf wurde Andreas Kofler, der Tourneesieger von 2010, ursprünglich Achter, wegen eines zu weiten Anzugs disqualifiziert. "Bitter", sagte Pointner jetzt wieder auf Deutsch und tröstete sich mit dem wertvollen zweiten Platz seines Musterschülers Gregor Schlierenzauer.

"Sehr schwer in Ordnung" fand Schlierenzauer seinen zweiten Platz, der ihn eine schöne Ausgangsposition für den Kampf um den Gesamtsieg bringt. Aber der Star des Abends war natürlich Anders Jacobsen, Tournee-Gewinner von 2007, der in der vergangenen Saison eine Auszeit genommen hatte und zuletzt mit sich gehadert hatte. Jacobsen strahlte, und er sagte in den deutschen Taumel hinein: "Es fühlt sich ein bisschen wie ein Märchen an."

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