100-Meter-Finale:Herr Lässig in Not

So eng war ein Finale noch nie für Usain Bolt: Justin Gatlin ist Weltmeister über 80 Meter, doch dann kommt der Blitz aus Jamaika. Das 100-Meter-Finale bei der WM in Peking in der Rennanalyse.

Von Saskia Aleythe

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Usain Bolt of Jamaica (C) prepares to start in the men's 100 metres semi-final at the 15th IAAF World Championships at the National Stadium in Beijing

Quelle: REUTERS

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Vor dem Rennen: Usain Bolt hat viele Bewunderer, vor diesem Rennen in Peking war die Anzahl der Menschen, die ihm den Sieg wünschten, so groß wie nie. Denn der Jamaikaner, der seit seinem Weltrekord 2009 in Berlin die größte Attraktion der Sportart ist, hatte in diesem Jahr einen ganz besonderen Auftrag. Er sollte Justin Gatlin schlagen. Der Sprinter aus den USA ist das Gesicht der bösen Buben geworden.

Beijing 2015 IAAF World Championships

Quelle: dpa

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Gatlin ist ein Dopingsünder, der nach abgesessenen Sperren nun wieder fabulöse Leistungen zeigt. Der Amerikaner ist 33 Jahre alt und in diesem Jahr so schnell unterwegs wie noch nie in seinem Leben - also noch schneller als zu seinen überführten Dopingzeiten. Seltsam. Mit 9,74 Sekunden lag Gatlin auf Rang eins der Jahresweltbestenliste, Usain Bolt lief mit 9,87 Sekunden hinterher. Den 29-jährigen Bolt plagten regelmäßig Verletzungen, er sagte diverse Starts ab, sogar der Start in Peking war in Gefahr. Aber den Titel des schnellsten Flitzers der Erde einfach kampflos abgeben? Keine Option. Dass sein Konkurrent wieder an den Start gehen darf, war Bolt übrigens recht egal. "Es gibt Regeln, die habe ich zu respektieren."

15th IAAF World Athletics Championships Beijing 2015 - Day Two

Quelle: Getty Images

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Vor dem Finale: In Peking ist Bolt 2008 zu Mister Lässig avanciert: Bei den Olympischen Spielen joggte er mit offenem Schnürsenkel ins Ziel - und stellte trotzdem einen Weltrekord auf (9,69 Sekunden). Die Konkurrenz war deklassiert. Dass er dieses Mal mehr Mühe haben würde, war klar. Im Vorlauf und im Halbfinale blieb er mit seinen Zeiten hinter denen von Gatlin zurück, im Halbfinale unterlief ihm sogar ein großer Patzer: Nach dem Start geriet er ins Straucheln, stolperte und fiel fast hin - und war plötzlich am Ende des Feldes. Dennoch lief er ein paar Sekunden später als Erster durchs Ziel. Der Schrecken war Bolt allerdings anzusehen, immer wieder schüttelte er unzufrieden den Kopf.

Bolt of Jamaica concentrates as he prepares to start the men's 100 metres final during the 15th IAAF World Championships at the National Stadium in Beijing

Quelle: REUTERS

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Vorstellung im Stadion: China liebt Lang Lang, jenen Klavierkünstler, der Tasten weltmeisterlich streicheln kann. Er darf am Sonntag im Stadion ein paar seiner Lieblingsnoten präsentieren, die Athleten stehen schon bereit: Auf der zweiten Bahn der Chinese Bingtian Su, er wird umjubelt wie wohl noch nie in seinem Leben. Auf Bahn fünf trippelt Usain Bolt: Als ihn die Kamera erwischt, versteckt er sich erst hinter seinen Händen, dann lüftet er den Blick auf sein Gesicht, lächelt, guckt ein wenig fragend und tänzelt zurück. Die Zuschauer feiern ihn. Buhrufe gibt es für Justin Gatlin, der zwei Bahnen links neben Bolt starten wird. Er starrt lange auf den Boden, dann starrt er lange in die Kamera, küsst seine Finger und zerreißt etwas Imaginäres in der Luft. Einen Dopingtest?

