1. FC Nürnberg:Der Beschleunigte

Im Sommer kam Abdelhamid Sabiri, 20, aus der fünften Liga. Ein halbes Jahr wurde er in der U21 ausgebildet - nun hat er schon drei Tore bei den Profis erzielt.

Von Markus Schäflein

In Brünninghausen, Erkenschwick und Ennepetal werden sich die Menschen über diese Geschichte nicht sehr wundern, aber in Franken wird sie ungläubig bestaunt. In der vergangenen Saison hat der Fußballer Abdelhamid Sabiri, 20, noch in der fünfklassigen Oberliga Westfalen gespielt, für die Sportfreunde Siegen. Und nun ist er beim Zweitligisten 1. FC Nürnberg seit der Winterpause in der Startelf gesetzt und traf in drei Spielen drei Mal. Einer der wenigen, die jenseits des Siegerlands nicht darüber staunen, ist Michael Köllner. Weil er dafür gesorgt hat, dass es passiert ist.

"Das ist ja das Spannende im Fußball, dass so etwas gelingen kann", sagt Köllner, der Nachwuchsleiter und zugleich U21-Trainer der Nürnberger ist. Und für den Club ist es nicht nur spannend, sondern auch wichtig - denn auch auf der Suche nach Talenten gilt für sie, dass sie mit vielen Wettbewerbern finanziell nicht mithalten können: "Wir müssen Spieler in einer Nische suchen, wir können nicht auf die zugehen, die alle im Fokus haben." Dass Sabiri in Westfalen Aufsehen erregte, zeigten die Zahlen: 18 Tore und sechs Vorlagen in 30 Spielen. "Man muss sich dann aber die Mühe machen, den Spieler oft live zu sehen und zu klären, wie er charakterlich gestrickt ist und ob er in Nürnberg auch ankommt", meint Köllner. "Und am Ende muss man ihn mit seinem Konzept überzeugen." Also reiste Scout Dieter Nüssing rund zehn Mal nach Westfalen, bis der Wechsel vollzogen wurde.

1. FC Heidenheim - 1. FC Nürnberg

"Es hat mich schon ein wenig überrascht, wie leicht mir der Sprung gefallen ist." - Nürnbergs Abdelhamid Sabiri (links) gegen Heidenheims Sebastian Griesbeck.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Umso ungewöhnlicher ist Sabiris Weg, weil er vor seiner Zeit nicht einmal in der U19-Bundesliga gespielt hatte. Sondern in A-Jugend-Hessenliga bei Darmstadt 98. Sabiri kam im Sommer mit großem technischen und spielerischen Talent und fast genauso großen taktischen Mängeln. Köllner hat noch vor Augen, "mit welch naivem Verhalten der Junge noch im Sommer Fußball gespielt hat". Einen Spieler wie Sabiri aufzubauen, sei "nur über eine U21 möglich", sagt Köllner. Während einige Lizenzvereine ihre zweiten Mannschaften längst abgemeldet haben, weil sie als unnötige Kostenstelle empfunden wurden, stärkten die Nürnberger genau diese Schnittstelle zwischen Jugend- und Männerfußball.

Bei Köllners Regionalligamannschaft arbeiten teilweise elf Trainer gleichzeitig mit den Spielern und sorgen für ein intensives taktisches Training. "Im Endeffekt ist dann jede Position mit einem eigenen Trainer besetzt", sagt Köllner. "Damit können wir Dinge forcieren und Spieler schneller entwickeln, das ist ein Beschleunigungsmechanismus." Bis zum Winter, als er sich dem Profikader anschloss, hatte Sabiri seit Juni rund 200 Trainingseinheiten bei der U21 absolviert und 12 Regionalliga-Tore erzielt. "Es war ein guter Zeitpunkt, ihn erst im Winter hochzubringen", meint Köllner. So fand Sabiri sich in der Mannschaft schnell zurecht. Eine lange Eingewöhnungszeit bei den Profis brauchten auch Linksverteidiger Dennis Lippert und Rechtsverteidiger Patrick Kammerbauer, die beide ebenfalls 20 Jahre alt sind, nach ihrer Ausbildung nicht. Aber Sabiri ist als Offensivmann naturgemäß der Auffälligste und Gefragteste des Trios. In den Interviews zeigt er sich so selbstbewusst wie auf dem Platz. "Die größte Umstellung ist der körperbetonte Fußball", erklärte er, "aber es hat mich schon ein wenig überrascht, wie leicht mir der Sprung von der vierten in die zweite Liga gefallen ist."

Trainer Michael Koellner 1 FC Nuernberg II gut gelaunt vor dem Spiel 1 FC Nuernberg II vs SpVgg; Michael Köllner 1. FC Nürnberg

Michael Köllner ist seit März 2016 Nachwuchsleiter beim Club. Zuvor arbeitete er als U17-Trainer bei Greuther Fürth und als DFB-Koordinator für die Talentförderung.

(Foto: imago/Eibner)

Fast so leicht, wie ihm der Sprung aus der U19 zu den Männern und aus der fünften in die vierte Liga fiel. "Er war immer und überall der wichtigste Spieler, das darf man nicht vergessen", sagt Köllner. Und immer spielte Sabiri in den besten Mannschaften seiner Liga, mit Darmstadt stieg er auf, mit Siegen auch. Nicht nur auf dem Platz ist der in Deutschland aufgewachsene Marokkaner Erfolg gewohnt. "Er hat sein Abitur fertig gemacht, bevor er zu uns kam, er kann auch aus anderen Ebenen Selbstbewusstsein rausholen", sagt Köllner, "das ist ganz wichtig."

Bislang hat Sabiri noch keinen Lizenzspielervertrag unterschieben, sondern nur einen Kontrakt für die Regionalliga bis 2018. Allerdings würde dieser sich, wie die Bild-Zeitung berichtete, laut einer Klausel in einen Profivertrag bis 2019 umwandeln, falls Sabiri in dieser Zweitliga-Saison noch regelmäßig zum Einsatz kommt.

Es gebe "überhaupt keinen Grund, jetzt über seine Vertragssituation zu sprechen", sagt Nürnbergs Sportvorstand Andreas Bornemann, der sich auch sonst mit Aussagen zu Sabiri zurückhält: "Wir sollten ihm Zeit lassen und alle darauf achten, dass er mit beiden Füßen auf dem Boden bleibt." Die meisten Trainer würden das ähnlich formulieren, aber nicht Köllner. "Nicht abheben finde ich immer zu platt", sagt er, "man will doch einen selbstbewussten Spieler auf dem Platz. Schmerzhafte Erfahrungen wird auch er schon noch machen." Und außerdem zweifelt offenbar selbst Sabiri manchmal. Köllner erzählt jedenfalls: "Er war selbst überrascht, dass alles so kam, wie wir es ihm bei seinem Wechsel vorgezeichnet haben."

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