1860-Niederlage in Aue:Abschied vom Offensivfußball

FC Erzgebirge Aue - TSV 1860 München 4:1

Was tun? Die Spieler des TSV 1860 München sind nach der Niederlage in Aue ratlos.

(Foto: dpa)

0:3 nach einer Viertelstunde - und am Ende 1:4: Das Spiel in Aue sollte für den TSV 1860 der Aufbruch in bessere Zeiten werden, stattdessen landet München auf einem Abstiegsplatz. Trainer Von Ahlen will nun offenbar einen Schritt wagen, den bereits sein Vorgänger geplant hatte.

Christopher Schindler saß am Boden, er hatte sich das Trikot über den Kopf gezogen und heulte hemmungslos. Die Pressesprecherin kam herbei, um ihn zu trösten, dann Investoren-Vertreter Noor Basha, und als der Kapitän des Fußball-Zweitligisten 1860 München aufgestanden war und den Rasen des Erzgebirgsstadions verließ, weinte er immer noch und weinte und weinte.

In Schindlers 100. Zweitligaspiel hatte seine Mannschaft 1:4 beim FC Erzgebirge Aue verloren, sie steht nun mit neun Punkten aus zehn Partien auf einem Abstiegsplatz. Aber es waren wohl nicht diese Zahlen, die Schindler so sehr zusetzten, sondern die Umstände dieser Niederlage.

Es sollte der Aufbruch in bessere Zeiten werden

Es handelte sich ja nicht nur um das erste Spiel nach der Länderspielpause, sondern auch um das erste mit Markus von Ahlen als letztgültig neuem Cheftrainer; der Ausflug nach Aue sollte mithin nicht weniger werden als ein Aufbruch in bessere Zeiten nach dem verpatzten Saisonstart unter dem Trainer Ricardo Moniz.

Vor allem mehr Kompaktheit und solideres Defensivverhalten hatte sich Sechzig, mit Yannick Stark für den verletzten Edu Bedia im Mittelfeld, vorgenommen - und nach einer Viertelstunde stand es 0:3. "Wir hatten einen unglaublich schlechten Start", sagte von Ahlen, "das hat Aue beflügelt und uns gelähmt. Wir müssen da zusammen rauskommen."

Der erste Treffer für Aue fiel bereits in der zweiten Minute. Er zählte - obwohl er nicht hätte zählen dürfen, weil Romario Kortzorg beim Zuspiel von Dorian Diring deutlich im Abseits stand, ehe er den Schützen René Klingbeil bediente. Das war unglücklich aus Sicht der Münchner, was sie allerdings in den folgenden Minuten ablieferten, lässt sich nicht erklären. Von Abwehr konnte absolut keine Rede sein; die Auer erkannten dies, sie rannten und kämpften, was ihre Körper hergaben, immer wieder kamen sie über die besonders anfällige linke Abwehrseite der Löwen.

"Wir haben um jeden Zentimeter Gras im Stadion gefightet", sagte Klingbeil. In der achten Minute setzte sich Arvydas Novikovas gegen den indisponierten Grzegorz Wojtkowiak durch und traf ins entfernte Toreck zum 2:0. Und in der 15. Minute ließ sich Schindler, der unglückliche Jubilar, von Patrick Schönfeld düpieren; dessen Vorlage verwertete Kortzorg aus kurzer Distanz zum 3:0.

"Schritt zurück machen vom offensiven Fußball"

Damit war die Partie nach menschlichem Ermessen entschieden, weil sich die Erzgebirgler nun auf das verlegen konnten, was sie am liebsten tun und am besten können: dicht machen und kontern. In der ersten Hälfte ereignete sich kaum noch etwas, zur zweiten versuchte von Ahlen dann, seiner Mannschaft mit einem Doppelwechsel Impulse zu geben.

Linksverteidiger-Talent Maximilian Wittek kam für Wojtkowiak, der zuletzt im Training laut dem Übungsleiter auffällige Daylon Claasen für Julian Weigl. Und Claasen bereitete in der 51. Minute den Anschlusstreffer vor: Er zog in die Mitte und bediente Valdet Rama, der mit einem Distanzschuss aus 20 Metern auf 1:3 stellte.

Bemitleidenswerte Defensivarbeit

Doch danach funktionierte wieder nichts mehr, es gab nur noch Chancen für die Auer. Nach einem scharfen Querpass von Diring verpasste Kortzorg das 4:1 noch, doch in der 74. Minute war es dann so weit: Auch beim vierten Gegentor griff Aue über die linke Abwehrseite der Löwen an, diesmal legte Kortzorg mit der Hacke auf Rico Benatelli ab, der im Strafraum zum Schuss kam.

Diesmal schaute in Gary Kagelmacher Schindlers Innenverteidiger-Kollege zu. Eine noch höhere Niederlage für Sechzig war möglich: Frank Löning verpasste das 5:1 per Kopf (83.), ein Lupfer von Kortzorg über 1860-Torwart Stefan Ortega landete auf der Querlatte (85.). Zahlreiche der rund 500 mitgereisten Fans der Löwen bekamen das nicht mehr mit, sie hatten den Gästeblock längst verlassen.

Denn sie hatten genug gesehen: Die Löwen lieferten im Gegensatz zum FC Erzgebirge nicht nur eine bemitleidenswerte Defensivarbeit ab, sondern blieben auch im Spiel nach vorne ohne Szenen. Selbst Torjäger Rubin Okotie blieb diesmal, auch aus Mangel an brauchbaren Zuspielen, wirkungslos. "Zu wenig zwingend" seien die Angriffe vorgetragen worden, stellte von Ahlen fest.

Dieser Umstand war nichts Neues, diesmal fiel er nur umso mehr auf, weil die Löwen ja drei Treffer gebraucht hätten und nicht einmal drei Chancen hatten. Von Ahlen will nun offenbar einen Schritt wagen, den schon sein Vorgänger Ricardo Moniz geplant hatte - und das von der Klubführung und Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner vorgegebene 4-3-3-System doch abschaffen, zumindest vorerst.

"Jetzt müssen wir uns Gedanken machen, ob wir nicht einen Schritt zurückgehen müssen von dem offensiven Fußball, den wir uns eigentlich vorstellen", sagte von Ahlen. Bereits im Heimspiel am nächsten Sonntag (13.30 Uhr) gegen den Bundesliga-Absteiger Eintracht Braunschweig, wenn Sechzig unter gewaltigem Zugzwang steht, könnte es so weit sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: