2:0 gegen den Vorjahreszweiten:Neue Handschrift

Beim leidenschaftlich erkämpften, aber auch klug erspielten Sieg gegen RB Leipzig zeigt Schalke 04, dass der junge neue Trainer Domenico Tedesco dem Team schon einiges beigebracht hat.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Domenico Tedesco umarmte sie alle: Jeden Spieler, jeden Ersatzmann und Betreuer, den Manager Christian Heidel und dessen rechte Hand Axel Schuster, und es hat wohl nicht viel gefehlt, dann hätte er auch Benedikt Kempkes aus Thür an die Brust genommen, den glatzköpfigen vierten Offiziellen. Aus den Herzlichkeiten des neuen Trainers von Schalke 04 sprachen die Freude und die Erleichterung über den 2:0-Sieg gegen RB Leipzig, der den Schalkern nicht überall zugetraut worden war. Aber es war Tedesco auch die Zufriedenheit anzusehen, dass dieser Sieg eine gewisse Handschrift trug, die man in Gelsenkirchen noch nicht kannte - nämlich seine.

FC Schalke 04 v RB Leipzig - Bundesliga

Sicher verwandelt: Nabil Bentaleb schickt Leipzigs Torwart Peter Gulacsi in die falsche Ecke. Es steht 1:0.

(Foto: Christof Koepsel/Getty Images)

Nach einer Saison, die bisher 90 Minuten plus sechs Minuten Nachspielzeit dauerte, ist es wohl noch etwas früh für einen Befund, der ein "neues Schalke" feststellt. Aber der Auftritt des zuletzt mit sich selbst unzufriedenen Traditionsklubs gibt Anlass für Erwartungen. Schalke setzte sich gegen den Champions-League-Teilnehmer Leipzig mit viel Kampf und Einsatz durch - aber auch mit spielerischen Mitteln, die man in der Arena in den vorigen Jahren vermisst hatte. Auffallend, dass die Aha-Momente nicht auf einzelne Akteure und übliche Verdächtige wie Goretzka und Bentaleb entfielen, sondern zumindest phasenweise aus der Mitte des Mannschaftsspiels entsprangen.

Ex-Kapitän Höwedes spielt nicht mit - treibt aber die Mannschaft an

"Wir haben einiges von dem gesehen, was wir trainiert haben, aber das war heute nicht ausschlaggebend. Wir haben gewonnen, weil wir unheimlich leidenschaftlich waren und sehr, sehr gut verteidigt haben", sagte Tedesco mit vornehmer Zurückhaltung. "Viel versucht, aber wenig gelungen", bilanzierte sein Kollege Ralph Hasenhüttl die insgesamt unglückliche Vorstellung seiner Mannschaft. Für Kritik und Vorwürfe sah er keinen Anlass, aber er musste auch einräumen, dass es seinen Leuten nicht gelungen war, trotz ständigen Ballbesitzes das Schalker Tor wirklich zu bedrohen.

FC Schalke 04 - RB Leipzig

Die Entscheidung: Yevhen Konoplyanka erzielt das 2:0.

(Foto: Ina Fassbender/dpa)

Für den unter viel Raunen seines Kapitänsamtes entledigten Benedikt Höwedes fand Tedesco zwar keinen Platz in der Startelf, aber eine Sitzgelegenheit auf der Ersatzbank. Für diesen Abend war damit eine salomonische Lösung gefunden, für künftige Tage gilt Tedescos Wort, dass Höwedes "ein ganz wichtiger Bestandteil sein wird, wenn er wieder richtig fit ist". Doch es dürfte nicht selbstverständlich sein, dass der Weltmeister - der vor der Partie die Mannschaft eingeschworen hatte - demnächst wieder seinen angestammten Posten in der Verteidigung beziehen wird.

FC Schalke 04 - RB Leipzig

Schalkes Trainer Domenico Tedesco scheint die richtige Sprache gefunden zu haben.

