300. Rennen von Michael Schumacher:Dä Mischael aus Kerpen

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Er geht in sein 300. Rennen, wenn Michael Schumacher am Sonntag in Spa an den Start rollt. Aber die Formel 1 beschäftigt nur eine Frage: Macht er weiter? Die Suche nach der Antwort führt zurück bis in die Zeit, als er noch in Kerpen-Manheim fuhr.

Michael Neudecker

Toni Schumacher trägt ein weißes Poloshirt, rote Jeans und dunkelbraune Lackschuhe, sein Toni-Schumacher-Haar ist wie immer schön gewellt, er wäre dann so weit. Er geht die Treppen hoch, das Restaurant "La Piazza" liegt im ersten Stock des Michael-Schumacher-Kartcenters in der Michael-Schumacher-Straße in Kerpen-Sindorf, und der Michael ist ja schon da, er sitzt oben an der Bar, die Jungs von RTL sind auch bereit, ein kurzes, großes Hallo, und dann geht's los.

Ein Bild aus dem Jahr 1987: Michael Schumacher in seinem GoCart.  (Foto: Imago Sportfoto)

Mischael!, sagt der Toni, wir ham uns da was überlegt, in der Hand hält er ein eingerahmtes Papier des 1. FC Köln, eine Anleihe über 1948 Euro, 1948 ist das Gründungsjahr des FC. Michael Schumacher, giftgrünes Hemd, Jeans, weiße Turnschuhe mit giftgrünen Sohlen, steht in der leeren Pizzeria neben der roten Jeans von Toni Schumacher, er hält ein RTL-Mikrofon, er grinst, der Toni grinst, die Kamera filmt; "Toni, frag' den Mischael doch mal was", sagt der RTL-Reporter, der offenbar auch aus dem Rheinland kommt, es ist eine PR-Aktion, der FC will mit seinem früheren Torwart und heutigen Vizepräsidenten Harald "Toni" Schumacher sowie dem Weltstar und FC-Fan Michael Schumacher seine neuen Anleihen bewerben. Vor allem aber ist es: großes Rheinlandkino.

Am Schluss kriegt Michael Schumacher von Toni Schumacher noch ein Trikot des FC, auf dem Rücken ist die Zahl 300 geflockt, Michael Schumacher wird in Spa an diesem Sonntag ja sein 300. Rennen in der Formel 1 fahren. Ein paar Statistik-Puristen sagen zwar, es seien erst 299, wegen dieser Sache in Magny-Cours 1996, als Schumachers Auto in der Einführungsrunde unmittelbar vor dem Start kaputt ging, aber 299 oder 300, diese Frage interessiert außer den Statistik-Puristen niemanden. Weil es nur eine einzige Frage gibt, die Schumacher dauernd gestellt wird, die eine Frage, auf deren Antwort alle warten, die Fans, das Team, die Reporter.

Macht er weiter?

Am Saisonende läuft Schumachers Vertrag bei Mercedes aus, das Team würde ihn gerne behalten, seit Wochen laufen schon Gespräche dazu. "Nicht vor Oktober", sagt Michael Schumacher stets, werde die Entscheidung bekannt gegeben, Mercedes-Motorsport-Chef Norbert Haug sagt dazu nichts. Es wird also noch eine Weile spekuliert werden und interpretiert, die Frage, ob Michael Schumacher weitermacht oder nicht, spielt ja für die ganze Branche eine Rolle, mindestens in Deutschland, denn es gibt keinen Fahrer, mit dem sich dieser Marketing-gestylte Sport besser verkaufen lässt als mit ihm. Gewiss, es gibt noch andere Deutsche in der Formel 1, Nico Rosberg hat schon ein Rennen gewonnen, Nico Hülkenberg ist talentiert, Sebastian Vettel ist Doppel-Weltmeister. Aber Michael Schumacher ist Michael Schumacher.

In der Formel 1, diesen schönen Satz hat Michael Schumacher jetzt in Spa gesagt, sei man abhängig von Maschinen, "die Maschine setzt den Rahmen, innerhalb dessen du dich beweisen kannst, und die Herausforderung ist es, diesen Rahmen zu verlassen". Michael Schumacher hat den Rahmen sehr oft verlassen in seiner Karriere, 91 Rennsiege, 68 Pole Positions, sieben Weltmeistertitel, er ist der Größte, den dieser Sport je hervorgebracht hat, was automatisch zu einer weiteren Frage führt: Warum sollte er überhaupt noch fahren?

Fährt er, um zu gewinnen? Natürlich will er nicht verlieren, aber gewinnen kann auch eine Definitionsfrage sein, wenn man 43 Jahre alt ist und gegen Mitte-Zwanzigjährige antritt. Früher ging es für ihn nur um eines, darum, Erster zu werden, der Beste, der Schnellste, Schumachers ganzes Leben war davon bestimmt. Er war getrieben von einem Gefühl der Bringschuld: Andere haben ihm immer geholfen, der Kerpener Gerhard Noack vom Kartklub hat ihm Geld gegeben; der Automatenaufsteller Jürgen Dilk hat ihm das alte Material geschenkt, das sein ungefähr gleichaltriger Sohn nicht mehr gebraucht hat, er hat den jungen Michael mitgenommen zu Rennen, später hat er ihn auch finanziell unterstützt; und Willi Weber, der Manager, hat ihm beim Einstieg in die Formel 1 geholfen. Michael Schumacher ist in einfachen Verhältnissen in Kerpen-Manheim aufgewachsen, der Vater war Kaminbauer und oft auf Montage, die Eltern waren keine typischen Motorsport-Eltern, und ohne all die Unterstützer hätte er sich den Motorsport nicht leisten können.