Athletes compete at the start of the men's 100 metres final during the 15th IAAF World Championships at the National Stadium in Beijing

Quelle: REUTERS

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Start: Ein Meister des Starts war Usain Bolt noch nie, das zeigt sich auch bei diesem Lauf: Seine Reaktionszeit ist mit 0,159 Sekunden nur die sechstschnellste im Feld, Tyson Gay reagierte mit 0,128 als Erster. Justin Gatlin ist mit 0,165 Sekunden noch langsamer als Bolt - aber auch seine Stärken entwickeln sich erst danach.

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15 Meter: Mister Beschleunigung knackt Mister Lässig: Nach 15 Metern hat Justin Gatlin seinen schläfrigen Start schon wieder wettgemacht. Der Amerikaner saust dem Rest des Feldes auf dieser kurzen Distanz davon - dumm für ihn, dass über 15 Meter noch keine Medaillen vergeben werden. Auch Bolt hat schon etliche Positionen aufgeholt, im Augenwinkel erspäht er den Amerikaner.

Gatlin of the U.S. and Bolt of Jamaica run to the finsih line in the men's 100 metres final during the 15th IAAF World Championships at the National Stadium in Beijing

Quelle: REUTERS

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50 Meter: Über die halbe Distanz liegt Gatlin noch immer in Führung und visiert schon die Goldmedaille. Doch ziemlich genau nach 50 Metern findet Bolt den Turbo, der ihm schon acht WM-Titel zuvor beschert hat. Mit langen Schritten setzt er den Amerikaner unter Druck und pirscht sich immer näher an Gatlin heran.

15th IAAF World Athletics Championships Beijing 2015 - Day Two

Quelle: Getty Images for IAAF

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80 Meter: Normalerweise hat Usain Bolt auf den letzten 20 Metern genügend Zeit, um Faxen zu machen. 2008 an selber Stelle etwa, da trommelte er bei 80 Metern schon genüsslich auf seiner Brust herum, weil er so weit in Führung lag und ihn niemand mehr einholen konnte. Im diesjährigen Finale ist das anders: Bolt liegt nun mit Gatlin auf einer Höhe, ist aber nur noch eine Bartstoppel hinten.

15th IAAF World Athletics Championships Beijing 2015 - Day Two

Quelle: Getty Images

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Zieleinlauf: Bolt schnauft, Gatlin macht sich immer länger: So knapp war ein WM-Finale für den Jamaikaner noch nie. Auf den letzten Metern kommt Gatlin dann allerdings ziemlich aus dem Rhythmus - vielleicht hat er sich zu früh im Ziel gewähnt? Der Oberkörper fliegt Richtung Ziellinie, er rudert mit den Armen und kann kaum noch beschleunigen. Bolt kippt den Kopf nach vorne, düst aber aufrecht über die Linie - und wird mit einer Zeit von 9,79 Sekunden Weltmeister.

Beijing 2015 IAAF World Championships

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Nur eine Hundertstelsekunde trennt Bolt am Ende von Gatlin. Ein winziger Abstand, aber Bolt braucht kein Siegerfoto, er schlägt sich einmal auf die Brust und rennt weiter in die Kurve. Der dritte Platz wird gleich zwei Mal vergeben: Der Amerikaner Trayvon Bromell und der Kanadier Andre De Grasse kommen zeitgleich ins Ziel.

Beijing 2015 IAAF World Championships

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Nach dem Rennen: Der geschlagene Gatlin läuft zu Bolt, es gibt eine Umarmung, aber keinen Blickkontakt. Dann lässt es der neue Weltmeister erstmal ruhig angehen, im Siegestaumel ist er nicht gerade. Als Lang Lang aufhört zu spielen und ein Bob-Marley-Song erklingt, kommt aber doch noch der Jubel: Bolt schnappt sich die Fahne Jamaikas und posiert für die Kameras - die Blitz-Pose hat er noch nicht verlernt. Seine Mutter Jennifer steht zum Mitjubeln bereit. "Mein Ziel ist es, bis zu meinem Karriereende die Nummer eins zu bleiben", sagt Bolt später. Und: "Ich hätte heute noch schneller rennen können." Ist er in diesem Jahr allerdings noch nicht. Justlin Gatlin sagt: "Wenn ich schon verlieren muss, dann wenigstens gegen ihn".

© SZ.de/sonn
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