(Foto: Ina Fassbender/dpa)

Die Schalker Deckungsreihe wurde vom Brasilianer Naldo angeführt, Nastasic und Kehrer standen ihm zur Seite, die Außenposten besetzten Caligiuri und der aus Frankfurt importierte Oczipka. Dieses neumodische Quintett stand in den ersten Minuten einigermaßen heftig auf dem Prüfstand, denn RB Leipzig spielte nicht wie eine Mannschaft, der es nach der langen Sommerpause an Praxis und Geschlossenheit mangelt. RB, zunächst ohne den schwedischen Antreiber Forsberg, ließ den Ball und die Gegner laufen und sah dabei aus wie ein Team, das hohen Ansprüchen genügt. Den Mittelpunkt des Kombinationsspiels bildete Keita, der immer wieder Steilpässe in die Mitte schickte, die aber auch immer wieder als Fehlpässe endeten. Naldo und Kehrer fingen regelmäßig seine Bälle ab, und allmählich emanzipierten sich die Schalker von der Leipziger Überlegenheit und führten dem Publikum vor, dass auch sie die Sommerpause produktiv genutzt hatten.

Das Schalker Spiel ist schneller, temperamentvoller, energischer, zielstrebiger

Pausenlos habe Tedesco seine Spieler Automatismen studieren lassen, hatten Mitarbeiter des Vereins aus den Trainingslagern berichtet, einige dieser neuen eingebauten Funktionsweisen kamen am Samstagabend erkennbar zur Geltung. Das Schalker Spiel trug neue Züge: schneller, temperamentvoller, energischer, zielstrebiger. Und nicht nur die Spielanlage sah anders aus, sondern auch mancher Spieler, besonders die beiden Angreifer Di Santo und Konopljanka, deren Personalakten nach herrschender Meinung bisher den Stempel "Fehleinkauf" trugen. Der Ukrainer Konopljanka besetzte den linken Flügel und unternahm dort jene gefährlichen Tempoläufe, die er seinem Arbeitgeber in der vergangenen Saison ständig vorenthalten hatte. Di Santo - anstelle des angeschlagenen Burgstellers in die Elf gerückt - fungierte als Anspielstation für Konter, sein Gegenspieler Upamecano machte ihm dabei das Leben ziemlich schwer.

Das Spiel entwickelte sich ansehnlich, Torchancen blieben allerdings Raritäten. Ein Fernschuss von Bentaleb, den Gulacsi aus der Ecke boxte, war der aufregendste Moment (29.). Bis Di Santo und Upamecano kurz vor der Pause nach einem Schalker Konter im Strafraum aneinandergerieten, und Schiedsrichter Felix Zwayer auf Elfmeter entschied. Der Videoschiedsrichter kam nicht zur Geltung, die Leipziger mögen es bedauern, dass der Stadionreferee lieber seinen eigenen Augen traute, als di Santo im Zweikampf mit Upamecano zu Boden ging. Ein klassischer Fall von Dilemma: In Echtzeit mochte man meinen, dass Leipzigs Verteidiger zu ungestüm gegen seinen Gegner vorging - in Großaufnahme und Zeitlupe war man geneigt, ihn von jedem Vorwurf freizusprechen. Aber Zwayer hatte seine Entscheidung selbst getroffen und das Ferngericht ausmanövriert. Bentaleb verwandelte den Elfmeter sicher (43.).

Als die Müdigkeit einsetzt, gelingt Schalke der perfekte Konter

Das 1:0 war das Guthaben, das die Schalker nach der Pause mit vereinten, aber offenbar nachlassenden Kräften zu verteidigen suchten. Planvolle Angriffe gelangen den Hausherren nur noch selten, Leipzig war in der zweiten Halbzeit die wieder deutlich spielbestimmende Mannschaft, aber wie im ersten Durchgang schafften es die Gäste nicht, sich Chancen zu erwirtschaften. Torwart Fährmann musste lediglich einen Fernschuss entschärfen, ansonsten ließen Naldo und seine Mitarbeiter keine Lücken.

Als die sichtlich müder werdenden Schalker bereits begannen, das Zeitspiel zu forcieren, brachte ein Konter die Entscheidung: Harit, der Neuzugang aus Nantes, deutete die ihm nachgesagten außergewöhnlichen Eigenschaften an, als er nach Ballgewinn und gelungenem Dribbling im richtigen Moment den Pass in die Tiefe spielte. Konopljanka startete zum perfekten Zeitpunkt aus der eigenen Hälfte und schloss seinen Alleingang mit dem 2:0 ab. "Genauso habe ich es mir letzte Nacht gewünscht, als ich geträumt habe", sagte Bastian Oczipka, der neue Schalker Linksverteidiger. Dass auf Schalke Träume in Erfüllung gehen - auch dies ist eine neue Erfahrung.

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