Zehn Zylinder der Formel 1
:Wenn es selbst dem Grid Girl zu heiß wird

Der Job in der Startaufstellung hat seine Tücken, Lewis Hamilton ist schneller als die britische Olympia-Mannschaft, Placido Domingo kann seinen Text. Und während sich Jenson Button gerne quält, findet es Sebastian Vettel "superheiß". Eine Zusammenfassung des Wochenendes in der Formel-1-Kolumne Zehn Zylinder.

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Er wollte von Anfang an alles zurückzahlen, aber er hatte ja nichts zu geben außer Siegen, und deshalb hat er sich mit strengster Disziplin der Jagd nach Siegen unterworfen. Testen, fahren, gewinnen, testen, fahren, gewinnen, so war das sehr lange im Leben von Michael Schumacher, aber so ist es nicht mehr. Schumacher hat sich längst befreit von der Bringschuld. Er gewinnt immer noch gerne, aber er hetzt jetzt dem Gewinnen nicht mehr hinterher. Er ist ein in sich ruhender Familienvater, der sich selbst, so sagen es die, die ihn besser kennen, in den drei Jahren Pause erst richtig kennengelernt hat.

Michael Schumacher im Jahr 2012: Macht er weiter? (Foto: REUTERS)

2006 hörte er auf, erst danach hatte er die Zeit, die nötig ist, um wirklich nachzudenken, zu reflektieren, und, das vor allem, zu begreifen, was er, der Sohn des Kaminbauers, geschafft hat. Sein Name ist eine weltweit bekannte Marke, sein Vermögen soll angeblich mehr als eine halbe Milliarde Euro betragen, er hat ein Fundament gebaut, auf dem viele Generationen seiner Familie gut leben können.

Warum also weitermachen?

Natürlich spielen die Rahmenbedingungen eine Rolle, Schumacher hat sich schon bei seiner Rückkehr vertraglich zusichern lassen, dass er nicht mehr jeden PR- und Sponsorentermin machen muss. Dann gibt es da noch die Sache mit der Regelveränderung ab 2014: Von da an haben die Autos deutlich leistungsschwächere Motoren, andere aerodynamische Voraussetzungen, die Formel 1 wird ab 2014 eine andere sein als heute. Die Antwort aber gibt all das noch nicht. Im Prinzip ist es ganz einfach: Michael Schumacher fährt weiter, wenn er Lust dazu hat, und Lust ist ein Gefühl, das man rational nicht begründen kann.

Als er 2010 wieder anfing, sagten die Leute, der kann's doch nicht mehr, er ist zu alt, solche Dinge. Das hat ihn nicht gefreut, aber im Grunde war ihm schon immer egal, was die Leute sagten. Image, Glamour, Glanz, das alles hat nie eine Rolle gespielt im Leben von Michael Schumacher. Er ist in Kerpen-Manheim aufgewachsen und groß geworden auf der Kartbahn dort, in der Steinheide, es gibt dort einen Kiesparkplatz und eine Bretterbude, in der alte Fotos hängen und der Mief von mehreren Jahrzehnten Motorsport. In der Bude steht eine kurzhaarige Frau mit Schürze, und wenn man sie nach Michael Schumacher fragt, dann sagt sie: "Isch han dä Mischael de janzen Tach noch nit jesehen", und es klingt, als sehe sie ihn sonst im Grunde täglich. Ein bisschen stimmt das schon, er ist ja immer noch oft auf der alten Bahn in der Steinheide, sie lieben ihn dort, aber sie lassen ihn sein, wie er sein will. In Kerpen-Manheim ist Michael Schumacher kein Weltstar. Er ist dä Mischael.

Michael Schumacher hat sich von seinem Reichtum vor Jahren ein gewaltiges Anwesen samt schlosshafter Villa direkt am Genfer See gekauft, er ist zigfacher Multimillionär, aber er trägt gerne giftgrüne Hemden mit Turnschuhen. Michael Schumacher ist am liebsten dä Mischael, deshalb hat er auch den Termin mit Toni Schumacher wahrgenommen. Er hat nichts gegen Rheinland-Folklore, und man hilft sich eben, wo man kann.

In Spa ist das Rheinland auch nah, es sind von hier gute hundert Kilometer nach Kerpen, man liegt nicht ganz falsch, wenn man Spa als Schumachers Heimrennen bezeichnet. Es ist eine wirklich wunderbare Geschichte: In Spa hat er 1991 sein erstes Rennen bestritten, er hat hier 1992 seinen ersten Sieg gefeiert, 2004 hat er hier seinen letzten WM-Titel sichergestellt, nun das Jubiläum. Spa hat ihn in dieser Woche zum Ehrenbürger ernannt, es war eine festliche Zeremonie im Rathaus, am Ende ließen altersweise Politiker mit Schärpen Fanfotos mit Schumacher machen, und irgendwann fragte jemand: Ob er denn gedenke, die 400 noch voll zu machen?

Schumacher überlegte kurz, er lächelte. "Eher nicht", sagte er dann.

© SZ vom 01.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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